Alsdorf : Inszenierte Schlägerei und viel echte Hilfe
Alsdorf Ein kurzes Nicken, dann schlägt einer der Teenager brutal zu. Mitten ins Gesicht. Sein Opfer schreit auf und fällt zu Boden. Drei Täter setzen nach, boxen, treten, immer wieder. Einer von ihnen hält sein Handy hoch und filmt das Ganze.
Drei Sekunden bloß, vielleicht auch vier: Hilfe naht! Zwei Passanten eilen hinzu und wollen die Jugendlichen zurückreißen. Andere brüllen über den Platz: „Aufhören!” Eine Dame bollert von innen gegen die Schaufensterscheibe eines Geschäfts, vor dem sich diese Szene abspielt. Und genau das ist sie: nur gespielt.
So schnell das Theater in der Abenddämmerung auf dem Annaplatz beginnt, so rasch ist es wieder vorüber. Sofort taucht ein uniformierter Polizist auf, auch ein Kollege in Zivil ist zur Stelle und beruhigt die aufgebrachten Passanten. „Keine Sorge, hier ist niemandem etwas passiert.” Es war bloß ein Test. Um zu sehen, wie es um die Zivilcourage bestellt ist. Ob die Menschen hinsehen - oder ob sie wegschauen.
Im Rahmen des Netzwerks „Im Blick - Zivilcourage stärken”, in dem sich alle Jugendämter der Städteregion engagieren, hatten jugendliche Besucher der Offenen Tür des Josefshauses im Aachener Ostviertel seit September die Szene geprobt. In der Opferrolle: der 20-jährige Tobias Tillmann. Er ist Praktikant, will Sozialarbeiter werden. Gewalt unter Jugendlichen sei ein großes Thema, sagt er. Bei vielen Teenagern sitzen die Fäuste locker. Ein falscher Spruch - und es kommt zur Gewalt.
„Das sah so echt aus”
Als die Szene in Alsdorf vorüber ist und Tobias Tillmann wieder aufsteht, sieht er recht glücklich aus. „Es ist schön zu sehen, dass die Menschen reagiert haben und mir helfen wollten.” In der Tat: Fast jeder auf dem Platz hat spontan auf das Geschehen reagiert. „Ich hatte das Handy schon in der Hand und wollte den Notruf wählen”, sagt eine ältere Dame. Ein Teenager, nicht älter als die Schläger, eilt sofort auf die Gruppe zu. „Ich wollte die aufhalten”, sagt er. Und die Frau, die gegen die Scheibe gedonnert hat, ist nach ein paar Minuten noch fassungslos. „Das sah so echt aus. Ich musste was tun. Aber ich hatte auch Angst, dass ich selbst Schläge abbekomme.”
Dieses Hin- und Hergerissensein zwischen der Furcht und dem Impuls zu helfen sorgt dafür, dass mancher regungslos verharrt, sagt Kommissar Peter Arz. Doch ist auch er zufrieden damit, welche Resonanz die „Schlägerei” in Alsdorf ausgelöst hat. Ebenso Angelika Degen vom Jugendamt der Städteregion Aachen, die die Aktion organisiert hatte: „In Sachen Zivilcourage war das hier wirklich vorbildlich.”