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Kommentar zur französischen Präsidentschaftswahl: Das gespaltene Land

Kommentar zur französischen Präsidentschaftswahl : Das gespaltene Land

Obwohl Frankreich die aktuellen Krisen gut überstanden hat, sind die Wähler unzufrieden. Sollte Emmanuel Macron am Sonntag die Wahl gewinnen, steht er vor großen Herausforderungen.

Emmanuel Macron hat das TV-Duell gegen seine Herausforderin Marine Le Pen gewonnen. Viel wichtiger aber ist, dass er am kommenden Sonntag auch die französische Präsidentschaftswahl gewinnt. Doch auch nach einem Sieg des amtierenden Präsidenten würde Frankreich vor großen Problemen stehen.

Wenn Macron gewinnt, ist das zunächst einmal gut für Frankreich, Europa und insbesondere Deutschland, weil Macron für Kontinuität steht, ein verlässlicher Partner ist und das deutsch-französische Tandem in einem starken Europa befürwortet. Ein Sieg Le Pens würde hingegen das vorläufige Ende der deutsch-französischen Zusammenarbeit besiegeln, mit fatalen Folgen. Le Pen kritisiert die deutsche Energie- und Migrationspolitik, will gemeinsame Rüstungsprojekte stoppen und die deutsche Ambition auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat nicht mehr unterstützen. Le Pen könnte Deutschland massiv schwächen und schaden, politisch, aber vor allem wirtschaftlich. Dazu wird es wohl nicht kommen, auch wenn Analysten für Sonntag ein äußerst knappes Rennen vorhersagen.

Doch selbst wenn Macron eine zweite Amtszeit gestalten darf, steht Frankreich vor Problemen. In der Corona-Pandemie wurde in Deutschland häufig betont, dass der Begriff der „gespaltenen Gesellschaft“ nicht zutreffe, weil er die Stärke der Abgehängten überhöhe. Für Frankreich lässt sich aber sehr wohl sagen, dass die Gesellschaft zumindest politisch gespalten ist. Die Hälfte der Bevölkerung hat extrem rechts oder links gewählt. Das ist eine dramatische Entwicklung, die stetig voranschreitet.

Noch dramatischer aber ist die große Zahl der Nichtwähler, insbesondere in der Gruppe der jungen Menschen. Dort lag sie vor zwei Wochen teilweise bei 50 Prozent. Gleichzeitig beschweren sich nun ausgerechnet die jungen Menschen über den Ausgang des ersten Wahlgangs und besetzen Universitäten, was einigermaßen schizophren ist. Wären mehr Menschen aus dieser Gruppe zur Wahl gegangen, stünde mutmaßlich nicht Le Pen, sondern der extrem linke Jean-Luc Mélenchon in der Stichwahl, der einen Fokus auf Klima- und Umweltschutz in seinem Programm gelegt hatte. Diese Chance wurde vertan. Für linke und sozialistische Wähler gibt es nun keine richtige Alternative bei der Stichwahl. Und Mélenchon hat nicht dazu aufgerufen, Macron zu wählen, sondern lediglich dazu, Le Pen nicht zu wählen. Das macht den Ausgang der Wahl umso ungewisser.

Aus deutscher Perspektive ist die Unzufriedenheit der Franzosen oft nicht nachvollziehbar. Die Inflation ist in Frankreich trotz des Ukraine-Krieges weitaus weniger gestiegen als etwa hierzulande. Auch hat die französische Wirtschaft die Corona-Pandemie besser verkraftet als die deutsche. Die Konjunktur zog im Gesamtjahr 2021 um 7,0 Prozent an. Es war das stärkste Wirtschaftswachstum seit einem halben Jahrhundert. Die Zahl der Arbeitssuchenden ist auf dem niedrigsten Stand seit 2012. Zeitgleich hat Macron beispielsweise die Schulpflicht von sechs auf drei Jahre herabgesetzt, was zur Folge hat, dass Eltern in Frankreich anders als in Deutschland für die Betreuung ihrer Kinder nichts zahlen müssen.

Ob man den auf manche abgehoben wirkenden Präsidenten nun mag oder nicht: Frankreich steht nach fünf Jahren unter Macron recht gut da. Jedenfalls sehen das die meisten Franzosen in Deutschland so. 53,9 Prozent stimmten im ersten Wahlgang für ihn und nur 2,6 Prozent für Le Pen. Aber diesen vergleichenden Blick von außen nehmen die in Frankreich lebenden Franzosen natürlich nicht ein. Sie vergleichen sich nicht mit dem Rentner oder dem Arbeitslosen in Deutschland, der im Schnitt schlechter da steht, sondern mit einem früheren Frankreich. Und das ist auch legitim und logisch. Dass in diesem früheren Frankreich die Rentner eine geringere Lebenserwartung hatten und nicht so lange etwas von ihrer Rente hatten, ist ein Fakt, den die Kritiker von Macrons Vorschlag, das Renteneintrittsalter nach dem Vorbild Deutschlands schrittweise auf 65 Jahre anzuheben, gern unterschlagen.

Macron kennt die Zahlen und hat die Fakten. Das hat er am Mittwochabend auch im Fernsehduell mit Le Pen unter Beweise gestellt. Glücklicherweise hat er es geschafft, nicht ins Oberlehrerhafte abzugleiten, obwohl Le Pen mitunter reichlich Anlass dazu gab, ihre Behauptungen zu hinterfragen. Vor allem sagte Le Pen in keinem Moment, wie sie all ihre Vorhaben zu bezahlen gedenkt. Die Rechtsextreme argumentierte weniger mit Fakten als mit Gefühlen. In einer Zeit des Postfaktischen, in die uns unter anderem der ehemalige US-Präsident Donald Trump geführt hat, scheint das aber viele Menschen nicht zu stören. Im Gegenteil. Die Wähler sind bestimmt von Gefühlen und existenziellen Sorgen. Das muss Macron noch viel ernster nehmen – nicht nur in Zeiten des Wahlkampfes.

Der Niedergang der einstigen Volksparteien, mehr extreme Wähler und eine große Gruppe junger Nichtwähler bestimmen diese Präsidentschaftswahl. Auch auf die letzte Gruppe wird es am Sonntag ankommen. Macron hat richtigerweise einen Schritt auf sie zugemacht und das im Wahlkampf völlig untergegangene Thema Umweltschutz endlich hervorgehoben. Unter anderem soll der Premierminister nach einem eventuellen Sieg Macrons zu einem Klimaschutz-Premier werden.

Sollte Macron am Sonntag gewinnen, muss er seinen Worten dringend weitere Taten folgen lassen, sonst vergrault er all jene komplett, die ihn nur widerwillig wählen werden, um Le Pen zu verhindern. Das wird eine enorme Herausforderung, weil Macron nicht viel Zeit bleibt. Denn die Franzosen wählen in sieben Wochen erneut und zwar das Parlament. Macron muss deshalb schnell glaubhaft Veränderungen ankündigen, damit es nicht zu einer Denkzettel-Wahl kommt.