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Würselen: Vortrag: „Vatikan-Frechheit“ bringt Nazis in Wallung

Würselen : Vortrag: „Vatikan-Frechheit“ bringt Nazis in Wallung

Zwei kirchliche Ereignisse lenkten vor 80 Jahren im aufkommenden Nazi-Deutschland das Augenmerk auf sich: die Vorbereitung, Verfassung und Veröffentlichung der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ und als „stummer Protest“ die Heiligtumsfahrt in Aachen.

Mit dem Aufschrei der katholischen Kirche am Palmsonntag 1937 beschäftigte sich als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für das Martyrologium des 20. Jahrhunderts Prälat Helmut Moll (Köln) bei einer Veranstaltung des Geschichtskreises St. Sebastian.

Zunächst erläuterte er in seinen engagierten Vortrag die Motive des damaligen Papstes, Pius XI., für die Enzyklika. Vier Jahre zuvor war am 20. Juli 1933 in Rom mit den neuen Machthabern das Reichskonkordat unterzeichnet worden.

Es regelte das Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und der römisch-katholischen Kirche. Dieses Konkordat sei keine „Liebeserklärung“ und sei auch nicht als moralische Billigung von Handlungen und Grundsätzen des Vertragspartners zu verstehen gewesen. Die Kirche habe sich, so Prälat Moll, davon die Sicherung des religiösen Lebens in Deutschland versprochen.

Schnell seien die Hoffnungen und Erwartungen schmerzlich enttäuscht worden. Spätestens, als die neuen Machthaber ihr wahres Gesicht geoffenbart hätten. „Der Nationalsozialismus wurde zu einer Ersatzreligion ausgeprägt. Die Vereinbarungen wurden gebrochen.

Keine neuen Antworten gefunden

Hinweise aus der Deutschen Bischofskonferenz wurden ignoriert“, führte Moll aus. Bereits 1936 war der Lebensraum der Kirche so eingeschränkt, „dass die stille Diplomatie der Kirchenvertreter nicht ausreichte, neue Antworten zu finden“.

Wie sollte die Reaktion der Kirche in dieser kritischen Situation aussehen? Fünf deutsche Diözesanbischöfe wurden nach Rom unter Vorwänden einbestellt, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Kardinal von Faulhaber aus München wurde beauftragt, einen Entwurf für eine päpstliche Erklärung zu verfassen. Professor Faulhaber hatte durch seine Beschäftigung mit dem Alten Testament eine besondere Sensibilität bezüglich der „Judenfrage“.

Der Kardinalstaatssekretär Parcelli, der spätere Papst Pius XII., und der Papst verschärften die Vorlage ohne den Aufbau und das Thema zu verändern. Der Text habe die „Irrtümer des Nationalsozialismus“ und seine Ideologie argumentativ aufgezeigt. Detailliert ging Moll auf die acht Abschnitte des Werks ein.

Von der Gestapo unbemerkt gelangte die Enzyklika an die 11.500 katholischen Pfarren in Deutschland, um am 21. März 1937 von den Kanzeln verlesen zu werden. Es sei kein Fall bekannt geworden, wo sich ein Geistlicher geweigert hätte, diesem Auftrag nachzukommen.

Daraufhin bezeichnete Propaganda-Minister Joseph Göbbels die Enzyklika als „Vatikan-Frechheit“. Er geißelte sie als „schwere Verletzung des Reichskonkordats“ und verbot die weitere Verteilung. Druckereien der päpstlichen Veröffentlichung wurden geschlossen, enteignet, ihre Mitarbeiter verhaftet. In Aachen traf diesen Racheakt die Druckerei Metz.

Attentat auf Oppenhoff

Um der Kirche zu schaden, ordnete das Propagandaministerium weitere Maßnahmen an. Unter den Opferbeschreibungen ging Prälat Moll auf die Geschichte in Aachen ein, besonders auf den Oberbürgermeister Franz Oppenhoff. Er erinnerte daran, dass Bischof van der Velden sich für den Juristen Oppenhoff als Verantwortlichen für den Aufbau einer neuen Verwaltung eingesetzt habe. Als aufrichtiger Katholik habe der Jurist einen guten Ruf gehabt und sei als Oberbürgermeister bestätigt worden.

Als Anwalt hatte er Juden und Priester juristisch vertreten. Besonders engagiert habe er sich in den Tagen der Veröffentlichung der Enzyklika „Mit brennender Sorgen“ gezeigt. Er vertrat die enteigneten Besitzer der Druckerei Metz vor Gericht. Die Amtsübernahme wurde in Berlin bekannt: Am 25. März 1945 erschossen SS-Schergen Oppenhoff vor seinem Haus in Aachen.

Seit Jahren ist es dem unermüdlichen Prälat Moll ein Anliegen, den Opfern des 20. Jahrhunderts ein Gesicht zu geben und ein ehrendes Andenken zu bewahren.

In seinem Vortrag ordnete er nach Öffnung der Vatikan-Archivalien das Zeitgeschehen neu ein. Demnach werde das päpstliche Schreiben als Höhe- und Wendepunkt der Kirchenpolitik gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland gewertet, betonte er in seinem leidenschaftlichen Vortrag.

Mit einer süßen Wegzehrung, Aachener Printen, dankte der Sprecher des Geschichtskreises St. Sebastian, Hubert Wickerath, dem Theologen für den zweiten Besuch in Würselen.

(ehg)