Toter Säugling Ben aus Alsdorf : Auch im zweiten Plädoyer zwölf Jahre Haft beantragt
Aachen/Alsdorf Im Prozess um den Tod des Säuglings Ben aus Alsdorf haben am Freitag Staatsanwaltschaft und Verteidigung vor dem Landgericht Aachen erneut ihre Plädoyers gehalten. Die Familie klagt unterdessen die Justiz an.
Für die betroffene Familie schien das erneute Plädoyer der Staatsanwaltschaft im Tötungsfall des erst sechs Monate alten Babys Ben kaum auszuhalten zu sein. Oberstaatsanwalt Boris Petersdorf forderte am Freitagmorgen vor dem Aachener Schwurgericht auch nach der Verlesung weiterer medizinischer Gutachten für den angeklagten Vater Stefan P. (37) eine zwölfjährige Haftstrafe wegen Totschlags an seinem Sohn, begangen in der Nacht auf den 9. März in der eigenen Wohnung.
Die Trauer um das Kind, der angestaute Zorn und das völlige Unverständnis der Familie richten sich nicht gegen den Angeklagten. Denn sowohl die Mutter des Kindes wie auch die an jedem Prozesstag anwesende Großmutter des Säuglings halten ihn Stefan P. für unschuldig und für völlig zu Unrecht angeklagt.
Der Ärger und die Verzweiflung konzentrieren sich auf ein angeblich verfehltes Gutachten zur Todesursache des Kindes. Es starb an einem Hirn-Ödem nach Kopfverletzungen am Morgen des 9. März in den Händen eines Notarztes. In dem Verfahren vor der Kammer unter Vorsitz von Richterin Judith Sander sind argumentativ zwei Stränge zu unterscheiden.
Für die Staatsanwaltschaft ist nach wie vor klar, dass nur eine massive Gewalteinwirkung – beispielhaft war von einem Schlag etwa mit dem Boden einer Bratpfanne oder einem des Kindskopfes gegen eine Wand die Rede – zu den Verletzungen habe führen können. Sie hätten später den Tod des Kindes herbeiführen können, das mit dem Vater alleine in der Wohnung war.
Für den Bonner Strafverteidiger Uwe Krechel und für die Familie ist diese Beschreibung völlig falsch. Denn der völlig unbescholtene 37-Jährige, der bereits zwei ältere Kinder aus der vorherigen Ehe hat, habe nach den Ausführungen Krechels höchstens in einem unglücklichen Moment nicht genügend auf den Säugling aufgepasst, der zudem bereits vorher fieberte und auch starken Durchfall hatte. „Es ist völlig abwegig anzunehmen, dass Stefan P. diese brutale Gewalt anwendete und dabei auch noch über Stunden immer wieder gleichzeitig der Mutter über SMS den Zustand des Kindes schilderte, ihr sogar Videoaufnahmen schickte“.
Denn die Mutter befand sich an diesem Abend im Eschweiler Krankenhaus, weil sie einen gynäkologischen Eingriff über sich ergehen lassen musste. Noch am späten Abend und dann wieder des Nachts hatte ihr Stefan P. regelmäßig WhatsApp-Nachrichten geschickt, gegen 1 Uhr sogar ein Video, in dem es dem Kind allerdings schlecht ging. Danach schlief es aber ein. Die Mutter im Krankenhaus und der Vater in der Wohnung kamen zu der Einschätzung, dass man sich möglicherweise am nächsten Morgen einen ärztlichen Rat holen müsse, doch jetzt solle Ben erst einmal schlafen. Unglücklicherweise war es ein Todesschlaf.
„Das mag eine Fehleinschätzung gewesen sein“, gab Krechel zu, aber man solle doch nicht glauben, dass „er nach einem brutalen Übergriff auch noch die Ergebnisse filmt und mit der Mutter bespricht“, rief der Verteidiger. „Solch ein Zynismus ist diesem Mann niemals zuzutrauen.“ Im Gegenteil habe er alles getan, um die Aufgabe, das bereits kranke Kind zu versorgen, gut zu bewältigen.
Dabei sei es aber durchaus denkbar, dass der Säugling unbeobachtet aus geringer Höhe gefallen sei. Eine Version, die Kölner Rechtsmedizinerin Sybille Banaschak weit von sich gewiesen hatte. Gegengutachter hatten jedoch bekräftigt, auch Stürze aus geringer Höhe könnten solche Verletzungen herbeiführen. „Der Gutachterin waren diese wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht einmal bekannt“, empörte sich Krechel und verwies darauf, dass damit die Grundlage der Anklage falsch oder umstritten sei.
Die Familie stellt sich vor Stefan P.
Sicher sei dem Vater – der deit Beginn des Prozesses beteuerte, er sei unschuldig – möglicherweise vorzuwerfen, „dass in seiner Obhut das Kind verstorben sei“. Dann aber sei er höchstens wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen zu verurteilen, wertete der Anwalt das begangene Unrecht. Er beantragte einen Freispruch.
Für die Familie von Ben ist auch das nicht hinreichend. Denn ein – im übrigen zu keiner Zeit als konkreter Vorfall thematisierter – Sturz müsse gar nicht die Todesursache gewesen sein, sagte Großmutter Eva W. am Freitag unter Tränen gegenüber unserer Zeitung. Die Gutachter hätten vieles nicht beachtet; die Anklage sei falsch.
„Der Kleine hatte einen abgeplatteten Kopf mit einem Blutschwamm. Das ist alles dokumentiert, doch niemand kümmert sich darum. Mein Schwiegersohn ist unschuldig“, sagte sie. Und weiter: „Mir hätte das am Nachmittag genauso passieren können, dann säße ich jetzt dort!“ Das Kind war vor der Nacht tagsüber bei den Großeltern untergebracht gewesen.
Am Montag, 2. Dezember, wird um 9 Uhr das Urteil im Aachener Landgericht gesprochen.