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Kommentar zur Präsidentenwahl in Frankreich: Mit der Faust in der Tasche

Kommentar zur Präsidentenwahl in Frankreich : Mit der Faust in der Tasche

Im Amt bestätigt, aber nicht geliebt. Emmanuel Macron bleibt nur im Élysée, weil sich die Franzosen die Schande ersparen wollten, eine rechtsextreme Rassistin zur Präsidentin zu wählen.

Aufatmen! Das Schlimmste ist verhindert. Marine Le Pen hat die Präsidentschaftswahl verloren. Frankreich und Europa bleibt eine Rassistin erspart, die aus dem Élysée heraus die Leitlinien der Politik bestimmt. Aber das war es dann auch schon mit positiven Nachrichten aus dem Nachbarland.

Nein, zum Feiern besteht wahrlich kein Anlass. Auch nicht im Lager von Emmanuel Macron. Wer sich die Ergebnisse der Wahl etwas genauer anschaut, wird schnell feststellen: Frankreichs alter und neuer Staatschef steht auf geschwächten Beinen, seine Legitimationsbasis ist geschrumpft, gerade einmal gut 38 Prozent aller eingeschriebenen Wähler haben für ihn votiert, viele von ihnen auch nur mit einer geballten Faust in der Tasche. Zu groß und weit verbreitet ist die Enttäuschung über seine ersten fünf Jahre als Präsident.

Macron wird in den deutschen Medien gerne als linksliberaler Hoffnungsträger dargestellt. Doch das war er für die meisten Franzosen nie. Erst recht nicht für Menschen, die mit jedem Cent rechnen müssen. Für sie hat sich Macron in seiner Amtszeit kaum interessiert. Stattdessen setzte er auf neoliberale Reformen, forcierte den Sozialabbau, entlastete Wohlhabende und vergaß nebenbei ganz schnell seine ursprünglichen ökologischen Ambitionen. Dem in Frankreich traditionell starken Sozialprotest auf der Straße begegnete er mit polizeilichen Maßnahmen und nicht mit Kompromissbereitschaft.

Entsprechend war das Verhalten der Franzosen am Sonntag. Millionen verweigerten den Gang an die Urnen, sehr viele gaben aus Protest gegen beide Kandidaten ein „vote blanc“, einen leeren Wahlzettel ab. Auffällig daneben: Je niedriger das Haushaltseinkommen der Menschen ist, desto geringer ihr Zuspruch zu Macron. Ebenso wie in der Arbeiterschaft hat der Präsident bei der Landbevölkerung und in den Kleinstädten das Nachsehen. Die Mehrzahl der 35.000 französischen Kommunen votiert gegen Macron. Vor allem in der Gruppe der 25- bis 60-Jährigen, also den Franzosen, die überwiegend im Arbeitsleben stehen, liegt der Rechtsliberale und seine rechtsextreme Herausforderin Kopf an Kopf.

Dass Macron trotzdem deutlich siegte, hatte vor allem zwei Gründe: Zum einen stellte sich fast die gesamte französischen Medienlandschaft auf seine Seite. Zum anderen bewies die politische Linke staatspolitische Verantwortung. Einzig und allein um Le Pen zu verhindern, wurde Macron am Sonntag von Millionen Franzosen unterstützt, die im ersten Wahlgang noch für den knapp gescheiterten Volkstribun Jean-Luc Mélenchon oder einen der linksgrünen Splitterkandidaten gestimmt hatten. Es waren Menschen, die in der Vergangenheit gegen die Politik des Präsidenten zu Hunderttausenden auf die Straße gegangen sind und die das auch künftig weiter tun werden, wenn Macron seinen Kurs nicht grundlegend ändert.

Wird das geschehen? Macron gab sich im Gegensatz zur Wahlnacht 2017 am Sonntag zurückhaltend, fast schon ein wenig nachdenklich. Er kündigte an, sich angesichts der wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs stärker um die Alltagssorgen der Franzosen kümmern zu wollen. Vielleicht meint er das tatsächlich ernst. Vielleicht ist alles aber auch nur Wahlkampf-Lyrik. Mitte Juni wird in Frankreich nämlich erneut zu den Urnen gerufen. Dieses Mal geht es um die Zusammensetzung des Parlaments. Ob Macron dort seine satte Mehrheit verteidigen kann, ist fraglich. Verliert er sie, ist seine Macht deutlich gestutzt, weil er mit einem Premier aus einem fremden politischen Lager zusammenarbeiten muss. Dieser Regierungschef könnte Mélenchon heißen, im schlimmsten Fall aber auch Le Pen. Zum endgültigen Aufatmen ist es also noch reichlich früh.