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Orgelmatinee: Erinnerungen an die Zeit vor der Einheit

Orgelmatinee : Erinnerungen an die Zeit vor der Einheit

An die Zeit vor der Einheit Deutschlands erinnerte Gunther Antensteiner mit seiner Orgelmatinée in der Finkenbergkirche. Es ging unter anderem um Nationalhymnen.

Er präsentierte die Hymnen der am Arbeitsprozess zur Deutschen Einheit beteiligten Nationen in verschiedenen Variationen, beginnend mit einer Phantasie im romantischen Stil über die sowjetische Hymne, die Josef Stalin am 1. Januar 1944 eingeführt hatte.

Schon hier zeigte sich Antensteiners große Schwäche für Improvisationen. Vor sich liegend, hatte er nur ein Notenblatt mit der Melodiestimme der jeweiligen Hymne. Ganz aus dem Moment heraus und unvorhergesehen, bediente er sich verschiedener Stile, Formen und Gattungen und setzte sie auf neue, individuelle Weise zusammen.

Der amerikanisch-romantische Stil hatte seine Fortsetzung als Trumpet Voluntary in der USA-Hymne von 1931. Barockmäßig kam die britische Hymne daher, die seit Anfang des 19. Jahrhunderts bei vielen öffentlichen Veranstaltungen des heutigen Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland anzutreffen ist.

Frankreichs Nationalhymne verdankt ihren Namen der Stadt Marseille. Ihre Soldaten sangen die „Marseillaise“ beim Einzug in Paris am 30. Juli 1792, kurz vor dem Tuileriensturm. Der Kantor wusste den kraftvollen, vorwärtsdrängenden Schwung des Marsches nach Freiheit eindrucksvoll zu gestalten.

Während die DDR-Hymne „Auferstanden aus Ruinen“ als Choral angelegt war und von 1972 bis 1990 nur instrumental gespielt wurde, bot der Virtuose auf der „Königin der Instrumente“ die offizielle Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland als Toccata an. Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundestagspräsident Theodor Heuss hatten das Deutschlandlied 1952 festgelegt, wobei Adenauer darauf bestanden hatte, dass bei staatlichen Veranstaltungen nur die dritte Strophe gesungen werden sollte. Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundespräsident Richard von Weizsäcker bestätigten 1991 ebenfalls die dritte Strophe als nationale Hymne.

Der Text stammt von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874). Die Melodie ist vom österreichischen Komponisten Joseph Haydn und Thema seines zweiten Satzes aus dem „Kaiserquartett“ von 1797.

Antensteiners Darbietung zeigte eine unerschöpfliche Vielfalt an Klängen, die zu guter letzt in die Europahymne mündete. Mit dem Aufruf zu Versöhnung und Völkerverständigung, sich im Zeichen der Freude zu vereinen, Grenzen zu überwinden und sich gegenseitig zu unterstützen, endete eine phantasievolle Konzertveranstaltung.

Der Idee für diese Matinée vorausgegangen, war eine Begegnung Antensteiners in der U-Bahn von Seoul vor einigen Jahren. Der Stolberger Kantor wurde von einer jungen Dame auf seine Nationalität angesprochen. Die Koreanerin verband mit Deutschland sofort die Einheit 1990, wohl träumend und hoffend, dass auch ihr Land – Nord- und Südkorea – eines Tages zusammenwachsen wird. 30 Jahre deutsche Einheit waren in diesem Jahr für den Stolberger Organisten der Anlass, über die Geschichte Deutschlands nachzudenken und sie vor seinen Augen lebendig werden zu lassen.

Die Weichen für die deutsche Teilung stellten sich in den Jahren zwischen 1945 und 1949. Deutschland hatte 1945 den Zweiten Weltkrieg verloren, und Sieger waren die verbündeten Länder Großbritannien, Frankreich, die USA und die Sowjetunion, die Deutschland in vier Besatzungszonen aufteilten. 1947 vereinigten die amerikanische und britische Regierung ihre Zonen zu einem Wirtschaftsgebiet. Diese Bizone wurde 1949 durch den praktisch schon 1948 eingeleiteten Anschluss der französischen Zone zur Trizone erweitert und umfasste damit das Gebiet der in den folgenden Monaten gegründeten Bundesrepublik Deutschland, während die UdSSR die auf ihrem Gebiet entstandene Zone zur Deutschen Demokratische Republik erklärte.

Das Fehlen einer Hymne zu besonderen Anlässen führte in Westdeutschland zu besonderen Lösungen. So hieß die heimliche Nationalhymne hier bis 1952 „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“. Bei einem Besuch des Bundeskanzler Konrad Adenauer in Chicago wurde aus Verlegenheit sogar das Kölner Karnevalslied „Heidewitzka, Herr Kapitän“ gespielt.

Während sich die westlichen Staaten auf eine demokratische Grundordnung beriefen und marktwirtschaftlich ausgerichtet waren, besaß die Sowjetunion eine kommunistische Ordnung und betrieb Planwirtschaft. Bald aber offenbarten sich die unterschiedlichen Auffassungen auch in den Verhandlungen und der Ost-West-Konflikt nahm seinen Anfang.

In den 1980er Jahren geriet die Sowjetunion in finanzielle Not und bald wurde die Teilung Deutschlands und der Ost-West-Konflikt beigelegt. Wer diesen Vormittag verpasst hat, kann ihn online unter www.stolberg-evangelisch.de einsehen. Pfarrer Axel Neudorf hat ihn live mitgeschnitten und ins Netz gestellt.