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NRW-Landarztquote: Als Hausärztin raus aufs Land

NRW-Landarztquote : Als Hausärztin raus aufs Land

Zum Wintersemester 2019/2020 hat Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland eine Landarztquote eingeführt. 528 Frauen und Männer haben sich seitdem verpflichtet, nach ihrem Studium zehn Jahre lang als Hausarzt in einer unterversorgten Region zu arbeiten. Auch Anne Kiesel aus Euskirchen ist den Deal eingegangen.

Anne Kiesel muss immer wieder mal erklären, dass eine Landärztin zwar eine Generalistin ist, aber deshalb noch lange nicht weiß, wie man zum Beispiel Kühen bei einer Geburt beisteht. „Manche haben diese Vorstellung, wenn ich erzähle, dass ich Ärztin auf dem Land werden will“, sagt die 24-jährige Medizinstudentin. Sie ist eine von 1312 jungen Frauen und Männern, die sich im Frühjahr 2019 auf die damals neuen Landarzt-Studienplätze in NRW beworben haben. 145 wurden ausgewählt, unter ihnen auch Anne Kiesel. Sie studiert in Köln.

Wie das NRW-Gesundheitsministerium unserer Redaktion mitteilte, wurden seit Einführung der Landarztquote 528 Studienplätze nach diesem Verfahren vergeben. Die Zahl der Bewerber übersteigt demnach die der Studienplätze. Der Frauenanteil liegt bei 64 Prozent. In der Regel dauert das Studium sechs Jahre, daran schließt eine fünfjährige fachärztliche Weiterbildung an.

„Die Landarztquote war meine letzte Chance, Ärztin zu werden“, sagt Anne Kiesel. Sie hat einen Abiturnotendurchschnitt von 2,3. Eine Zugangsvoraussetzung fürs Medizinstudium ist aber seit vielen Jahren eine 1,0. Doch bei den Medizinstudienplätzen nach dem Landarztgesetz, die NRW zum Wintersemester 2019/2020 als erstes Bundesland vergeben hat, kommt es nicht nur auf ein Spitzenabitur an. Es zählen auch Berufserfahrung und soziale Fähigkeiten wie Empathie, die bei Auswahltests unter Beweis gestellt werden müssen.

Im Gegenzug müssen sich die Studenten verpflichten, nach Abschluss ihres Studiums und einer fachärztlichen Weiterbildung in Allgemeinmedizin, Innerer Medizin oder Pädiatrie für bis zu zehn Jahre in der hausärztlichen Versorgung in einer unterversorgten Region in NRW zu arbeiten. Erfüllen die angehenden Landärztinnen und Landärzte ihren Vertrag nicht, wird eine Strafe von 250.000 Euro fällig. „Das ist natürlich Erpressung, aber die Summe hat mich nicht abgeschreckt“, sagt Anne Kiesel und lacht. „Ich würde mich immer wieder so entscheiden.“

Anne Kiesel stammt aus Euskirchen und kann sich gut vorstellen, als Hausärztin auf dem Land zu arbeiten. „Die Patientenbindung ist viel stärker, man kennt die Menschen und kann bestimmt viel erreichen, wenn man ein gutes Verhältnis zu den Patienten hat – in einer Praxis auf dem Land ist man als Patient nicht nur eine Nummer“, sagt sie. Nachdem sie ihren Traum vom Medizinstudium nach dem Abitur erst einmal begraben musste, machte Anne Kiesel eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten in einer kardiologischen Praxis. „Das hat meinen Wunsch, Ärztin zu werden, aber nur noch verstärkt.“ Bei der Auswahl für die Landarztquote kam ihr die Ausbildung und ihre fast zweijährige Berufserfahrung dann zugute.

Mehr als die Hälfte der Hausärzte in Nordrhein-Westfalen ist älter als 55 Jahre. „Die meisten von ihnen werden altersbedingt voraussichtlich in den kommenden zehn bis 15 Jahren aus der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung ausscheiden und in den Ruhestand gehen“, sagt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. „Um das bisherige hausärztliche Versorgungsniveau künftig aufrechterhalten zu können, wird der Nachbesetzungsbedarf an Hausärzten voraussichtlich entsprechend hoch sein.“

Wie viele Hausärzte fehlen beziehungsweise künftig in Nordrhein-Westfalen fehlen werden, lasse sich pauschal jedoch nicht beantworten. „Ein wichtiger Indikator für die hausärztliche Versorgungssituation ist die Anzahl der offenen Hausarztsitze. Stand Frühjahr 2021 gab es insgesamt rund 450 offene Hausarztsitze in Nordrhein-Westfalen.“

Die Landarztquote ist nur eine der Maßnahmen, mit denen man in NRW dem drohenden Hausärztemangel entgegenwirken will. Um auch kurzfristig die Versorgung zu sichern, gibt es ein Quereinsteigerprogramm, mit dem Fachärztinnen- und Ärzten der Wechsel in die Allgemeinmedizin erleichtert werden soll. Das Land fördert zudem Hausärztinnen und Hausärzte mit bis zu 60.000 Euro, wenn sie sich in Regionen niederlassen, in denen die hausärztliche Versorgung gefährdet ist.

Das Ministerium hat eine Bedarfsberechnung erstellt, die einen voraussichtlichen Bedarf für das Jahr 2030 voraussagt und für Studierende bereits jetzt schon als Orientierung dienen kann, welche Regionen dann unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht sein können. „Eine Bewerbung um offene Stellen oder Zuweisung eines freien Hausarztsitzes können aber erst nach Abschluss der Weiterbildung erfolgen“, sagt der Sprecher.

Anne Kiesel stellt sich ein Leben mit eigener Praxis irgendwo in der Nähe ihrer Heimatstadt ziemlich schön vor. „Ich muss keine Karriere in einer Klinik machen“, sagt sie. „Landärztin zu werden ist für mich eine sichere Option. Ich weiß jetzt schon, wohin es für mich geht und muss im Studium nicht schauen, welche Fachrichtung ich machen will.“ Als Hausärztin wird sie später für viele Fragen Expertin sein – nur Kälbergeburten werden nicht dazu gehören.