Nordkreis : Unter der gleißenden Sonne: Interviews zum Thema Hitze
Nordkreis Rechte, Pflichte und wichtige Tipps, um heiße Sommertage so gut wie möglich zu bewältigen. Ralf Woelk, DGB-Regionsgeschäftsführer, und Dr. Friedrich Hölzl, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme und Aufnahmestation am Rhein-Maas-Klinikum, im Interview mit Thomas Vogel.
Herr Woelk, bei Temperaturen über 30 Grad wird es auch am Arbeitsplatz ungemütlich. Beschert das Arbeitnehmern besondere Rechte oder Pflichten?
Ralf Woelk, Deutscher Gewerkschaftsbung(DGB)-Regionsgeschäftsführer: Die Arbeitnehmer haben Rechte, die Arbeitgeber haben Pflichten und beides ist in der sogenannten Arbeitsstättenregel 3.5 geregelt, die auf dem Arbeitsschutzgesetz fußt. Darin sind unterschiedliche Temperaturen angegeben, bei denen verschiedene Dinge in Gang gesetzt werden. Die generelle Höchsttemperatur für Arbeitsräume soll 26 Grad nicht überschreiten. Ab dieser Temperatur soll der Arbeitgeber geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Raumtemperatur zu senken, ab 30 Grad muss er aktiv werden.
Was kann man sich unter „geeignete Maßnahmen“ vorstellen?
Woelk: Da gibt es eine breite Palette an möglichen Dingen — Veränderungen am Gebäude durch Klimageräte oder Klimaschutzanlagen, Jalousien außen, Rollos innen oder das Aufstellen von Standventilatoren etwa. Das sind eher technische Maßnahmen, es gibt aber auch eine Reihe von sozialen Maßnahmen, kostenfreie Getränke zum Beispiel, oder die Aufhebung von Bekleidungsregeln, also weg mit der Krawatte oder dem Sakko. Dazu gehört aber auch die Verlegung von Arbeitszeiten, Ausdehnung von Pausenzeiten und im Extremfall, wenn es nicht anders geht, auch die vorzeitige Beendigung der Tagesschichten — je nach Gewerk natürlich.
Kann der Arbeitnehmer darauf pochen, früher Feierabend zu machen?
Woelk: Nein, das kann man so nicht sagen. Es gibt eine dritte Grenze, die sogenannte 35-Grad-Grenze. Ab dieser Temperatur wird es auch für den Arbeitgeber kritisch, weil er dann, wenn etwas passiert, haftungspflichtig wird. Diese 35-Grad-Grenze wird im Netz gerne auch mal so interpretiert, dass es dann Hitzefrei gibt und alle nach Hause gehen können. Dem ist aber leider nicht so. Die Grenze soll vor allem dem Arbeitgeber eine Linie vorgeben, ab der er haftungsrechtlich ein Problem bekommen kann, wenn er sich nicht um entsprechende Temperaturen am Arbeitsplatz bemüht. Der Arbeitnehmer kann also nicht verlangen, nach Hause geschickt zu werden, er kann aber verlangen, das der Chef sich um eine andere Raumtemperatur kümmert. Der Arbeitgeber hat natürlich die Freiheit, zu sagen: „Ich hab alles versucht, es geht nicht. Ihr könnt nach Hause gehen.“
Was ist, wenn ich merke, dass mir die Temperatur am Arbeitsplatz zu schaffen macht und ich mich nicht wohlfühle?
Woelk: Der Arbeitnehmer kann für sich ab einer bestimmten Schwelle entscheiden: dass ist für mich gesundheitlich nicht mehr tragbar. Allerdings ist das immer eine individuelle Betrachtung, ob es am Ende justiziabel aufrechterhalten werden kann, oder ob ein Gericht das vielleicht anders sieht.
Gehen die Arbeitgeber Ihrer Erfahrung nach auf die Hitze ein, bemühen sie sich?
Woelk: In aller Regel erlebe ich hier in der Region, dass die allermeisten Arbeitgeber mit dem gesunden Menschenverstand an die Sache herangehen. Die haben ja auch ein Interesse daran, dass ihre Beschäftigten nicht nur gesund und arbeitsfähig, sondern eben auch produktiv bleiben. Von daher findet in der Region schon sehr viel statt. Das gilt übrigens nicht nur für Mitarbeiter, die im Büro arbeiten, sondern auch für alle, die außerhalb von Gebäuden arbeiten müssen. Da haben die Arbeitgeber die gleiche Fürsorge- und Haftpflicht. Und zum Beispiel auf dem Bau erleben wir schon, dass da mittlerweile Sonnenschutzmittel oder auch UV-abweisende Kleidung ausgegeben und Wasser gereicht wird. Nicht bei allen, nicht generell, aber schon viel mehr als früher. Es gibt mittlerweile ein ganz anderes Bewusstsein.
Was können Arbeitnehmer tun, wenn ihr Arbeitgeber die Temperaturen einfach ignoriert?
Woelk: Relativ simpel ist es für Betriebe, in denen es einen Personal- oder Betriebsrat gibt. Das wäre ein typischer Fall für diese Stellen. Wo allerdings überhaupt kein Einsehen zu erkennen ist, bleibt nur die individuelle Konsequenz, sich krank zu melden. In der Arbeitsstättenregel steht, ab 35 Grad ist ein Raum nicht mehr als Arbeitsraum geeignet. In den allermeisten Fällen wäre das dann sicherlich auch gerichtsfest. Der Gesetzgeber hat sich bei dieser Regel ja etwas gedacht. Aber das Gespräch mit dem Betriebsrat — sofern vorhanden — oder dem Chef bzw. dem Abteilungsleiter sollte immer die erste Variante sein und das wird nach den Rückmeldungen, die uns erreicht haben, in den allermeisten Fällen auch dazu beitragen, mit der Hitze am Arbeitsplatz umzugehen.
Herr Hölzl, merken Sie die extremen Temperaturen in der Zahl der Rettungseinsätze?
Dr. Friedrich Hölzl, Chefarzt: Unsere Notärzte fahren ein bisschen mehr, allerdings sind die Zahlen nicht signifikant höher. Wir sehen allerdings, dass sich das Einsatzspektrum ein wenig geändert hat. Es sind deutlich mehr Patienten dabei, die kollabiert oder ausgetrocknet sind, die typische Hitzesymptome haben, sag’ ich jetzt mal unspezifisch.
Werden Sie mal spezifisch — was sind typische Hitzesymptome?
Hölzl: Das geht los mit den klassischen Exsikkosen, also zu wenig getrunken zu haben und zu trocken zu sein. Übers Atmen, Ausscheidungen und Schwitzen verliert der Körper immer Flüssigkeit, aber bei diesen Temperaturen ist das einfach noch wesentlich mehr. Normalerweise soll man anderthalb bis zwei Liter am Tag trinken und selbst das machen lange nicht alle Menschen. Bei diesem Wetter müsste man da locker noch mal einen Liter draufsetzen. Wer nicht genug trinkt, dem kann dann schnell schwummrig werden, man bekommt Kreislaufprobleme, der Blutdruck ist zu niedrig und gerade ältere Menschen sind dann schnell so eingeschränkt, dass sie wirklich ins Krankenhaus müssen. Dazu kommen tatsächlich auch Bauchschmerzen, weil der Darm nicht mehr so arbeitet, wenn man zu wenig Flüssigkeit zu sich nimmt. Dann trocknet der Stuhl ein und es gibt Bauchschmerzen.
Kann die Hitze noch gefährlichere Folgen haben?
Hölzl: Klassiker sind der Sonnenstich und der Hitzschlag, auch unmittelbare Folgen von Hitze. Beim Sonnenstich überhitzt das Gehirn und die Hirnhäute werden gereizt. Das kann schnell passieren, wenn man keine Mütze trägt und viel Sonne auf den ungeschützten Kopf trifft. Typische Anzeichen sind ein steifer Nacken, Kopfschmerzen, die Betroffenen sind benommen — also schon neurologische Symptome, allerdings ohne Fieber. Nicht der ganze Körper, sondern das Gehirn ist zu heiß. Das kann bis hin zum Bewusstseinsverlust führen und sehr eindrucksvoll sein. Das ist im Grunde nicht so schlimm, bedarf aber schon der Behandlung im Krankenhaus. Auch, weil der Übergang zum Hitzschlag fließend ist.
Und ein Hitzschlag kann schnell gefährlich werden ...
Hölzl: Genau, sogar lebensbedrohlich. Der Körper schafft es dann nicht mehr von alleine, seine Temperatur zu regulieren. Folge ist eine Erhöhung der Körper-Kerntemperatur, die locker bis 40 Grad gehen kann und potenziell tödlich endet. Der Laie aber merkt vielleicht gar nicht, dass er einen Hitzschlag erlitten hat, denn im Gegensatz zum Sonnenstich — man hat Kopfschmerzen, die Rübe brennt, es wird einem immer schwummriger, schlecht und man bekommt die typische Nackensteifigkeit — sind die Körperreaktionen beim Hitzschlag viel unschärfer. Führend ist da oft eine Müdigkeit, von der die Betroffenen denken: Naja, bei dem Wetter kann man schon mal müde sein. Und genau darin liegt die Tücke: aus Müdigkeit und Schwäche werden plötzlich Herzrasen und Blutdruckabfall. Die Patienten können dann schnell instabil werden. Als Ersthelfer sollte man dann möglichst schnell den Körper des Betroffenen kühlen, zum Beispiel mit feuchten Wickeln auf Armen und Beinen und sofort den Rettungswagen rufen.
Was sollten Menschen bei der Hitze tun, was unbedingt bleiben lassen?
Hölzl: Man sollte versuchen, sich möglichst wenig im Freien aufzuhalten, sich möglichst wenig direkter Sonneneinstrahlung aussetzen, möglichst wenig anstrengende körperliche Arbeit verrichten. Das sind schon mal die Basismaßnahmen. Wer unbedingt raus muss, der sollte das nicht lange tun, möglichst mit Kopfbedeckung und mit Sonnenschutz auf der Haut.