Nächster Industrieschock trifft Stolberg : Bei Leoni Kerpen stehen bis zu 400 Jobs vor dem Aus
Stolberg Wieder ein Schock, wieder ein Traditionsbetrieb: Dem genau seit 100 Jahren in Stolberg produzierenden Kabelhersteller Kerpen droht das Aus. Bis zu 400 Beschäftigten droht die Arbeitslosigkeit.
Der Mutterkonzern Leoni aus Nürnberg, der Kerpen 2006 übernahm, wird sich von seiner Tochter trennen. Das wurde am Donnerstag der Belegschaft verkündet.
Leoni-Vorstand Hans-Joachim Ziems erklärte im Gespräch mit unserer Zeitung, eigentlich würde der gesamte Standort Stolberg geschlossen. Man habe aber zumindest für den Firmenteil, der Datenkabel herstellt, einen Kaufinteressenten an der Hand. Sollte es zu einem entsprechenden Verkauf kommen, könnten zumindest ungefähr die Hälfte der Arbeitsplätze erhalten werden. Sicher ist das aber noch nicht, eine Entscheidung wird bis Ende des Jahres erwartet.
Der Leoni-Konzern, der zum Bereich der Automobilzulieferer zählt und insgesamt über 90.000 Mitarbeiter weltweit hat, sei insbesondere im Jahr 2019 in finanzielle Schieflage geraten, so Ziems. Er ist bekannt als Firmensanierer (ATU, Pfleiderer, Kathrein) und wurde vor einem Jahr bei Leoni ins Boot geholt.
Ein Sanierungsgutachten von Roland Berger habe als ein Ergebnis die Trennung von Kerpen empfohlen. Man habe jedoch für den Datenkabelbereich in dem Kerpen Marktführer sei, und den Bereich der Kunststoffmischungen nach potenziellen Käufern gesucht und sei bei einem „inländischen Unternehmen aus der Branche“ fündig geworden, so Ziems. Nähere Details könne man derzeit nicht nennen.
IG Metall und Betriebsrat zeigten sich von der Entscheidung enttäuscht. Sieben Jahre lang hatten die Mitarbeiter aufgrund eines Ergänzungstarifvertrags mehr gearbeitet und weniger Lohn bekommen. Schon damals sei die Lage am Standort Stolberg schwierig gewesen. Dieser Tarifvertrag stand eigentlich aktuell zur Verlängerung an. Die Beschäftigten seien nach der Verkündung „am Boden zerstört“ gewesen.
Der Grund für die Schieflage beim Leoni-Konzern war indes weniger die Automobilkrise und schon gar nicht Corona. Vielmehr habe sich der Konzern laut Ziems in den vergangenen Jahren mit einem zu schnellen Wachstumskurs im Bereich der Bordnetzwerke für Automobile übernommen und in diesem Zusammenhang zu viele Aufträge angenommen, die man dann nicht abarbeiten konnte. Das Sanierungsgutachten wurde erstellt, um frisches Geld von Banken und anderen Kreditgebern zu bekommen. Unter anderem der Bund und das Land NRW gewährten Bürgschaften in Höhe von 330 Millionen Euro.
In diesem Zusammenhang kritisiert Stolbergs Bürgermeister Patrick Haas (SPD), dass mit solchen öffentlichen Bürgschaften Standortgarantien verbunden sein müssten. Er hat deswegen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gebeten, sich des Falls anzunehmen. Stolbergs IG-Metall-Chef Martin Peters erklärte, man werde um jeden Arbeitsplatz kämpfen und auch selber versuchen, für die von der Schließung betroffenen Bereiche potenzielle Käufer zu finden. Leoni selber sieht insbesondere für das Kerpen-Geschäft mit Kabeln für die Öl- und Gasbranche keine Zukunft.