Tanken an der Voccartstraße : Das Geschäft an den Zapfsäulen läuft, wenn die Niederländer kommen
Herzogenrath An der Voccartstraße in Herzogenrath gibt es drei Tankstellen, die von Autos mit gelben Kennzeichen leben. Sie liegt direkt an der Grenze. Kommen die Nachbarn trotz der hohen Preise immer noch?
René Beßer verdient sein Geld mit gelben Nummernschildern. Der 33-Jährige ist Tankstellenbetreiber, seit zwölf Jahren im Geschäft und seit Anfang des Jahres Pächter der Bft an der Voccartstraße. Beßer ist selbst Kohlscheider, kennt also die Verkehrsströme in seiner Heimatstadt und hatte sich für den Standort interessiert, weil die Parallelstraße die deutsch-niederländische Grenze abbildet, und an den Zapfsäulen der drei Tanken an der Voccartstraße mehr Autos mit gelben als weißen Nummernschildern stehen. Denn der Sprit ist in Deutschland günstiger als in den Niederlanden.
Und wie ist die Lage derzeit, wo sich der Benzin- und Dieselpreis wochenlang weit über oder knapp unter der Zwei-Euro-Marke einpendelt und eine Nachricht aus dem Nachbarland die Tankstellenbetreiber in Grenznähe vor einigen Wochen hat zucken lassen?
Die niederländische Regierung hatte angekündigt, zum 1. April die Spritpreise mithilfe einer Steuersenkung zu drücken. Liàm Matthew, dessen Tankstelle 400 Meter nördlich von René Beßers liegt, hatte deswegen Mitte März im Gespräch mit unserer Zeitung schwere wirtschaftliche Einbußen befürchtet und an die deutsche Politik appelliert, die hiesigen Tankstellen vor einem Überlebenskampf zu schützen.
Ja, die Unternehmer erleben schwierige Zeiten, sie können an ihren Verkaufszahlen ablesen, wie sich das Fahr- und Kaufverhalten der Gesellschaft – deutsch wie niederländisch – angepasst hat. Steigende Preise bei gleichem Budget sorgen für weniger Ausgaben. Liàm Matthew hatte nach eigenen Angaben knapp vor der Monatsmitte 160.000 Liter Kraftstoff verkauft, normalerweise seien es 300.000. In einem normalen Monat flößen 600.000 bis 650.000 Liter durch die Zapfpistolen. An diesem Tag ist es sogar so, dass eine Zeit lang gar kein Auto auf dem Gelände steht. „Teilweise kommt eine halbe Stunde niemand“, sagt Matthew. „Das habe ich so noch nicht erlebt.“ Ein paar Minuten später rollen fünf Pkw an. Was sie gemein haben? Ein gelbes Nummernschild.
Seinem Konkurrenten René Beßer, der den Betrieb von der Kölner Unternehmensgruppe Kuttenkeuler pachtet, haben im März 100.000 bis 150.000 Liter Umsatz gefehlt, sagt er, „ein schlimmer Monat“. Wie gut die Monate Januar und Februar waren, kann er nicht sagen, ihm fehlten die Vergleichswerte, weil mit dem Pachtwechsel die Statistik auf Null gesetzt worden ist. Im Gegensatz zu Matthew hat der 33-Jährige aber nur vier Zapfsäulen. Und den günstigsten Preis an der Voccartstraße. Der Liter Super kostet an diesem Vormittag 1,95 Euro, eine halbe Stunde später aber schon 1,99 Euro, während bei der Konkurrenz parallel erneut die Zwei-Euro-Marke geknackt wird. Zehnmal hat sich der Preis innerhalb der ersten sechs Betriebsstunden geändert, findet Beßer mit einem Anruf heraus. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt er. Wer früh kam, hatte Glück: Morgens stand 1,86 Euro auf der Anzeigetafel, der gute Preis vom Vorabend – der Höchststand in den Stunden darauf lag bei 2,13 Euro.
Bis auf die kurze Flaute bei der Tankstelle von Liàm Matthew macht es an diesem sonnigen Vormittag nicht den Eindruck, als würden die gelben Nummernschilder doch lieber auf eigenem Gebiet tanken. Zwei Kilometer oder fünf Minuten Autofahrt von beiden Herzogenrather Tankstellen entfernt liegt an der Kerkrader Domaniale Mijnstraat 25 eine Total-Tankstelle. Der Kraftstoff ist hier nicht günstiger als auf deutscher Seite, im Gegenteil. Der Preis für einen Liter Super liegt mit 2,14 Euro 15 Cent über dem von René Beßers Anzeigetafel, der Diesel bei 2,04 Euro – bei dem Preis herrscht Gleichstand. Anders sieht es an der Neustraße, quasi die Grenze, auf niederländischer Seite aus. Die Selbstbedienungs-Tankstelle (dort wird mit Karte an der Säule bezahlt) bietet den Liter Diesel für 1,88 Euro an, also wesentlich günstiger, beim Liter Super herrscht zu dem Zeitpunkt mit 1,99 Euro Gleichstand.
Haben Liàm Matthew und René Beßer große Sorgen um die Zukunft ihrer Betriebe? Bei den jetzigen Absatzzahlen könne Matthew, 36, maximal zwei Monate im Voraus planen. Er muss schließlich Zahlungsziele einhalten. Seit sieben Jahren ist er im Geschäft, betreibt noch zwei weitere Stationen, eine im Herzogerather Zentrum, eine in Übach-Palenberg – die an der Voccartstraße laufe am besten. Da alle drei Stationen zu einer GmbH gehören, kann Matthew in guten Zeiten vorsorgen und, wenn es nötig ist, Verluste auffangen. Der April sei ein „absolut schlechter Monat“, sagt er, so etwas wie in den vergangenen Wochen habe er „noch nie so heftig erlebt“. Der Preis für einen Liter Super habe 2022 in der Spitze bei 2,65 Euro gestanden. Der Dieselpreis lag länger weit über der Zwei-Euro-Marke, zu Beginn des Vorjahres bei der Hälfte.
Matthew ist Pächter der Tankstelle an der Voccartstraße, nicht Eigentümer. Als selbstständiger Unternehmer steht der 36-Jährige dem Mutterkonzern gegenüber zunächst in der Bringschuld. Ist „nur“ die aktuelle Situation verantwortlich an den schlechten Betriebszahlen – oder hat er selbst auch Einfluss? „Ich muss alles analysieren, alles durchrechnen“, sagt Matthew. Wenn der Umsatz sinkt, müsse er anderswo Kosten sparen. Das ginge theoretisch und am besten übers Personal. Aber: „An meinen Mitarbeitern kann ich nicht sparen, das geht bei unserer Besetzung nicht“, betont Matthew, der mehr als 30 Angestellte für alle drei Stationen hat. Auch die Preise im Shop erhöht er ungern – weiß er als Verbraucher doch selbst, dass Artikel bezahlbar bleiben müssen. Er möchte seine Kunden nicht noch mehr belasten. Dass Menschen auf Getränke, Zigaretten, Tabak und Snacks verzichten, trägt mit zum sinkenden Umsatz bei.
Wie das gesamte Betriebsgelände ist auch der Verkaufsraum, also das Angebot, bei René Beßer viel kleiner. So klein, dass mit den strengsten Corona-Maßnahmen nur zwei Personen zur Kasse gehen können. Eine „veränderte Kaufpriorität“ hat der Kohlscheider natürlich auch festgestellt, und er weiß, dass eine Tankstelle nur mit „einer Kühltruhe und den neusten Produkten“ rentabel ist – der Verkauf von Kraftstoff allein reiche nicht. Beßer muss ja auch den Lohn für 13 Angestellte zahlen. Er selbst ist von morgens 3.30 Uhr bis zum Mittag im Einsatz, eine Sechs-Tage-Woche ist normal, wenn jemand ausfällt, steht er selbst an der Kasse. Sein anderer (größerer) Standort in Heinsberg etwa lebt vom eigenen Backshop und davon, dass im Umfeld die Konkurrenz fehle.
Wenn das Zusatzgeschäft weniger wird, die Spritpreise so hoch sind, dass der Absatz sinkt – was hilft den Unternehmern? Auf jeden Fall kein Tankrabatt, den Finanzminister Christian Lindner zunächst ins Spiel gebracht, dann aber wieder verworfen hatte. „Die Rabattaktion hätte uns Pächter wirtschaftlich ruiniert“, sagt René Beßer zu der Idee, die dafür gesorgt hätte, dass Tankstellenbetreiber mit hohen Summen in Vorleistung hätten gehen müssen. Aber auch die anvisierte 300-Euro-Energiepauschale brutto für jeden Arbeitnehmer helfe keinem wirklich, nur kurzfristig – das sagen René Beßer und Liàm Matthew unisono. „Die Energiesteuer ist das Thema. Die muss gesenkt werden“, betont René Beßer. Liàm Matthew drückt es ähnlich aus.
Am Preis können die Pächter selbst wenig machen, er wird zentral festgelegt und besteht zum größten Teil aus Steuern und Abgaben. Inbegriffen sind unter anderem auch Transportkosten, die ebenfalls gestiegen sind. Zum 1. Juni sollen, so der Plan des Finanzministeriums, Steuern für drei Monate gesenkt werden. Wie die Erleichterung bei den Verbrauchern und dann den Tankstellenbetreibern ankommt, bleibt abzuwarten. Die Raffinerien, die Konzerne, stehen noch zwischen Staat und Betreibern.
Und die Pächter von der Voccartstraße blicken parallel immer ins Nachbarland. Was die Regierung dort entscheidet, entscheidet auch darüber, wie René Beßer und Liàm Matthew ihre Geschäfte planen können. Beide haben auch schon den 1. Juli und den 1. Oktober fest im Blick: Ab den Stichtagen ist die Erhöhung des Mindestlohns geplant.