Nach dem Hochwasser : „Es geht um die Gesundheit und das Leben vieler Menschen“
Interview Stolberg Mit seinem „dringenden Appell“ an Bürgermeister Patrick Haas (SPD) hat Alexander Krone (58) für Aufsehen gesorgt. Im Interview erklärt der bekannte ehrenamtliche Helfer aus der Oberpfalz, warum er sich für Flutopfer in Stolberg einsetzt, weshalb er die Stadt kritisiert, und warum er die Lage vieler Menschen als dramatisch einstuft.
Herr Krone, in Ihrem Appell prangern sie die unhaltbaren Zustände an, denen viele Flutopfer insbesondere in Stolberg aus Ihrer Sicht immer noch ausgesetzt sind, und mahnen schnelle Hilfe an. Dabei üben Sie auch deutliche Kritik an der Stadtverwaltung. Die wird allerdings von Bürgermeister Patrick Haas (SPD) zurückgewiesen.
Krone: Ich habe Kritik geäußert, aber nicht Untätigkeit vorgeworfen oder beleidigt. Die Stadtverwaltung bemüht sich intensiv um die Abarbeitung der bekannten Fälle, die oft kompliziert sind. Aber die Betroffenen wünschen sich auch vorausschauende Unterstützung der Vorgesetzten und des Bürgermeisters. Ich habe Ministerin Ina Scharrenbach (CDU) im Oktober um personelle Unterstützung durch Land und Städteregion Aachen gebeten. Die Strukturen in Stolberg sind problematischer und komplizierter als in anderen Hochwasserregionen. Man kann nicht einfach darauf warten, dass sich Betroffene bei der Stadt melden. Viele Menschen haben Hemmungen, sich an die Verwaltung zu wenden und um Hilfe zu bitten. Auf diese Menschen muss man aktiv zugehen.
Seit einigen Wochen machen Studenten der Katholischen Hochschule Aachen eine Umfrage, um zu ermitteln, welche Unterstützung die Betroffenen benötigen. Ist das nicht der richtige Ansatz?
Krone: Bislang wurden 18 Prozent der ca. 4000 betroffenen Wohnungen erfasst – einschließlich eines von mir über den Helfer-Shuttle im Ahrtal vermittelten Aktionstages, an dem so viel erfasst wurde, wie in drei Wochen davor. 42 Prozent der dabei zurückgegebenen Fragebögen mussten als Notfälle ohne Strom, Heizung oder Wasserversorgung eingestuft werden. Diese müssen überprüft werden, die Zahlen geben aber schon einen Einblick in die Dimensionen und die Situation der Menschen.
Wie sehen Sie die aktuelle Lage?
Krone: Wir haben bereits Frost, und in vielen Wohnungen gibt es weiterhin weder Heizung noch warmes Wasser, auch wenn ehrenamtliche Helfer bereits viele Heizgeräte verteilt haben. Durch Schimmel drohen weitere Gesundheitsgefahren für eine nicht bekannte Zahl von Betroffenen. Die Fragebögen erfassen leider nicht, ob Keller frostsicher sind und weitere Schäden durch Ausfall von Wasser- und Abwasserversorgung drohen. Wir Helfer haben Ministerin Ina Scharrenbach, Bürgermeister Patrick Haas und die Stadtverwaltung deutlich darauf hingewiesen, dass wir vor eine eventuelle Unterbringungswelle kommen müssen. Es ist Gefahr in Verzug, es geht ohne Übertreibung um die Gesundheit und das Leben vieler Menschen.
Welche Konsequenzen fordern Sie?
Krone: Es müssen umgehend wirksame Vorsorgemaßnahmen zum Schutz Betroffener vor Kälte, Schimmel und Schadstoffen getroffen und es muss für adäquaten Ersatzwohnraum gesorgt werden. Die Stadt hat zur Klärung der Containerfrage viel Zeit benötigt. Dadurch entstehen erhebliche Mehrkosten. Ich habe Mitte Oktober Patrick Haas über zwölf in Aachen verfügbare bundeseigene Wohnungen informiert, aber bisher wurde mit der Vermieterin nicht einmal Verbindung aufgenommen. Der Vorwurf, man fordere populistisch oder reflexartig Container als simple Lösung, geht jedenfalls ins Leere. Ich möchte klarstellen, dass Container für mich auch nur eine Notlösung zur Vermeidung der Unterbringung in Hallen, Schulen oder ähnlichem sind. Viel besser wäre es, andere Wohnungen als Dauerlösung zu finden.
Die Stadt verweist darauf, dass viele der Betroffenen ihre Wohnung gar nicht verlassen wollen. Und dass sie weder dazu gezwungen werden können, noch verpflichtet sind, überhaupt jemanden in ihre Wohnung hineinzulassen.
Krone: Viele Menschen trauen sich nicht, ihre Wohnung zu verlassen, weil sie Angst haben, dass sie danach keine Wohnung mehr haben werden. Und natürlich gibt es die Unverletzlichkeit der Wohnung, auf die der Bürgermeister verweist. Aber was machen wir bei einer Kindeswohlgefährdung, bei Demenz oder Gefahr in Verzug? Bleiben wir auch da vor der Tür stehen? Ich will nicht dramatisieren, aber ich würde dazu gerne mit der Stadt in einen Dialog treten. Denn diese Problemlagen kennen die Helfer, die seit Monaten solche Fälle der Stadt melden.
Die Stadtverwaltung hat angekündigt, dass insgesamt neun Wohncontainer angeschafft und aufgestellt werden sollen. Werden diese ausreichen?
Krone: Ich finde gut, dass neben anderen Unterbringungsmöglichkeiten nun Container aufgestellt werden sollen. Ansonsten wären Wohnungsbeschlagnahmungen nur schwer zu begründen. Nach den vorliegenden Zahlen wird aber Ersatzwohnraum in viel höherer Anzahl gebraucht werden, und dann können wir nicht weitere sechs Wochen auf neue Container warten.
Eine Option ist, nach einer Reparatur der Heizungsanlage die Zimmer im Hotel Stadthalle für die Unterbringung von Flutopfern zur Verfügung zu stellen. Was halten Sie davon?
Krone: Als ich Innenaufnahmen von dem schwer beschädigten Gebäude gesehen habe, war ich erstaunt, dass die Stadt dort Betroffene unterbringen möchte und mitteilt, dass lediglich die Heizung repariert werden müsse.
Was erwarten Sie von der Stadt Stolberg?
Krone: Ich erwarte, dass die Stadt umgehend belastbare Hochrechnungen vornimmt und nicht weiter Unterbringungsbedarfe nach Aktenlage von Einzelerfassungen abarbeitet. Ich befürchte, dass viele Fälle sonst weiter unterschätzt werden. Außerdem sollten Helfer weder vertröstet noch diffamiert werden. Es geht um die Linderung der Not der Betroffenen und um deren Gesundheit. Es war befremdlich, wie der Bürgermeister auf meinen Brief an ihn, den Städteregionsrat und die Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses reagiert hat. Wir Helfer bekamen eine abgespeckte, unvollständige Antwort, während Fraktionsvorsitzende und Einzelratsmitglieder eine erweiterte Fassung erhielten. In dieser wurden unzutreffende Unterstellungen vorgenommen – vermutlich um zu diskreditieren, oder weil die Anfrage unangenehm war. Wir sollten die Not der Betroffenen im Fokus behalten und gemeinsam wirksame Hilfe organisieren. Dazu ist ein offener, fairer und verlässlicher Dialog erforderlich.
Der Bürgermeister hat Ihnen im Interview mit unserer Zeitung einen Hang zur Selbstdarstellung und zu Populismus vorgeworfen.
Krone: Die Aussagen sind unzutreffend. Aber die Helferinitiativen und auch ich werden weiter unseren Beitrag zur Linderung der Not in Stolberg leisten, notfalls aber auch den Finger in die Wunde legen. Das sind wir den Betroffenen schuldig.