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Schulsituation in Würselen: OGS-Realität: 40 Kinder essen in Weiden gleichzeitig in kleiner Küche

Schulsituation in Würselen : OGS-Realität: 40 Kinder essen in Weiden gleichzeitig in kleiner Küche

Ein Besuch in der Grundschule in Broichweiden offenbart die zwei Realitäten der deutschen Schullandschaft. Zwei verantwortliche Frauen schildern eindrücklich, wie sie die widrigen Umstände für die Kinder lindern wollen. Ein ungleicher Kampf?

40 Kinder essen hier? Gleichzeitig? In diesem einen Raum? Ja. Und eines der Kinder sitzt immer mit dem Rücken zur Spülmaschine, spürt also den heißen Dampf, wenn sie aufgeht? Ja, auch das ist so. Der Küchen- und Speiseraum (Ja, es gibt keine Trennung) der Grundschule in Weiden ist weit davon entfernt, den Ansprüchen einer modernen Betreuung im Offenen Ganztag zu entsprechen. Ein Besuch in Weiden offenbart eindrücklich zwei Realitäten der deutschen Schullandschaft.

Während die Ansprüche an Schulalltag und Betreuung gesetzlich wachsen, lassen sich die Schulgebäude irgendwann nicht mehr umbauen oder erweitern. Düsseldorfer Theorie und kommunale Praxis führen nicht selten einen ungleichen Kampf. Deswegen müssen in Weiden eben 40 Kinder auf engstem Raum gleichzeitig zu Mittag essen. Fast zynisch klingt es da, dass ebenjener Speise- eigentlich zum Ruheraum für die Kinder umgebaut werden soll. Aber wo keine neue Küche gebaut werden kann, bleibt ein Ruheraum eine Illusion.

Meike Wilop und Nicole Szoszynski verkörpern die andere, die positive Realität. Sie sind im Wettlauf zwischen Theorie und Praxis quasi die Spielleiter. Zwar nennen Schulleiterin Wilop und OGS-Koordinatorin Szoszynski jedes einzelne Problem beim Namen, legen den Finger in die sprichwörtlich offene, in Weiden klaffende Wunde. Aber gleichzeitig sorgen sie dafür, dass der Wettlauf zwischen Theorie und Praxis so gut es geht ausgeglichen daherkommt. Wilop und Szoszynski liefern Lösungen für Probleme, die sie selbst nicht erschaffen haben.

 Verantwortlich für die Abläufe in der Grundschule Weiden: Schulleiterin Meike Wilop (l.) und OGS-Koordinatorin Nicole Szoszynski.
Verantwortlich für die Abläufe in der Grundschule Weiden: Schulleiterin Meike Wilop (l.) und OGS-Koordinatorin Nicole Szoszynski. Foto: MHA/Carsten Rose

„Wir haben die Schule auf links gedreht und alle Räume neu gedacht“, sagt Meike Wilop. Da heute schon immer mehr Eltern ihre Kinder für eine Betreuung nach Schulschluss anmelden und zwischen 2026 und 2029 (jedes Jahr ein weiterer Jahrgang) der Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz greift, steigt der Planungsdruck auf Schul- und OGS-Leitung. Wilop und Szoszynski haben mit dem Kollegium die Räume so umgeplant, dass die Kinder ihre Nachmittage nicht wie die Unterrichtsstunden zuvor zwischen ihren Schulsachen verbringen müssen. Eine ansprechende Betreuung können sie also gewährleisten. Ein „Überzeugungs-Kraftakt“ war das, sagen sie. Lehrer und OGS-Betreuer haben unterschiedliche Vorstellungen von Raumkonzepten.

Wilop und Szoszynski würden auch gerne jetzt schon mehr Kinder in der OGS aufnehmen – Anfragen gebe es genug. „Aber der Dreh- und Angelpunkt ist die Küchensituation“, sagt Schulleiterin Wilop. „Sie ist nicht mehr als ein Notbehelf, so muss man das sagen. Es passt kein weiteres Kind dort rein.“

Bislang gehen die OGS-Kinder in zwei Gruppen essen. Sie haben bis zu einer halben Stunde Zeit für den Mittagstisch inklusive Dessert. Eine dritte Gruppe möchten Wilop und Szoszynski auf gar keinen Fall einrichten. „Dann müssten die Kinder ihr Essen ja herunterschlingen, das wollen wir nicht“, betont Szoszynski. Jetzt schon sei die Atmosphäre in dem engen Raum alles andere als schön. Bislang hat Schulleiterin Meike Wilop offensichtlich noch nicht vor den zahlreichen Herausforderungen resigniert, gleichwohl sagt sie: „2026 könnte alles zusammenbrechen. Es werden mehr Kinder kommen, wir können das nicht aufhalten.“

Endlich ein Pausenraum für das Kollegium: Seit einem Jahr erst haben die Lehrer und Lehrerinnen einen Rückzugsort.
Endlich ein Pausenraum für das Kollegium: Seit einem Jahr erst haben die Lehrer und Lehrerinnen einen Rückzugsort. Foto: MHA/Carsten Rose

Vergangene Woche hat der Würselener Bildungsausschuss getagt. Die Verwaltung hat der Politik in einem Statusbericht dargelegt, wie die unterschiedlichen Grundschulen mit ihren individuellen Raum-Küchen-Problemen übergangsweise umgehen, bis finale Lösungen den Folgen des kommenden OGS-Rechtsanspruches Rechnung tragen. Meike Wilop und Nicole Szoszynski können nachvollziehen, dass die Kommunen in der OGS-Thematik ebenfalls in der Luft hängen, weil das Land NRW noch nicht alle Vorgaben definiert hat. Die Theorie-Praxis-Diskrepanz offenbart sich indes nicht exklusiv zwischen Land und Kommunen: In Würselen vertreten die beiden für die Abläufe in der Grundschule Weiden verantwortlichen Frauen eine andere Auffassung als Schulamtsleiter Hans Brings.

Brings sagte im Ausschuss vergangenen Donnerstag, alle nötigen Maßnahmen müssten bis 2029 gedacht und umgesetzt werden. Es blieben also noch sechs Jahre Zeit. Die Zielmarke 2026, wenn der OGS-Rechtsanspruch für zunächst nur einen Jahrgang in Kraft tritt, erweckt demzufolge zu hohe Erwartungen und Druck. Meike Wilop und Nicole Szoszynski sehen das komplett anders. „2026 muss das Ziel sein, ganz klar, nicht 2029“, sagen die beiden. „Wir haben die große Sorge, dass sonst alles zu lange dauert. Eine neue Küche ist dringend notwendig. Wir sehen die Zeit davonlaufen.“ Und die beiden wollen nicht alle zwei Jahre ein neues Raumkonzept.

Meike Wilop und Nicole Szoszynski feilen derzeit an einem weiteren Kniff, um im Wettlauf Theorie gegen Praxis zu punkten. Und zwar überprüfen sie, inwieweit die starren OGS-Regelungen Ausnahmen zulassen. Ein OGS-Platz bedeutet immer eine fünftägige Betreuung bis 15 Uhr mit Essen. Eltern haben jedoch die Möglichkeit, ihre Kinder mit einem Antrag, der immer kurzfristig zu stellen ist, von einem Betreuungstag zu befreien. Es reicht gleichwohl nicht als Begründung, mehr Zeit mit dem eigenen Kind verbringen zu wollen. Nur offizielle Termine (Sporttraining, Vereinsaktivität, Therapiestunde etc.) bedingen eine Befreiung.

Die Idee: Wenn es zulässig ist, wollen Wilop und Szoszynski ab dem neuen Schuljahr mit den Eltern abklären, ob ein Kind an einem der fünf Schultage schon vormittags nach Hause gehen kann. Und zwar ohne offiziellen Grund. „Wir versuchen, das bisherige Verfahren zu vereinfachen und uns mehr Planungssicherheit zu verschaffen“, erklärt OGS-Koordinatorin Szoszynski. Jedes OGS-Kind, das an einem Nachmittag zu Hause bleibt, entlastet die Küchensituation. „Das ist der letzte Notschritt, den wir gehen wollen“, stellt Schulleiterin Meike Wilop klar. Sie und Ni­cole Szoszynski wollen den Wettlauf nicht vorzeitig, nicht kampflos verlieren.