Erste Wiedereröffnung : In den Steinweg kehrt ganz langsam das (Geschäfts-)Leben zurück
Stolberg Seit dem Hochwasser gleicht der Steinweg in Stolberg einer Geisterstraße. Doch seit einigen Wochen hat das erste Geschäft wieder geöffnet, weitere werden folgen. Geschichten von Überforderung, Zuversicht und Vorfreude.
Auf dem Weg durch den Steinweg in der Stolberger Innenstadt läuft man rechts und links noch immer an verrammelten Ladenlokalen vorbei, hin und wieder begleitet von Baulärm. Doch mittendrin bleibt der Blick an einem Bild hängen, das heraussticht: dem Geschäft von Jasmin Schön. Ihre Goldschmiede „Goldstück“ erstrahlt achteinhalb Monate nach der Flut in neuem Glanz.
„Ich beobachte viele Menschen, die eher mit gesenktem Blick hier entlang gehen und dann plötzlich stehenbleiben“, erzählt Schön amüsiert. Seit dem 5. März hat die Geschäftsfrau geöffnet. Damit ist sie die erste, die seit dem verheerenden Hochwasser in Stolberg wieder ihre Arbeit an alter Wirkungsstätte aufnehmen kann – zusätzlich zu Gastronom Ingo Muntaniol. Wobei „alte Wirkungsstätte“ nicht ganz zutrifft, denn sie ist einige Meter weiter in Richtung Innenstadt gezogen.
Richtig realisieren konnte sie die Wiedereröffnung nach Monaten des Ausnahmezustands nicht, erzählt Jasmin Schön. „Seit Jahresbeginn war ich sehr viel mit der Renovierung und Dekoration beschäftigt. Dieser Tunnelblick hat eher ein Gefühl der Überforderung mit sich gebracht.“ Deshalb habe es noch eine Woche gedauert, bis die Tatsache, dass sie jetzt fertig ist, wirklich bei ihr angekommen war.
Seitdem freut sich die 36-Jährige aber jeden Tag über ihre neuen Räume am Steinweg. „Als ich vor einem guten Jahr nach Stolberg gekommen bin, habe ich die alten Sachen aus meiner Werkstatt in Geilenkirchen mitgenommen und drumherum improvisiert. Im Juli war dann sowieso alles weg, also habe ich überlegt, wie meine Traumwerkstatt aussehen würde. Und so habe ich sie dann gestaltet“, berichtet Jasmin Schön von der Entwicklung ihres liebevoll eingerichteten Lokals.
Dass dort aktuell schon so häufig Leute vorbeikommen, hätte sie allerdings nicht gedacht. „Es ist wirklich viel Laufkundschaft hier, und da fällt mein Geschäft im Moment natürlich besonders auf“, stellt die Goldschmiedin fest. Auch für sie ist die jetzige Situation gewöhnungsbedürftig: „Es ist schon merkwürdig, wenn ich aus der Tür gehe und viele Leute noch Schutt in Container werfen, während ich mit Blumen schmücke.“
Dass Jasmin Schön überhaupt in Stolberg bleibt, war zu Beginn nicht klar. Denn die 36-Jährige kommt aus Geilenkirchen und wohnt inzwischen in Aachen-Brand, hätte also auch einen anderen Standort suchen können. „Wenn so etwas Schreckliches passiert, überlegt man schon, ob man hierhin nochmal zurückkommt“, gesteht sie. Überzeugt habe sie letztlich die gute Gemeinschaft unter den Einzelhändlern. Vor allem mit Laura Markenstein und Svenja Oebel, die zur selbst ernannten „Steinweg-Connection“ gehören, habe sie viel über die Zukunft nach dem Hochwasser gesprochen. „Wegen der beiden Mädels bin ich am Ende hauptsächlich geblieben.“
Kooperation ist Modell der Zukunft
Den besonderen Zusammenhalt schätzen auch „die beiden Mädels“ – Laura Markenstein von Zwopunktnull und Svenja Oebel von Oh Sveni Yeah (ehemals Blattrausch). „Auch wenn es gar nicht mein eigener Laden ist, habe ich mich total mitgefreut, als Jasmin wieder aufgemacht hat. Das ist richtig motivierend“, sagt Markenstein glücklich. Ohnehin sei aus den Stolberger Ladenbetreibern eine große Gemeinschaft geworden, auch dank des Marktzeltes auf dem Kaiserplatz. „Aus der Tragik ist eine schöne Gruppendynamik entstanden“, findet auch Svenja Oebel.
In ihrem Laden dauert es auch nicht mehr lange, bis dort wieder verkauft werden kann. In den vergangenen zwei Wochen sei es besonders schnell vorangegangen, so dass die Wiedereröffnung für den 30. April geplant ist. Bis zum Ostersamstag werden Oebel und Markenstein noch gemeinsam beim „Stolberg Comeback-Shopping“ verkaufen, dann liegt der Fokus auf den letzten Handgriffen im neuen alten Geschäft. Die Zusammenarbeit der beiden Frauen, die sich die Verkaufsfläche und -zeit im Marktzelt geteilt haben, wird auch dann bestehen bleiben.
„Unsere Kooperation ist das Modell für die Zukunft. In Svenjas Laden wird es dauerhaft eine Ecke Zwopunktnull geben“, verrät Laura Markenstein. In ihr Ladenlokal ein paar Meter weiter zieht sie voraussichtlich im Sommer mit ihrem eigenen Label Maja ein. „Das habe ich im März 2021 gegründet und kurz vor der Flut die ersten Prototypen im Atelier gefertigt. Das vergangene halbe Jahr habe ich genutzt, um daran weiterzuarbeiten“, erzählt Markenstein. Maja umfasse überwiegend unisex Oberbekleidung und Accessoires, die nachhaltig und fair produziert würden.
Mit der neuen Aufteilung bleibe der Steinweg belebt, „wir nutzen einfach unsere Synergien aus“, freuen sich die beiden Frauen. Die Ergänzung um Kleidung von Zwopunktnull passe gut in das Konzept von Svenja Oebel, die mit der Namensänderung ihres Ladens auf den Neustart reagiert hat. „Oh Sveni Yeah kann alles und nichts sein. Es gibt kein explizites Produkt, das dahintersteht“, erklärt sie. Markenstein ergänzt mit einem Lachen: „Das Geschäft ist kunterbunt und vielseitig – so wie du.“
Die beiden Einzelhändlerinnen fiebern dem Moment der Wiedereröffnung, den Jasmin Schön schon hinter sich hat, mit immer größerer Vorfreude entgegen. Schon jetzt tue es unglaublich gut, zu sehen, wie es im Steinweg Schritt für Schritt vorangehe. „Das fühlt sich an wie nach Hause kommen nach einer langen Reise“, sagt Oebel und Markenstein fügt hinzu: „Mit einem großen Rucksack voller Eindrücke.“