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Interview mit Heike Xhonneux: Wenn die Grenze wieder ins Bewusstsein rückt

Interview mit Heike Xhonneux : Wenn die Grenze wieder ins Bewusstsein rückt

„Entgeistert“ war Heike Xhonneux, als Ostersonntag verschäfte Regelungen für die Einreise aus den Niederlanden beschlossen wurden. Sie findet: An die Grenzpendler wird in der Pandemie viel zu selten gedacht.

Deutsche Mutter, belgischer Vater, sie selbst lebt in den Niederlanden: Dass sich Heike Xhonneux einmal beruflich mit dem grenzüberschreitenden Geschehen beschäftigt, war fast vorprogrammiert. Die 51-jährige Juristin aus Bocholtz leitet den Grenzinfopunkt Aachen-Eurode. Sie und ihr Team mit drei Vollzeit-Beratungsstellen berät kostenlos Grenzgänger. Seit Ostersonntag und der Verschärfung der Regeln an der niederländischen Grenze ist die Nachfrage rasant gestiegen. Thorsten Pracht hat mit Heike Xhonneux gesprochen.

Frau Xhonneux, auf einer Skala von 1 bis 10 – wie stressig war die Arbeitswoche für Sie?

Heike Xhonneux: Mindestens eine 9, mit Tendenz zur 10. Ich weiß nicht, ob es noch stressiger geht. Aber das geht wahrscheinlich immer.

Was haben Sie gedacht, als die Bundesregierung über Ostern die Niederlande zum Hochinzidenzgebiet erklärt haben?

Xhonneux: Das sollte ich hier nicht wörtlich wiedergeben… Im Ernst: Ich war schon entgeistert. Wir hatten schon mal eine Andeutung gehört, dass ein solcher Schritt kommen könnte. Aber dass am Ostersonntag eine solche Entscheidung kommt, die sofort am nächsten Werktag gültig ist, hat uns schon überrascht. Dass sich niemand vorbereiten konnte, weder die betroffenen Grenzgänger noch wir, das war schon schlimm.

Ganz konkret: Welche Anfragen hatten Sie seither zu beantworten und wie viele?

Xhonneux: Die genaue Zahl kann ich gar nicht sagen. Unsere Webseite war zeitweise nicht erreichbar. Zwischen dem 5. und 7. April hatten wir rund 60.000 Zugriffe auf unsere Seite, 350 Prozent mehr als sonst. Wir hatten schon am Ostermontag über 100 Anfragen, telefonisch und über unser Informationsportal. 90 Prozent davon drehten sich um Coronavirus-Fragen. Das kommt ja noch dazu: Unser Tagesgeschäft läuft parallel weiter. Dazu kommen wir jetzt natürlich kaum noch.

 „Ich glaube, die Leute sind sich der Grenzen wieder bewusster geworden“: Heike Xhonneux leitet den Grenzinfopunkt Aachen-Eurode.
„Ich glaube, die Leute sind sich der Grenzen wieder bewusster geworden“: Heike Xhonneux leitet den Grenzinfopunkt Aachen-Eurode. Foto: Region Aachen Zweckverband

Das Thema Grenzpendler erweist sich während der Pandemie nicht zum ersten Mal als Problem. Wird der Tatsache aus Ihrer Sicht zu wenig Beachtung geschenkt, dass Zehntausende Menschen täglich zwischen Belgien, den Niederlanden und Deutschland die Grenzen überqueren?

Xhonneux: Ja. Uns hier in der Region ist das völlig klar. Aber da, wo die Regeln gemacht werden, ist man sich der Dimensionen nicht ganz bewusst. In erster Linie darüber, welchen Einfluss das auf jeden einzelnen hat. Es gibt natürlich Abstufungen. Das Land Nordrhein-Westfalen kann in seinen Verfügungen auf die Grenzregionen eingehen, bei Bundesregelungen ist das schwieriger.

Sie geben Ihre Erfahrungen in der Umsetzung sicher an die Behörden weiter.

Xhonneux: Ja, wir sind mit den Behörden auf beiden Seiten der Grenze im Kontakt, auch über die Euregio Maas-Rhein. Man merkt dennoch, dass es ganz schwierig ist, Ausnahmen zu finden, die den Menschen helfen.

Welche Ausnahmeregelungen gibt es?

Xhonneux: Generell muss jeder, der älter als 6 Jahre ist, bei der Einreise ein negatives Testergebnis mit sich führen. Das Testergebnis darf nicht älter als 48 Stunden sein. Berufspendler, Schüler und Studenten müssen sich nur alle 72 Stunden testen lassen. Lkw- und Busfahrer müssen sich nicht testen lassen, wenn sie weniger als 72 Stunden in Deutschland bleiben. Auch Eltern, die ihre Kinder zur Schule bringen, sind von der Testpflicht ausgenommen, wenn sie direkt wieder zurückkehren. Aber wenn ich beispielsweise mit meinem Tier zu einem deutschen Tierarzt will, dann brauche ich einen Test.

Was in den Niederlanden nicht so leicht ist. Denn die vielen Schnelltestzentren, die wir in der Städteregion mittlerweile haben, gibt es auf der anderen Seite der Grenze nicht.

Xhonneux: Richtig, das Schnelltestsystem wie in Deutschland gibt es so nicht. In den Niederlanden kann man sich nur testen lassen, wenn man Symptome hat oder einen anderen triftigen Grund vorweisen kann. Und man erhält auch keine schriftliche Bescheinigung. Die einzige Möglichkeit ist, sich im Internet einen Selbsttest zu bestellen – auf eigene Kosten.

Wer in Deutschland krankenversichert ist, kann sich aber testen lassen?

Xhonneux: Ein Arbeitnehmer muss nachweisen, dass er beruflich die Grenze überfährt, und dann gleich zu einem Test fahren. In der Städteregion funktioniert das auch, wenn der Nachweis über eine deutsche Krankenversicherung vorliegt. In anderen Regionen haben wir aber auch schon anderes gehört.

Welchen Beitrag können Sie mit Ihrem Team leisten?

Xhonneux: Wir sind hauptsächlich Erstinformationsportal. Wir haben schon am Ostersonntag die ersten Mitteilungen eingestellt. Diese werden jetzt ständig überarbeitet. Wir merken aber trotz der Daten auf unserer Internetseite, dass die Leute das Verlangen haben, persönlich zu reden. Wird eine Anfrage sehr häufig gestellt, leiten wir sie an die Behörden weiter und bitten um Klärung.

Eigentlich steht die EU für offene Grenzen. Im Moment sieht die Realität gefühlt anders aus.

Xhonneux: Ich glaube, die Leute sind sich der Grenzen wieder bewusster geworden. Eine Grenze als Hürde ist nicht der EU-Gedanke, der uns vorschwebt. Aber es ist schon gut, dass die Leute sich bewusstmachen: Wir koordinieren inzwischen sehr gut, aber wir harmonisieren nicht. Denn die Regeln der einzelnen Länder bleiben ja bestehen.

Letzte Frage: Das European Business Center in Herzogenrath steht genau auf der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden. Wer dort arbeitet, läuft dauernd über die Grenze. Welche Regeln gelten dort?

Xhonneux: Wer die Grenze überschreitet, muss einen negativen Corona-Test vorweisen. Diese Regel gilt auch im EBC und in einigen anderen grenzüberschreitenden Gebäuden auf Avantis. Eine andere Antwort kann ich Ihnen leider nicht geben.