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Überlebenskampf bei Kerpen: „Ohne die Flut wäre uns das so nicht gelungen“

Überlebenskampf bei Kerpen : „Ohne die Flut wäre uns das so nicht gelungen“

40 Millionen Euro Flutschaden und eine weiterhin existenzbedrohende Situation lassen bei der Kerpen Datacom GmbH eigentlich kaum Raum für positive Aspekte. David Schlenter will diese aber dennoch nicht außer Acht lassen und verbreitet Zuversicht.

90 Prozent der Produktionskapazität wollte David Schlenter bis zum Ende des Jahres erreichen. „Das wird leider nicht klappen“, stellt der Geschäftsführer der Kerpen Datacom GmbH fest und revidiert sein Ziel, das er Mitte Oktober im Gespräch mit unserer Zeitung formuliert hatte: „Aktuell liegen wir bei 55 bis 60 Prozent. Ich hoffe, dass wir im Januar auf 80 Prozent kommen werden.“

Das ist dann immer noch ein stolzer Wert, wenn man bedenkt, dass das Werk an der Zweifaller Straße in Stolberg bei dem verheerenden Hochwasser am 14. und 15. Juli völlig verwüstet worden war. Rund 40 Millionen Euro stehen in der Schadensbilanz des jungen Unternehmens, das Schlenter zwei Wochen vor der Flut gemeinsam mit einigen Investoren gegründet und damit die komplette Schließung des von der Leoni AG aufgegeben Standortes verhindert hatte.

Die exakte Summe wird frühestens im Februar benannt werden können, wenn die externen Sachverständigen ihre Berichte vorlegen. Dann erst kann der Geschäftsführer auch den Antrag auf Hochwasserhilfe stellen – verbunden mit der Hoffnung, dass die Gelder aus Düsseldorf und Berlin reichen werden, um die Differenz zwischen dem tatsächlich entstandenen Schaden und dem, was die Versicherungen zahlen werden, ausgleichen zu können. „Diese Staatshilfen sind überlebenswichtig für uns.“

Über eine mögliche Zwischenfinanzierung ist David Schlenter mit den Banken und Eigentümern schon länger im Gespräch. Und insbesondere für Letztere ist er voll des Lobes. „Sie stehen wirklich bedingungslos hinter dem Unternehmen und sind davon überzeugt, dass wir diese Krise überwinden werden.“ Der Geschäftsführer ist das auch, aber er verweist darauf, dass dafür noch viel getan werden muss. „Wir sind noch nicht über den Berg. Der Weg ist lang und steinig.“ Und auch mit Rückschlägen verbunden, wie ein aktuelles Beispiel zeigt: „Unsere schnellste Verseilmaschine sollte eigentlich ab Dezember wieder laufen. Aber die langen Lieferzeiten für Ersatzteile haben uns einen Strich durch die Rechnung gemacht“, berichtet Schlenter.

Vorangehen soll es dennoch: Bis März, so ist der Plan, werden nahezu im Wochentakt weitere reparierte Maschinen bei dem auf die Herstellung von Datenkabeln spezialisierten Unternehmen wieder in Betrieb genommen werden. Und damit sukzessive auch wieder mehr Aufträge abgearbeitet. „Unsere Kunden bleiben uns bislang treu“, freut sich der 45-Jährige. Allerdings sei das in Teilen auch der hohen Nachfrage auf dem Markt zu verdanken. „Wenn man zu einem anderen Lieferanten wechselt, geht es auch nicht viel schneller. Die allgemeine Versorgungslage ist relativ schwierig.“ Was daran liege, dass Mitbewerber abgesehen von der Flut ähnliche Probleme hätten wie die Kerpen Datacom: „Die Verfügbarkeit von Rohstoffen ist derzeit begrenzt. Außerdem sind beispielsweise Kunststoffe, Folien und Verpackungen schwer zu bekommen.“

Gleichwohl würden alle Mitarbeiter ihr Bestes geben, um zumindest die „kritischsten Produkte“, das heißt die für die Kunden wichtigsten, herstellen und ausliefern zu können. „Wir sind in der glücklichen Situation, trotz der massiven Krise nicht einen einzigen Mitarbeiter entlassen zu haben“, stellt David Schlenter mit Stolz fest. Nicht nur das: „Wir haben die Belegschaft sogar leicht von 160 auf 170 aufgestockt. Und wir sind sehr zuversichtlich, dass wir im Laufe des nächsten Jahres die 200er-Grenze überschreiten werden.“ Wenn erst einmal alle Maschinen wieder einsatzfähig seien, werde sich das auch spürbar auf die Kapazitäten auswirken. „Bei Kerpen Datacom wird dann deutlich mehr produziert werden als vor der Hochwasserkatastrophe.“

Und an der Zweifaller Straße werden darüber hinaus noch mehr Menschen arbeiten. Ende des zweiten Quartals 2022, so die aktuelle Prognose, soll das direkt an der Straße liegende, sechsstöckige Verwaltungsgebäude des Unternehmens vollständig saniert und somit bezugsfertig sein. Anschließend werden etwa 120 städtische Verwaltungsmitarbeiter dort ihre Schreibtische beziehen.

 „Wir wollen hier etwas aufbauen“, sagt David Schlenter und zeigt sich zuversichtlich, dass das trotz der verheerenden Hochwasserschäden gelingen wird.
„Wir wollen hier etwas aufbauen“, sagt David Schlenter und zeigt sich zuversichtlich, dass das trotz der verheerenden Hochwasserschäden gelingen wird. Foto: MHA/Michael Grobusch

Auch das ist eine Folge des Hochwassers. Weil das Rathaus am Kaiserplatz Mitte Juli ebenfalls schweren Schaden erlitten hat und deshalb langfristig nicht mehr genutzt werden kann, richtet die Stadt Stolberg schrittweise Ersatzarbeitsplätze an verschiedenen Standorten ein – bei Kerpen Datacom beispielsweise, aber auch bei der Firma Mäurer & Wirtz, wo die Büroräume bereits fertiggestellt worden sind. „Das ist ein sehr stabilisierender Faktor in unserer Planung“, ordnet David Schlenter den zunächst für fünf Jahre abgeschlossenen Nutzungsvertrag mit der Stadt ein.

Wie er die zurückliegenden dann fünfeinhalb Monate am Ende des Jahres einordnen wird, weiß der Geschäftsführer unterdessen noch nicht. „Vom Gefühl her müsste das Jahr mindestens noch einen Monat mehr haben. Denn es gibt so viel zu tun, und ich bin voller Tatendrang.“

Weil zum 1. Januar eine neue Betriebssoftware eingeführt wird, werden neben dem Chef auch viele Mitarbeiter zwischen Weihnachten und Neujahr durcharbeiten. Finanziell belohnen kann David Schlenter die Kolleginnen und Kollegen dafür nicht. „Das lässt unsere finanzielle und allgemeine Lage leider nicht zu.“ Die Wertschätzung wird deshalb vor allem in Form von Worten und Gesten übermittelt. Bei der Weihnachtsfeier auf dem Betriebsgelände ist das bereits geschehen. Aber auch in zahlreichen Einzelgesprächen.

In denen wird Schlenter dann wohl auch das formulieren und formuliert haben, was er gegenüber unserer Zeitung zum Ausdruck bringt: „Wir haben da etwas ganz Besonderes geschafft. Ohne die Flut wäre uns das so möglicherweise nicht gelungen.“ Der Geschäftsführer verweist auf die auch auf Dauer unglaublich hohe Motivation in der Belegschaft, auf den Zusammenhalt und die Bindung. „Das Für- und Miteinander war für mich immer ein wesentliches Ziel der Unternehmenskultur. Aufgrund des Hochwassers ist die Basis hierfür jetzt deutlich stärker.“

Und somit sind auch die Voraussetzungen gut, um weitere Ziele zu erreichen. „Ich möchte hier gut bezahlte Jobs halten und schaffen“, sagt David Schlenter. „Und wir wollen hier alle gemeinsam eine positive Entwicklung hinlegen.“ In drei bis vier Jahren hofft der Geschäftsführer über den bereits erwähnten Berg zu sein. „Erst dann werde ich richtig und in Ruhe zurückblicken. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass ich zufrieden sein werde mit dem, was ich sehe.“