Eine von wenigen in Deutschland : Wohngruppe in Zweifall bietet Schutzraum für LGBT*-Jugendliche
Stolberg In Deutschland gibt es nur ganz wenige LGBT*-Wohngruppen als stationäres Jugendhilfeangebot – eine davon in Stolberg. Bewohner und Betreuer berichten von der Bedeutung der Einrichtung – und warum dieses separate Angebot überhaupt gebraucht wird.
Die Einrichtung liegt ziemlich versteckt in einer Nebenstraße, hinter Bäumen und mitten im Grün. Doch das bedeutet keinesfalls, dass das Zentrum für soziale Arbeit seine LGBT*-Wohngruppe in Stolberg-Zweifall verstecken möchte. Im Gegenteil: „Das hier ist kein Abschotten und Stigmatisieren. Wir machen viele Aktivitäten außerhalb der Gruppe und wollen, dass die Jugendlichen ein möglichst normales Leben führen“, erläutert Günter Kriescher. Der stellvertretende pädagogische Einrichtungsleiter hat mit seinen Kollegen das Haus an der Apfelhofstraße, das in Trägerschaft des Evangelischen Frauenvereins Aachen steht, eröffnet. In diesem können lesbische, schwule, bisexuelle und Transgender-Menschen – dafür steht die Abkürzung LGBT* – seit dem vergangenen Juli unterkommen.
Und Kriescher legt viel Wert darauf, dass dieses nicht als isolierter Raum wahrgenommen wird. Gleichwohl betont er: „Die Wohngruppe bietet einen Schutzraum, in dem die Jugendlichen sich entfalten können.“
Dabei gehe es nicht nur und primär um das Zurechtfinden mit dem LGBT*-Hintergrund, sondern auch um weitere Schwierigkeiten wie psychische Probleme und Auswirkungen von Mobbing-Erfahrungen. Gruppenleiterin Janina Kempen ergänzt: „Jeder hat hier mit seinen Bedürfnissen und Interessen einen Platz.“
Dass der Standort das eher abgelegene Zweifall geworden ist, habe sich aus verschiedenen Gründen so ergeben. Das Gebäude sei von der evangelischen Kirchengemeinde Zweifall angemietet und bisher als Angebot für minderjährige Flüchtlinge genutzt worden. „Aber die Zahlen sind seit einiger Zeit rückläufig, deshalb gab es hier die Kapazität für unsere ohnehin geplante LGBT*-Wohngruppe“, erzählt Kriescher die Entstehungsgeschichte.
Inzwischen, knapp ein Jahr nach der Eröffnung, habe sich die Lage als Glücksfall herausgestellt. Denn viele der Jugendlichen hätten vor ihrem Einzug eine schwierige Zeit erlebt. „Dieser Ort ermöglicht ihnen erst mal ein Ankommen außerhalb der großen Stadt, hier können sie zur Ruhe kommen“, berichtet er von seinen Erfahrungen. Maßgeblich dazu beitragen würde die Einteilung des Hauses, denn jede und jeder Jugendliche habe ein eigenes Badezimmer.
Ein wichtiger Faktor, denn vor etwa drei Jahren sei in einer anderen Wohngruppe mit einem Trans-Jungen die Frage aufgekommen, welche Toilette er nutzen darf. „Unter anderem aus solchen Gründen ist LGBT* im regulären stationären Jugendbetrieb zurzeit noch schwieriger abzubilden“, erläutert Kriescher die Problematik. Aus dieser und weiteren Erfahrungen sei die Idee entstanden, für Jugendliche mit LGBT*-Hintergrund ein eigenes Angebot zu gestalten.
Zweite Wohngruppe deutschlandweit
Doch schnell haben Günter Kriescher und Janina Kempen festgestellt, dass dieses Konzept noch nicht weit verbreitet war. Lediglich eine andere stationäre Einrichtung habe es zu diesem Zeitpunkt in Köln gegeben. „Die Erstellung unseres Konzeptes hat etwas länger gedauert, weil es solch ein Angebot quasi nirgendwo sonst gab.“ Von der Idee bis zur Eröffnung habe es schließlich rund zwei Jahre gedauert, da das Vorhaben noch umfangreich geprüft und begleitet werden musste.
„Das war schon ein mutiger Schritt, denn es war ja ein Versuch, der nicht wenig Geld gekostet hat. Und damals konnten wir nicht absehen, ob das Angebot überhaupt gut angenommen wird“, erinnert sich Janina Kempen. Das siebenköpfige Team, das in 24-Stunden-Diensten eine lückenlose Betreuung sicherstellt, wurde schnell eines Besseren belehrt: Anfragen kommen aus ganz Deutschland, schon nach wenigen Monaten waren die sechs Plätze belegt, inzwischen gibt es eine Warteliste.
Der 17-jährige Despo wohnt seit September in Zweifall. Er erzählt unter anderem von Problemen in der Schule. „Ich brauchte einfach einen anderen Bereich, in dem ich mich frei bewegen kann“, sagt er. „Die Gruppe hat vieles möglich gemacht und mich unterstützt bei Sachen, die ich mich vorher nie getraut hätte.“ Als ein Beispiel nennt Despo seine Haare, die er vor einiger Zeit blau gefärbt hat.
Wenn man den 17-Jährigen nach seinem schönsten Erlebnis in der Wohngruppe fragt, muss er nicht lange überlegen: „Das war eigentlich direkt am ersten Tag, als ich hier angekommen bin. Da habe ich gemerkt, dass ich mich wohlfühle und hier bleiben möchte.“ Diese Worte bringen Gruppenleiterin Janina Kempen zum Lächeln. „Bei solchen Aussagen geht mir das Herz auf. Das ist ein riesiger Unterschied zu vielen anderen stationären Jugendhilfeangeboten: Hier sind die Jugendlichen, weil sie sich aus eigenem Antrieb beim Jugendamt gemeldet haben“, stellt sie fest.
Die Bereitschaft mitzuarbeiten sei extrem groß, die Bewohnerinnen und Bewohner würden jeglichen Input aufsaugen und sich entwickeln. Das gelte nicht nur für die Verbindung zwischen dem pädagogischen Betreuerteam und den Jugendlichen. „Auch unter den Jugendlichen gibt es hier eine wahnsinnig große Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme. Jeder wird akzeptiert, wie er ist.“ Sie ließen sich gegenseitig einfach mal erzählen, auch wenn manche Themen sie vielleicht gar nicht interessieren würden. „Wir haben immer ein offenes Ohr“, bekräftigt Despo.
Angebot ausbauen
Weil die Wohngruppe so gut angenommen wird, will das Zentrum für soziale Arbeit Burtscheid sein Angebot in Aachen erweitern. Ein Verselbstständigungsangebot mit vier Plätzen soll die stationäre Jugendhilfe in Zweifall ab Jahresende ergänzen. „Das wird dann im Prinzip wie eine WG, in der die jungen Erwachsenen den Weg in die Selbstständigkeit gehen sollen“, erläutert Janina Kempen. Zudem kristallisiere sich heraus, dass der Bedarf in der Trans-Identität am größten sei. Deshalb werde darauf künftig wohl der Schwerpunkt liegen.