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Nordkreis: Solidarität mit Freunden in Frankreich

Nordkreis : Solidarität mit Freunden in Frankreich

Reinhard Granz ist ein Mann, der der Kultur ebenso innig verbunden ist wie der Menschlichkeit. Und dafür setzt sich der frühere Direktor des Herzogenrather Gymnasiums ein, als Beisitzer des Kuratoriums Burg Rode, als Vorsitzender des Orga-Teams der Ehrenamtler zur Betreuung der Flüchtlinge in der Notunterkunft in Alt-Merkstein. Und als langjähriger Vorsitzender des Städtepartnerschaftskomitees.

„Ich suche gerade nach den richtigen Vokabeln“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Nach den richtigen Vokabeln für das offizielle Kondolenzschreiben im Namen der Stadt Herzogenrath an die Freunde in der französischen Partnerstadt Plérin. Wie in Worte fassen, was so ungeheuerlich ist wie die Terrortaten in Paris? „Es waren Anschläge auf unsere Gesamtkultur, auf unser freiheitliches Denken“, sagt Granz, der die Lage weiterhin als bedrohlich einschätzt, auch weil Trittbrettfahrer dies nun ausnutzen könnten. Zu Behutsamkeit in den Entscheidungsfindungen und im Handeln rät er und hat immer auch eines im Blick: den nicht abreißenden Strom von Menschen, die vor dem IS-Terror flüchten. „Die Flüchtlinge haben unsere Hilfe dringend nötig. Sich für sie einzusetzen, ist eine menschliche Aufgabe.“

Rathaus an Rue de l‘Espérance

Ihr 30-jähriges Bestehen kann die Städtefreundschaft zwischen Herzogenrath und Plérin im kommenden Jahr feiern. Rund 14.300 Einwohner zählt die bretonische Gemeinde an der Bucht von Saint-Brieuc. Touristen schätzen die raue Natur, Weltoffenheit ist Programm in der Kommune, die auch freundschaftliche Kontakte ins polnische Wronki und nordirische Cookstown pflegt. Am Montagmittag hatte Plérins Bürgermeister Ronan Kerdraon zur Gedenkversammlung im Sinne von Brüderlichkeit und Solidarität mit den Opfern des 13. November eingeladen.

„Verwirrte, kranke Köpfe haben feige gemordet, haben Angst und Schrecken verbreitet, haben wiederum einen Angriff auf die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versucht“, heißt es schließlich in der Beileidsbekundung, die mit den Unterschriften von Bürgermeister Christoph von den Driesch und Reinhard Granz versehen nach Plérin gesandt worden ist — ins Rathaus an der Rue de l‘Espérance — Straße der Hoffnung. Zudem versichert Herzogenrath die französischen Freunde „unserer Solidarität in der Verteidigung unserer erprobten Werte von Menschenrecht, Freiheit, Gleichheit und Demokratie“.

„Ganz bestimmt nicht zerstörbar“

Zwar sei ein demokratischer Staat gerade wegen seiner Liberalität und Freiheit in Zeiten der globalen Vernetzung verwundbar, „doch ganz bestimmt nicht zerstörbar“.

In diese Richtung gehen auch die Appelle von Fehmi Tarasi, dem Vorsitzenden des Integrationsrats der Stadt Herzogenrath: „Ich bin sehr betroffen“, sagt er. „Das gilt für meine ganze Familie.“ Wie Millionen Menschen hatte er unmittelbar nach dem Fußballspiel von den Terrorakten erfahren, „die Nachrichten wurden von Minute zu Minute schlimmer“. Tarasi, auch Mitglied der türkischen Gemeinde am Boscheler Berg, fragt sich nur noch eines: „Wie können Menschen so etwas tun?“ Der Islam, so betont er, verbiete zu töten. „Wenn jemand einen Menschen tötet (...), so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte — so steht es im Koran“, sagt Tarasi.

Auf einem schrecklichen Irrweg sieht er die jungen Leute, die sich zu solchen Taten verleiten lassen. Vielen fehle die Perspektive, möchte er dennoch nicht einfach der Gesellschaft die Schuld zuweisen. Das Problem sei wesentlich vielschichtiger. Auf alle Fälle, so betont er, müsse alles getan werden, um die Demokratie zu stützen. „Was die Attentäter erreichen wollen, darf nicht sein. Es darf nicht sein, dass wir aus Angst unsere Häuser nicht mehr verlassen. Das wäre Ausgrenzung von der Demokratie!“ Für seine Gemeinde könne er sagen, dass sie sich entschieden von solchen Taten und Menschenverachtenden Weltanschauungen distanziere. Und auch als Vorsitzender des Integrationsrats verurteile er die Taten des 13. November aufs Tiefste.

„Ich bin tief erschüttert. Das ist ein Alptraum!“ Ellen Thielen-Vafaie, Vorsitzende der Deutsch-Französischen Gesellschaft Würselen, hat sich stets für Völkerverständigung eingesetzt. Sie ist zudem seit Jahren mit einem Perser verheiratet. Es habe sie sprachlos gemacht, mit welcher Grausamkeit die Attentäter vorgegangen sind. Thielen-Vafaie hat natürlich sofort Kontakt zu Freunden und Bekannten in Frankreich aufgenommen. Und die Reaktionen auf die Anschläge in Paris, auch aus der Partnerstadt Würselens, aus Morlaix, sind eindeutig.

„Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, und wir müssen in Europa gegen diese Bedrohung zusammenstehen“, sagt sie. Das soll auch für die Deutsch-Französische Gesellschaft Würselen gelten, die sich nicht davon abhalten lassen wird, trotz aller Trauer die Vorbereitungen für die Feiern zum 40-jährigen Bestehen der Partnerschaft zwischen Morlaix und Würselen voranzutreiben.

Noch im November sollen die Anschläge bei einem Treffen im Zusammenhang mit Reisen nach Frankreich thematisiert werden. Die für den 29. November geplante Lesung mit dem Schauspieler und Autor Stefan Horn („Ein Leben in der zweiten Reihe“), der bis zu seinem 16. Lebensjahr in Frankreich lebte, wäre ebenfalls eine gute Gelegenheit, sich auch mit den Anschlägen von Paris und deren Weiterungen zu beschäftigen. Für sehr gut hält Thielen-Vafaie die Idee einer Bekannten aus der Provence, Kerzen in die Fenster zu stellen und so Lichter bis nach Paris leuchten zu lassen.

„Die Betroffenheit unter den Schülern ist sehr groß“, sagt der Leiter des städtischen Gymnasiums Alsdorf, Wilfried Bock. Natürlich wurde sogleich über die Homepage der Seite die Solidarität zu den Opfern, den Hinterbliebenen, ja Frankreich zum Ausdruck gebracht. Dies sowie Schweigeminute und Trauerbeflaggung reichen aber natürlich nicht aus.

Bock verweist darauf, dass das Kollegium angewiesen ist, mit den Schülern darüber zu sprechen, das Thema aufzuarbeiten. Ein Prozess der wohl erst dann so richtig beginnt, wenn man begreift, was die Anschläge von Paris bedeuten. Nicht nur für Opfer und Angehörige. „Da wird unsere Wertewelt in Frage gestellt.“ Was müssen wir noch ertragen, was können wir ertragen? „Das ist der Preis der Freiheit“, sagt Bock. Er bedauert sehr, dass die Verbindungen der Schule und Schüler zu Frankreich nicht größer sind. Zu bewältigende Lehrpläne und eingeschränkte finanzielle Mittel stünden dagegen.

Verbundenheit mit Partnerstadt

Montagabend haben zahlreiche Menschen auch in Baesweiler der Opfer in Paris gedacht. An besonderer Stelle: dem Place de Montesson, der für die Verbundenheit mit Baesweilers französischer Partnerstadt steht. „Viele von uns haben Freunde in Montesson, das nur wenige Kilometer von den Orten der Anschläge entfernt ist“, sagte Bürgermeister Dr. Willi Linkens in einer kurzen, emotionalen Ansprache. „Eine Freundschaft besteht nicht nur darin, miteinander zu feiern, sondern auch darin, mitzufühlen, Anteil zu nehmen und Trost zu spenden. Wir wissen, dass unser freies Leben stärker ist als jeder Terror.“

(bea/-ks-/ssc)