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Nach der Katastrophe: Projekt „Traumfänger“ soll helfen, das Fluttrauma zu überwinden

Nach der Katastrophe : Projekt „Traumfänger“ soll helfen, das Fluttrauma zu überwinden

Viele Kinder und Jugendliche leiden noch immer unter dem, was sie während und nach der Hochwasserkatastrophe erlebt haben. Das Projekt „Traumfänger“ des SkF Stolberg soll ihnen bei der Verarbeitung helfen.

Die Sonne bahnt sich ihren Weg durch die großen Fensterscheiben. Auch die farbenfrohe Einrichtung sorgt für eine ausgesprochen angenehme Atmosphäre. Es herrscht absolute Stille. Friedlicher kann ein Ort kaum sein.

Silke Larsen-Biederstedt und Barbara Eßer genießen den Augenblick der Ruhe. Gemeinsam sind sie und die beim Gespräch mit unserer Zeitung fehlende Jennifer Honné für das Projekt „Traumfänger“ verantwortlich, das der SkF Stolberg im Januar gestartet hat. Es richtet sich an Kinder und Jugendliche, die von den Ereignissen während und nach der Hochwasserkatastrophe traumatisiert worden sind und deshalb Hilfe benötigen.

Nachdem das Programm zunächst im SkF-Haupthaus an der Birkengangstraße unter ziemlich beengten Umständen angelaufen war, stehen seit einigen Tagen nun deutlich größere und sehr freundliche Räume im alten Pfarrhaus der Pfarre St. Lucia in der Altstadt zur Verfügung. Hier gibt es ein Aktionszimmer, einen Besprechungsraum, Büros, Toiletten und eine Küche. Und damit vielfältige Möglichkeiten, mit den jungen Menschen in kleinen Gruppen die Fluterlebnisse aufzuarbeiten.

„Wir verfolgen kreativ-künstlerische Ansätze, unterbreiten aber auch Bewegungsangebote“, nennt Barbara Eßer zwei Beispiele für die Arbeit mit den Kindern. Im einen wie im anderen Fall gehe es darum, dass sich die Mädchen und Jungen in einer geschützten Umgebung öffnen, ausdrücken und auch austoben können. Und darum, dass Ängste abgebaut und positive Gefühle gestärkt werden.

„Normalität und Gemeinschaft zu erleben, Spaß zu haben und eine gewisse Lockerheit zu entwickeln – das alles ist für die von der Flut betroffenen Kinder sehr wichtig“, weiß die Erzieherin und Sozialpädagogin aufgrund der bisherigen Erfahrungen. „Viele von ihnen haben durch das Hochwasser alles verloren“, gibt Silke Larsen-Biederstedt zu bedenken und ergänzt: „Die Wohnung, die sozialen Kontakte und die Freude am und im Leben.“

Um dies zu ändern, umfasst das Projekt „Traumfänger“ auch tiergestützte Angebote. Ein Therapiehund kommt ebenso regelmäßig zum Einsatz wie Pferde. „Tiere haben eine entspannende Wirkung. Sie bringen die Kinder zum Lachen, und sie bewerten nicht“, nennt Larsen-Biederstedt wichtige Aspekte der Arbeit, an der jeweils Kooperationspartner beteiligt sind.

Noch nicht realisiert werden konnten bis dato die geplanten Gruppenstunden im Schwimmbad. „Das Problem ist, dass das Eschweiler Hallenbad zerstört und die Stolberger Halle deshalb fast immer ausgebucht ist“, bedauert die Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin. Auf Besserung hofft sie für den Sommer. „Dann soll das Wasser wieder als positives Element und nicht als Bedrohung erlebt werden können“, kündigt Katja Buchstaller an. Sie ist als Bereichsleiterin ebenfalls an dem Projekt „Traumfänger“ beteiligt.

Und sie weiß um die besondere Herausforderung, die sich stellt, wenn sich die von der Flut traumatisierten Kinder bewusst mit Wasser auseinandersetzen werden. „Es gibt immer noch viele Kinder, die nicht schlafen können, wenn es regnet“, gibt Buchstaller zu bedenken. „Andere laufen bei starkem Regen nach draußen, weil sie sich im Haus nicht sicher fühlen.“ Für junge Menschen mit Fluchterfahrung habe die Hochwasserkatastrophe sogar schon die zweite Traumatisierung ausgelöst. Sie seien oftmals emotional und psychisch besonders stark betroffen und deshalb auch besonders hilfsbedürftig.

Schätzungen der Stadt Stolberg aus dem vergangenen Herbst besagen, dass bis zu 1000 Kinder und Jugendliche von der Flut traumatisiert sein könnten – in unterschiedlicher Ausprägung. Vor diesem Hintergrund erscheint die Zahl von aktuell 40 im „Traumfänger“-Projekt betreuten Kinder recht überschaubar. „Das stimmt natürlich“, räumt Barbara Eßer ein. „Aber uns war es wichtig, in Kleingruppen zu arbeiten, um den individuellen Bedürfnissen eines jeden Betroffenen gerecht werden zu können.“ Außerdem seien die verfügbaren Zeitfenster klein, denn: „Die offene Ganztagsschule geht oft bis 16 Uhr.“

Die besagten Bedürfnisse werden in der Regel in einem Vorgespräch mit den Eltern abgeklärt. Zu vielen von ihnen hatte der SkF Stolberg bereits vor dem 14. Juli 2021 über das Familienprojekt „Oberstark“ Kontakt. Darüber hinaus hat der Sozialverband die Grundschulen und Kitas über den Start von „Traumfänger“ informiert und die eigenen Beraterinnen für das Thema und Angebot sensibilisiert.

Nicht zuletzt, so berichtet Silke Larsen-Biederstedt, spreche sich auch unter den Kindern herum, dass es sich lohnen könnte, beim SkF und jetzt im alten Pfarrhaus von St. Lucia vorbeizuschauen. „Das hat zu erstaunlich viel Zuspruch geführt“, freut sie sich und nennt ein aktuelles Beispiel: „Am ersten Tag des Osterbastelns waren acht Kinder da. Am zweiten Tag dann über 30.“

Angesetzt sind das mit Spenden finanzierte Projekt und seine kostenlosen Angebote zunächst für ein Jahr. Eine Verlängerung können sich Silke Larsen-Biederstedt und Barbara Eßer aber bereits jetzt vorstellen. „Das würde es uns ermöglichen, noch mehr Kinder zu erreichen“, sagt Eßer.

Manchmal allerdings sei die Beeinträchtigung durch die Flut so groß, dass die Verantwortlichen eine weitergehende psychologische Behandlung empfehlen. „Falls wir einen Bedarf feststellen, der unsere Möglichkeiten übersteigt, informieren und beraten wir die Eltern entsprechend“, versichert Katja Buchstaller. Allerdings übersteige die Nachfrage nach Therapieplätzen das Angebot deutlich.

Unabhängig von der Dauer des Projektes „Traumfänger“ laufen bereits jetzt die Vorbereitungen für die Zeit danach, berichtet die Bereichsleiterin. „Wir streben eine nachhaltige Vernetzung an. Damit den Kindern auch dann noch geholfen werden kann, wenn es das Projekt ‚Traumfänger‘ nicht mehr geben wird.“