Das Europa-Interview : Mehr wissen dank vieler europäischer Partnerschaften
Jülich Harry Vereecken (60) ist Europäer aus Überzeugung. Das sagt der Belgier mit deutschem Pass, der seit fast 30 Jahren in Jülich lebt, nicht nur aufgrund seiner Vita, sondern auch aus beruflichen Gründen.
Vereeken ist Professor für Agrarwissenschaften und leitet das Institut Agrosphäre am Forschungszentrum Jülich. Im Interview mit Guido Jansen erklärt Vereecken, dass die meisten Großprojekte der Jülicher Bodenforscher ohne europäische Partner nicht möglich wären.
Wenn man in Ihrem Institut nach dem Weg fragt, dann erhält man nicht unbedingt eine Antwort auf Deutsch. Das Team ist sehr international aufgestellt. Woran liegt das?
Harry Vereecken: Wir haben gemeinsame Berufungen außerhalb Deutschlands mit zwei Ländern, in Belgien und in den Niederlanden. Das betreiben wir seit 2005 sehr intensiv und das hat sich enorm bewährt. Kollegen, die hier in Jülich arbeiten, haben Professuren an anderen Universitäten. In Belgien sind das die Katholieke Universiteit Leuven, die Université Catholique de Louvain und die Université de Liege, in den Niederlanden die Universiteit van Amsterdam. Dazu gibt es jede Menge gemeinsame Berufungen in Deutschland mit Wissenschaftlern, die aus den Niederlanden stammen. So erweitern wir unsere Kompetenzen, steigern unsere Wettbewerbsfähigkeit und verbessern unsere Chancen, EU-Mittel einzuwerben.
Erhält Ihre Forschung mit den europäischen Kooperationen überhaupt erst die Chance, weltweit relevant zu sein?
Vereecken: Es ist eine schwierige Frage, ob wir immer Partner im europäischen Raum brauchen, um wissenschaftlich exzellent zu sein. Wir haben Projekte, für die wir keine Partner brauchen und trotzdem exzellent sind. Tereno (Terrestrial Environmental Observatories), unser Mess-System, mit dem wir Prozesse im Boden feststellen, ist nicht im Rahmen einer europäischen Kooperation entstanden, sondern ist eine deutsche Initiative und trotzdem exzellent. Später ist Tereno zur Blaupause für Elter (European longterm ecological research infrastructure ) geworden, ein europäisches Projekt, von dem alle Geowissenschaftler profitieren. Wir bauen unsere Technologie in Italien, Spanien und Griechenland auf, mit der Forscher dort Daten gewinnen, die europaweit genutzt werden können.
Warum sagen Sie persönlich Ja zur europäischen Idee?
Vereecken: Ich bin in Belgien groß geworden, in einem kleineren Land. Da weiß man, dass man andere braucht, um etwas Größeres bewegen zu können. Zweitens gibt es für mich eine historisch-politische Perspektive. Der Nationalismus hat Europa noch nie viel Gutes gebracht. Vielleicht sollten wir die europäische Idee und die Vorteile, die Europa mit sich bringt, viel mehr in den Vordergrund stellen. Nicht nur aus Sicht der Forschung.
Wo wird die Europäische Union für einen Boden-Forscher sichtbar?
Vereecken: Im Austausch von Daten. Indem wir Teil der Elter-Infrastruktur sind, verbessern wir unsere Modelle, weil wir die Daten der europäischen Kollegen nutzen können. Die Sentinel-Mission der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) ist ein riesiger Gewinn für die Erdsystemforschung. Die Satelliten-Daten werden der Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt. Unsere Messdaten werden genutzt, um die Sentinel-Daten zu validieren. Andererseits benutzen wir die ESA-Daten, um sie in unsere Modelle zu integrieren, damit wir eine bessere Vorhersage beispielsweise für Bodenfeuchte machen können. Oder in der Sorge vieler britischer Forscher davor, dass der Brexit für ihre Arbeit zu einem Problem wird.
Haben Sie britische Partner? Welche Probleme könnte der Brexit für diese Partnerschaften bedeuten?
Vereecken: Wir haben eine intensive Kooperation mit mehreren Universitäten in Schottland. Wir haben entschieden, diese Kooperation weiter zu verfolgen, weil sie für uns wichtig ist, trotz der jetzigen ungewisse Lage durch die Brexit-Überlegungen. Sollte es zum Brexit kommen, könnte ich mir vorstellen, dass die Kooperation mit dem Vereinigten Königreich schwieriger wird. Die EU ist die wichtigste Finanzierungsschiene für Kooperationen über die Ländergrenzen hinweg, insbesondere für Jülich als außeruniversitäre Einrichtung. Nach dem Brexit könnte es für uns schwieriger werden, Geldmittel für Projekte zu finden, die wir mit diesen Universitäten in Schottland machen wollen.
Wo werden Forschungsergebnisse sichtbar, die Sie aus europäischen Kooperationen gewinnen?
Vereecken: Ein Beispiel sind die Daten der Europäischen Wettervorhersage ECMWF (European Centre for Medium-Range Weather Forecasts). Von da bekommen wir täglich die Prognosen und Rahmenbedingungen für Europa. Damit können wir Vorhersagen zur Bodenfeuchte machen, für NRW auf zwölf Kilometer genau. Das hilft auch Landwirten dabei, ihr Agrarmanagement zu verbessern. Andere bei uns und in Europa entwickelte Technologien unterstützen die Automatisierung der Landwirtschaft mithilfe von Robotern und Drohnen. Wir können mit Drohnen gewonnene Informationen nutzen, um Erkenntnisse zu gewinnen, wie einzelne Parzellen am besten gedüngt werden. Das gilt auch für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.
Es ist also richtig, zu sagen, dass Sie Dank Europa mehr wissen können?
Vereecken: Ja, und mehr machen können. Früher blieb das auf die Nationalstaaten beschränkt. Elter beispielsweise wäre ohne Europa nicht entstanden, weil es in einem Land alleine dafür nicht die Mittel gegeben hätte. Bei diesen großen Forschungsinfrastrukturen hat Europa viel bewegt.