Mediensucht : Kinder, Jugendliche und Eltern nicht alleine lassen
Eschweiler/Stolberg Während der Corona-Pandemie hat das Phänomen bei jungen Menschen weiter zugenommen. Doch auch die Sensibiltät gegenüber dem Problem wird größer. Mitarbeiterinnen der Fachstelle für Suchtprävention sehen im offenen Umgang mit dem Thema einen Schritt in die richtige Richtung.
„Es ist ein Spagat“, stimmen Nicole Radis und Elke Koch vollkommen überein. Einerseits zählt die Digitalisierung zu den Zukunftsthemen schlechthin. Und zwar in nahezu allen Bereichen des Lebens. Nicht zuletzt in den Schulen. Andererseits nimmt das Problem der Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen stetig zu, wie zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen. Eine Entwicklung, die durch die Coronavirus-Pandemie und den Maßnahmen zu ihrer Eindämmung noch einmal verstärkt wurde.
„In den zurückliegenden nun beinahe zwei Jahren sind für Kinder und Jugendliche vielfach die Alternativen zum Internet, Handy oder Smartphone weggebrochen“, nennen die Mitarbeiterinnen der Fachstelle für Suchtprävention in der Städteregion Aachen, die in Trägerschaft des Diakonischen Werks im Kirchenkreis Aachen steht, Fakten. Die „JIM-Studie“ (Jugend, Information, Medien) des „Coronajahrs“ 2020 belegt mit Zahlen, dass sich das Mediensverhalten junger Menschen im Alter von 12 bis 19 Jahren noch einmal stark verändert hat.
So hat es unter anderem einen deutlichen Schub in der Ausstattung mit Mediengeräten (Computer, Laptop, Tablet, Fernseher mit Internetzugang), einen deutlichen Anstieg der täglichen Internetnutzungsdauer (258 Minuten pro Tag für Unterhaltung, Kommunikation und Spiele), einen Anstieg des durchschnittlichen Fernsehkonsums und einen Anstieg der durchschnittlichen Nutzungsdauer von digitalen Spielen (121 Minuten pro Tag), insbesondere bei Jungen, gegeben, wie die Erhebung mit 1200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der zuvor genannten Altersgruppe gezeigt hat.
Konsumverhalten verändert
Allerdings scheuen Nicole Radis und Elke Koch die Schlussfolgerung, dass diese Entwicklung einzig und alleine der Corona-Pandemie geschuldet ist. „Wir leben in einer derart schnelllebigen Zeit, in der sich das Konsumverhalten in Sachen Medien und Digitalisierung enorm verändert, dass wir schlicht und einfach nicht wissen, wo wir ohne Corona stünden“, gibt Elke Koch zu bedenken.
Positiv bewerten die beiden Präventionsfachkräfte, dass das Thema „Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen“ inzwischen grundsätzlich auf der Agenda stehe und Aufmerksamkeit erhalte. Sowohl bei den Eltern als auch in Schulen und Kindergärten sowie bei den Verantwortlichen weiterer Institutionen und Einrichtungen. „Entscheidend ist, die Kinder und Jugendlichen, die aufgrund eines veränderten Verhaltens Anzeichen einer Mediensucht zeigen, nicht alleine zu lassen“, so Nicole Radis.
Klar müsse sein, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Mediensucht als eine Erkrankung einstufe, die Suchtberatung aber keine Diagnostik betreibe. Deshalb sei die Vernetzung und die Zusammenarbeit aller Beteiligten von größter Bedeutung. „Medienkompetenz“ zu erlangen, laute das Stichwort.
Für Kinder, Jugendliche, Eltern und Institutionen. Dabei sei die Reflektion des eigenen Nutzungsverhaltens in Sachen Medien von größtem Nutzen. Und Ehrlichkeit: „Können wir das Rad noch einmal zurückdrehen?“, stellt Elke Koch eine eher rhetorische Frage. Gestärkt werden müsse das Miteinander. Auch und gerade das der Eltern untereinander. „Nicht selten glauben Menschen, dass es nur innerhalb ihrer Familie Probleme gibt. Im Gespräch miteinander wird dann oft deutlich, dass auch andere Familien mit bestimmten Dingen zu kämpfen haben. Gemeinsam lassen sich Probleme aber viel besser lösen“, plädiert Nicole Radis für Offenheit. Suchtvorbeugung bedeute häufig, am Thema Beziehung zu arbeiten.
Ein kritischer Blick sei natürlich unabdingbar, doch die alleinige Fokussierung auf Defizite selten hilfreich. Die Corona-Pandemie habe Probleme offengelegt und für neue Probleme gesorgt. Ohne Digitalisierung wäre der Schulunterricht quasi komplett unmöglich geworden. Was im Umkehrschluss nicht bedeute, dass die Digitalisierung nun in jeder Hinsicht das Allheilmittel für Kinder und Jugendliche wäre.
Schließlich sei der Mensch ein soziales Wesen und persönliche Kontakte seien gerade für junge Menschen vollkommen unabdingbar. „Unser Lösungsweg lautet, so viel Digitalisierung wie nötig, so viel Präsenz wie möglich“, favorisieren Elke Koch und Nicole Radis den Grundsatz „Maß und Mitte“. Und fordern, den Austausch zwischen Eltern, Schulen, Kindergärten, Jugendämtern und weiteren Institutionen voranzutreiben. „Damit alle Betroffenen wissen, dass sie nicht alleine sind mit ihren Problemen“, erklärt Elke Koch.