Völkerverständigung auf dem Lehrplan : Europaschule setzt auf Internationalität
Herzogenrath Bilingualer Unterricht, Praktika im Ausland: Europaschulen setzen auf Internationalität. Bestes Beispiel ist Herzogenrath, wo Schülerinnen und Schüler von Austauschkursen profitieren.
„Wir haben Europa im Unterricht schon gelebt, bevor wir überhaupt das Konstrukt dahinter vermittelt bekamen.“ Mala Lentzsch (18) erinnert sich immer noch gerne an den Austauschkurs mit der Partnerschule im spanischen Valencia. Das war nicht einfach nur eine nette Begegnung unter Gleichaltrigen, sondern mit viel Einsatz verbunden: Zum Thema schulische Inklusion behinderter Kinder haben die deutschen und spanischen Schüler damals gemeinsam gearbeitet, ihre Erkenntnisse dann auch in der Praxis ausprobiert.
Bereits in der achten Klasse ist das gewesen. Und hat nachhaltigen Eindruck hinterlassen: „Schon mit 14 Jahren das Lebensgefühl in einer spanischen Familie kennenzulernen, war super. Die Mentalität der Menschen hat mir sehr gefallen“, schwärmt Mala. Für sie steht fest: „Beruflich würde ich gerne etwas im Ausland machen, am liebsten mit Sprachen. Dass wir diese Freizügigkeit in Europa haben, ist großartig!“ Neben Englisch und Spanisch ist Mala mittlerweile in Niederländisch fit.
Internationalität ist das ganz große Thema an der Gesamtschule in Herzogenrath-Merkstein, die jetzt vor ihrer zweiten Rezertifizierung als Europaschule steht. Unter anderem bilingualer Unterricht gehört hier zum Alltag, im Rahmen der Gesellschaftslehre ab der achten Klasse, mit der Möglichkeit eines Berufspraktikums im Ausland. Wahlweise in Französisch, Niederländisch oder Spanisch.
Zwei Fremdsprachen ab Klasse 5
Schon ab der fünften Klasse wird eine dieser drei Sprachen neben Englisch unterrichtet. Die zweite Fremdsprache von Anfang an ist ebenfalls fester Bestandteil des schulischen Programms. „Damit sind wir landesweit eine von nur zwei Schulen, die das so anbieten“, sagt Direktor Michael Schmitt. Neben der Merksteiner Gesamtschule ist das die Europaschule Köln in Zollstock, „mit der wir in vielen Aspekten zusammenarbeiten“, wie Schmitt darlegt.
Internationalität kennzeichnet überdies die Herkunft des Lehrpersonals: „Auch Kollegen aus Frankreich, Spanien und den Niederlanden sind bei uns tätig. Und das sogar verbeamtet“, sagt Schmitt: „So wird bei uns die Möglichkeit manifestiert, im europäischen Rahmen länderübergreifend zu arbeiten. Und das bekommen die Schüler natürlich mit.“
Wie Patrick Feicker (19) aus der Q2, der von der Erich-Kästner-Hauptschule in Kohlscheid nach Merkstein wechselte und jetzt kurz vor dem Abitur steht: „Auch an meiner früheren Schule ist Europa Thema gewesen“, berichtet er. „Wir haben unter anderem das europäische Parlament besucht. Aber an der Europaschule wird alles noch viel intensiver behandelt.“ So könne seine aus den Niederlanden stammende Lehrerin etwa nicht nur ihre Sprache, sondern gleich auch nationale Eigenheiten vermitteln. „Die andere Kultur lernt man so viel besser kennen.“
Um möglichst vielen Schülern die Gelegenheit zu geben, das Land ihrer ersten Fremdsprache auch mal vor Ort zu erleben, gab es bislang den London-Schnuppertag für die neunten Klassen. In diesem Jahr aber wird er ausfallen, wie Lizbeth Jäger-Alemán erklärt, aus Spanien stammende Lehrerin für Englisch und Spanisch: „Die Ungewissheit durch das Hin und Her um den Brexit war selbst für diesen eintägigen Besuch viel zu groß, so haben wir ihn erst einmal abgesagt.“
Generell herrscht in deutschen Schulen Unsicherheit darüber, wie das mit Großbritannien, dem Schüleraustauschland Nummer eins, einmal werden wird. „Besonders für Schüler ohne deutschen Pass kann das in Zukunft schwierig werden“, sagt Jens Klein, didaktischer Leiter an der Merksteiner Gesamtschule.
Brexitbedingt sieht sich die Schule der unproblematischsten Austauschmöglichkeit in ein englischsprachiges Land vorerst beraubt. Malta gäbe es da noch, „doch da dürfte es jetzt schnell voll werden“, sinniert Direktor Schmitt. Bleiben die skandinavischen Länder, wo Englisch fast wie die zweite Muttersprache gesprochen werde. Und die USA, viel teurer und für Familien mit kleinerem Budget ohne Zuschuss – seitens des Fördervereins etwa – unerschwinglich. So setzt das Kollegium verstärkt auf gemeinsame Lehrer- und Schülerbegegnungen mit Schulen in den Niederlanden, Frankreich, Spanien und Finnland.
Netzwerk mit Europaorientierung
Das EU-Bildungsprogramm Erasmus+ bietet Schulen die Chance interkultureller Begegnungen. „Leider gibt es keine Gewähr dafür, dass man einen Zuschlag bekommt“, erläutert Klein. Die Mittel für Schulen seien eine Zeitlang zugunsten von Studenten und Berufsschülern stark gekürzt gewesen, so dass Schulanträge trotz hoher Punktzahl mitunter nicht berücksichtigt worden seien.
Die Merksteiner Europaschule setzt daher ergänzend auf das Network of Europe Oriented Schools (NEOS), dem Netzwerk europaorientierter Schulen, 1999 unter Federführung der Europaschule in Köln als Verein gegründet. Jährlich treffen sich Lehrer der zur Zeit 26 Mitgliedsschulen aus sieben Ländern, um europäische Projekte zu entwickeln, Ideen auszutauschen und internationale Begegnungen von Schülern und Lehrern sowie die Gestaltung von Workshops „als Lern- und Entwicklungsfelder“ voranzubringen.
Die Schule erfüllt zudem die Standards des ELOS-Bildungskonzepts (Europe as Learning Environment in Schools) und ist auf internationaler Ebene Sprecherin der nordrheinwestfälischen ELOS-Schulen.
Ein Thema, das momentan die Medien beherrscht, gehört an der Herzogenrather Europaschule definitiv zum Learning Environment, dem Lernumfeld: nämlich grenzüberschreitende Probleme aufzuweisen, allen voran den Klimawandel. So betrachtet Direktor Schmitt die Teilnahme an den „Fridays for Future“ durchaus als Bestandteil des Bildungsauftrags seiner Schule. Mit der Konsequenz, dass es nicht einfach zu Schülerstreiks kommt, sondern freitags geregelte Kursfahrten zu den Protesten in Aachen stattfinden. Und wer nicht mitfahren kann, weil er zu jung und noch nicht im Kurssystem der Schule ist, wird im Unterricht für das Thema Umweltschutz sensibilisiert.
Für den 19-jährigen Patrick ist die Sache klar: „Europa hat bisher schon so vieles überwunden“, appelliert er an den weiteren Zusammenhalt der Mitgliedsstaaten. Und an seine eigene Generation: „Wir haben Europa vorgesetzt bekommen und sollten es weiterführen. Denn die wesentlichen Dinge können nur auf globaler Ebene bewältigen werden: die Friedenssicherung – und der Kampf gegen die Erderwärmung.“