Abschiedsbesuch : Eine letzte Runde, bevor der Kellersberger Platz verschwunden ist
Alsdorf Drei Männer schauen bei ihrer alten Wirkungsstätte vorbei, bevor die Bagger kommen: Ein Rundgang über den ehemaligen Sportplatz des SC Kellersberg mit Hans Heffels (90), Arnold Dreschers (72) und Stephan Rinkens (48).
„Traurig ...“ ist das erste Wort, das beim Betreten der Räume fällt. Ehrlich und direkt. Arnold Dreschers spricht es aus, aber auch die anderen beiden Männer fühlen so. Hans Heffels, Stephan Rinkens und Dreschers sind traurig darüber, diese Version ihres alten Vereinsheims sehen zu müssen – ausgeräumt, kahl, verlassen. Vor allem aber sind die Herren vom SC Kellersberg traurig, ihre sportliche Heimat verloren zu haben.
Der Besuch des alten SC-Geländes an einem Dienstagmorgen ist ein Abschiedsbesuch. Bald werden Bauarbeiten stattfinden, Gebäude dort errichtet, wo jetzt das Grün immer höher wächst. 2019 hatte die Auswechslung stattgefunden, wurde das alte Gelände aus der Nutzung genommen und starteten Training- und Spielbetrieb auf dem neuen Platz an der Herzogenrather Straße.
Das Gras ist beileibe nicht grüner auf der einen oder der anderen Seite, nein. Nüchtern betrachtet ist es einfach nur anders: Natur- versus Kunstrasen. Alt versus neu. Und doch scheint den Kellersbergern auf der Zunge zu liegen: Heim versus Auswärts. Dabei liegen gerade einmal 1700 Meter Luftlinie zwischen der alten Wirkungsstätte des KSC und dem neuen Sportplatz am Energeticon. Aber der Platz in Kellersberg ist eben „die Heimat – das ist doch ganz klar. Wir sind doch Kellersberger, aber wir spielen nicht mehr in Kellersberg. Das tut vielen Leuten weh“, sagt Heffels.
Als Hans Heffels zum ersten Mal für den Verein – damals noch Viktoria Kellersberg – gegen den Ball trat, war er gerade einen Tag aus der Evakuierung in Sachsen heimgekehrt. Der Gegner am zweiten Weihnachtsfeiertag 1948 hieß Alsdorfer Sportverein (ASV). Am Ende stand ein 4:0-Sieg auf dem Zettel, Heffels hatte alle vier Tore erzielt. Mit 26 Jahren übernahm er den Vorsitz des Vereins, ist heute Ehrenvorsitzender. Sein erstes Spiel auf dem Platz, der bald kein Platz mehr ist, bestritt Heffels gegen Mariadorf. Kellersberg gewann 2:1. Ein gutes Omen insofern, als dass der Sportclub viele Erfolge auf dem Rasen feiern sollte.
Bis 2019. In dem Jahr fand das letzte Spiel statt und der Lebenszyklus der Sportanlage endete. Dort, wo der SC Kellersberg seit 1959 spielte und damit ein Jahr nachdem er seinen heutigen Namen bekommen hatte. Bevor die Kellersberger 1958 zum Sport-Club wurden, waren sie zwischenzeitlich in einer Spielvereinigung mit dem Alsdorfer Sportverein als Viktoria Kellersberg unterwegs. Nach der Trennung gingen Name und Platz zunächst an die Alsdorfer – Viktoria Alsdorf. Der Platz wechselte jedoch wieder zu den Kellersbergern, als der Wirt einer nahen Kneipe gesagt hatte, „die Alsdorfer dürften nicht mehr rein um sich umzuziehen“, sagt Heffels.
Zwei Erinnerungsstücke sind aus dem alten Vereinsheim an den neuen Standort gewandert: Das alte Thekenbrett und der Gründungsstein des Vereinsheims. Beides, sagt Stephan Rinkens, finde sich nun eingebaut in der Theke des neuen Vereinsheims wieder. An das Abschiedsspiel auf dem alten Platz hat Rinkens keine konkreten Erinnerungen. Nur an „die kleine Abschiedsfeier danach“, zu der auch alle umliegenden Straßen eingeladen waren. Die Veranstaltung sei auch „recht gut besucht“ gewesen – dafür, dass der Verein „nicht nur Freunde“ gehabt habe, wie Rinkens bemerkt. Die Stimmungslage bei der Party? „Eine Mischung aus Trauer und Vorfreude.“
Stephan Rinkens (47) ist seit rund 30 Jahren beim KSC, aktuell Geschäftsführer. Der Sport-Club ist für ihn eine Familienangelegenheit. „Mein Onkel war eines der Gründungsmitglieder, eigentlich hat meine ganze Familie hier ein Leben lang gespielt und es sind immer noch viele von uns hier.“ Bei den Alten Herren spielt er noch aktiv mit. Die erste Erinnerung an den Platz? „Eigentlich, dass ich immer hier war. Mit meinem Vater, der auch 1. Mannschaft gespielt hat und mich vor der Jugend schon immer mitgenommen hat. Ich bin tatsächlich hier groß geworden.“
Für Betrieb auf und am Platz sorgte nicht nur der Sport. Soldaten aus Teveren spielten auf dem Platz einst den großen Zapfenstreich, erinnert sich Heffels. Vor 15, vielleicht 20 Jahren mag das gewesen sein. „Das Flutlicht wurde ausgeschaltet und die Soldaten sind mit Fackeln aufs Feld gezogen. Da waren hier über 3000 Leute“, sagt er, während er mit den Armen eine ausladende Geste macht.
Eine mächtige Zahl für das überschaubare Areal. Und eine Zahl, die nicht nur erreicht wurde, wenn Soldaten in Uniform auf dem Platz standen, sondern auch, wenn es Männer in kurzen Hosen waren.
Natürlich bei den Freundschaftsspielen des SC auf eigenem Platz gegen Borussia Dortmund, den VfL Bochum und gegen Alemannia Aachen. Wie viele dieser Begegnungen der KSC für sich entscheiden konnte? „Keine“, antwortet der 90-jährige Heffels mit einem verschmitzten Lächeln. An die Ergebnisse wird er sich aber wahrscheinlich nicht mehr erinnern, oder? „Doch, die vergess’ ich nie: Gegen Dortmund haben wir 5:2 verloren. Gegen Bochum 16:1. Da waren zwei Nationalspieler in der Mannschaft.“
3000 Sportfreunde schauten aber auch die großen Pokalspiele an, zum Beispiel gegen den Lokalrivalen Viktoria Alsdorf. „In der Landesliga haben wir nie vor unter 1000 Zuschauern gespielt – nie“, sagt Heffels. In dieser Zeit habe man aus dem Verein heraus auch einen zweiten Eingang samt Kassenhäuschen gebaut. „Oder wenn Mariadorf kam, da war hier alles schwarz vor Menschen, Völkerwanderung, Wahnsinn“, sagt Dreschers.
Arnold Dreschers (72) ist seit 60 Jahren beim KSC und inzwischen Ehrenmitglied. Neun Jahre lang war er Vorsitzender. „Für mich ist das ein Stück Heimat, ich würde niemals wechseln“, sagt er. „Nach 30 Jahren habe ich den Verein auch nochmal in die Landesliga geführt.“ Aber irgendwann sei er zurückgetreten wegen interner Querelen – einige Mitglieder waren nicht auf dem Teppich geblieben, wollten immer mehr und hatten angefangen, an seinem Stuhl zu sägen. Bis zum ersten August war Dreschers noch dritter Geschäftsführer, möchte sich jetzt aber so langsam zur Ruhe setzen.
Gegen die Alemannia habe man übrigens mit 1:2 verloren, reicht Heffels noch nach. Michael Pfeiffer sei damals Trainer der Aachener gewesen. „Der hat sich nachher beschwert, dass die Platzverhältnisse nicht gut gewesen seien, sonst hätten sie höher gewonnen“, sagt Heffels. Die Männer lachen.
Ja, der alte Naturrasenplatz wies immer schon Besonderheiten auf, um die zumindest jeder Kellersberger Fußballer wusste: Am Sechzehner und unten links, also in der westlichen Ecke, da ist Buckelpiste, da springt der Ball. Im Sechzehnmeterraum vor dem Vereinsheim entsteht schnell eine Sumpflandschaft, wenn es viel regnet gerne auch ein großer See.
Ursprünglich hatte der Sportplatz einmal quer zur jetzigen Ausdehnung gelegen, erzählt Heffels. Der Verein wollte ihn Anfang der 50er-Jahre um einen zweiten Platz in Richtung Broicher Straße erweitern. Alle fünf privaten Grundstückseigentümer hätten ihre Einwilligung bereits erteilt. „Dann haben wir angefangen einzuzäunen, bis einer der Eigentümer den Pflug bestellt und Kartoffeln gesetzt hat. Der war dann auf einmal doch dagegen“, erinnert sich Heffels und lacht.
Damals habe es sich noch um einen Ascheplatz gehandelt, der Rasen sei erst gekommen, als der Platz „gedreht“ wurde. Zu der Zeit haben sich die Spieler auch noch in der Kneipe an der Ecke umgezogen, erinnert sich Dreschers, „und in der Spießbütt haben wir uns gewaschen. Sommer wie Winter. Da gab es kein fließendes Wasser“. Gut 50 Jahre müsse das jetzt her sein.
„1968 ist Flutlicht nachgerüstet worden“, bemerkt Rinkens. „Danach ist, glaube ich, nicht mehr viel passiert.“ Bis auf die Sechzehner, „die haben wir jedes Jahr neu gemacht“, fügt Dreschers hinzu. „Boden gelockert, abgetragen, dann Rollrasen aufgetragen oder eingesät.“ Alles in Eigenleistung jener Männer, die sonntags auf dem Platz standen, „vor allem aber auch den Alten, den Bergleuten“, erklärt Heffels. „Wir sind eben ein Bergmannsverein“.
Ein anderes denkwürdiges Ereignis war vor etwa 30 Jahren das Entscheidungsspiel um den Aufstieg in die Mittelrheinliga. „Das haben wir mit 0:1 verloren“, sagt Arnold Dreschers, „aus meiner Sicht zum Glück.“ Der Verein hätte die höhere Klasse finanziell nicht stemmen können. „Wir waren ja froh, dass wir die Landesliga gestemmt haben.“ Viel später sei dann der ganz große Fall gekommen, der SC Kellersberg wurde durchgereicht, spielt mittlerweile in der Kreisliga B. „Es ist schwer, da rauszukommen, weil doch starke Vereine mitspielen, die sich auch in einer anderen Liga behaupten könnten.“ Allerdings sei die Mannschaft aktuell breit aufgestellt, erklärt Rinkens. „Im Moment sind wir auf Tabellenplatz drei, sechs Punkte hinter dem Tabellenführer – also alles eigentlich noch in Schlagdistanz.“
Zu den Spielen kommen die Älteren immer noch an den Platz, bis heute. „Nur jetzt halt am Betzeck“, der Bet-Ecke, sagt Heffels und meint den ehemaligen Wilhemsschacht, in dessen direkter Nachbarschaft die neue Sportanlage liegt. Der Ton wird nachdenklich. „Die schönsten Schlachten hier waren, wenn es richtig geregnet hatte. Man stand bis zum Knöchel im Morast vor dem Sechzehner“, erinnert sich Dreschers und lächelt, als er seinen Blick über den Platz schweifen lässt. „Das war einfach Wahnsinn. Das ist Herzblut hier. Schade, dass er weg ist.“