Um den Erfolg zu halten : Warum die SPD sich als Kanzlerpartei neu erfinden muss
Meinung So hat man die SPD seit Jahren nicht mehr erlebt. Fast bis zur Unkenntlichkeit gut gelaunt, euphorisch, zuversichtlich, willensstark. Und machthungrig.
„Wir sind Kanzler“, rief die wiedergewählte Parteichefin Saskia Esken am Samstag in den Saal beim Bundesparteitag der Sozialdemokraten. Alle und alles für Olaf Scholz also? Das dürfte kaum gut gehen. Die SPD ist es – anders als die CDU – nicht gewohnt, den Regierungschef zu stellen. Sie ist es nicht gewohnt, sich als Partei hinter einer starken Figur zurückzunehmen, alles für ihre Wiederwahl zu tun. Eine Regierungsmaschine, eben eine Kanzlerpartei zu sein. In diese Rolle muss die SPD jetzt erst langsam wieder hineinfinden – genauso wie die CDU diese Rolle nun abstreifen muss.
Dass dies noch etwas Nachdruck braucht, etwas mehr gegenseitige Zusicherung, hat der SPD-Bundesparteitag am Wochenende gezeigt. Der neue Generalsekretär Kevin Kühnert, einst Anti-Groko-Kämpfer in den eigenen Reihen, machte jetzt deutlich: „Es gibt nicht die Basis-SPD und nicht die Regierungs-SPD“. Geschlossenheit lautet das Zauberwort. Und zwar nachhaltige Geschlossenheit. Die SPD soll den geeinten Kurs weiterfahren, den sie nach ihrer tiefen Krise 2019 mit der Doppelspitze aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans eingeschlagen hatte. Auch Kühnert ist kein Rebell mehr, kein Anführer einer innerparteilichen Opposition. Gemeinsam mit Saskia Esken und dem neuen Parteichef Lars Klingbeil will er die Partei antreiben, gute Ideen zu produzieren, die auch in ein paar Jahren die SPD noch attraktiv und zukunftsfest erscheinen lassen sollen. Denn die gewonnene Bundestagswahl bedeutet nicht, dass alles gut ist in der Partei.
Jetzt braucht es frischen Wind, progressive Konzepte für den Umgang mit sehr tiefgreifenden Veränderungen. Der Klimawandel wird überall Spuren hinterlassen, die Maßnahmen dagegen aber auch. Die Industrie muss sich auf eine andere Energieversorgung umstellen, ganze Branchen werden umgekrempelt, Tausende Jobs überflüssig und mindestens ebenso viele neue Arbeitsplätze benötigt. Gerhard Schröder, der vorherige SPD-Kanzler, stand einst vor gewaltigen Reformaufgaben, als er 1998 nach der Kohl-Ära die Macht im Kanzleramt übernahm. Seine Agenda 2010 brachte der SPD eine Existenzkrise ein. Erst kürzlich hat die SPD das eigene Trauma der Hartz-Reformen mit einem neuen Sozialstaatskonzept und dem neuen Bürgergeld überwinden können. Das, was an Herausforderungen jetzt auf die Partei zukommt, ist jedoch von noch gewaltigerer Bedeutung. Die bevorstehenden Veränderungen werden der SPD viel abverlangen. Und bieten zugleich große Chancen.
Die SPD ist derzeit leicht trunken vom spektakulären Comeback aus dem Jammertal schlechter Umfragewerte, in dem sie über Jahre festsaß. Schafft es die neue Parteispitze in dieser Situation, nicht gegen, sondern mit Kanzler Olaf Scholz ein neues Programm auf die Beine zu stellen, das möglichst viele Menschen vom Wandel profitieren lässt, kann die SPD länger auf Rückhalt hoffen. Je nachdem, was für eine Kanzlerpartei sie sein wird.