Abschiedsbesuch : Bald erinnert fast nichts mehr an die Heimat von Viktoria Alsdorf
Alsdorf Der Verein zählte zu den Gründungsmitgliedern der Verbandsliga Mittelrhein, spielte Landesliga, bestritt Pokalspiele gegen den 1. FC Köln oder Fortuna Düsseldorf, bevor der Niedergang einsetzte. Nun ist die Heimat von Viktoria Alsdorf bald verschwunden.
Wo der Ascheplatz war, liegt nun ein Schotterteppich ausgebreitet vor Helmut Butz, Josef „Jupp“ Eisenbarth und Herbert Kreino. Flatterband zeigt den Umriss der Kita an, die nun dort gebaut wird. „Leck mich amoka, wie sieht dat hier aus?“, entfährt es einem der drei beim Anblick. Der alte Rasenplatz ist noch erkennbar, macht aber keinen Hehl daraus, schon lange nicht mehr bespielbar zu sein. Hier war sie zu Hause, die Alsdorfer Viktoria.
Es ist ein Abschiedsbesuch, zu dem die drei Männer an die Schaufenberger Straße gekommen sind. Zum Erinnern. Butz, der im Alter von 15 Jahren Viktorianer wurde, mehr als 50 Jahre lang im Verein aktiv war, lange Zeit als Vorsitzender und in verschiedenen anderen Funktionen. Eisenbarth, der 23 Jahre lang Manager der Viktoria war. Und Kreino, der drei Jahre lang in einer äußerst erfolgreichen Phase Trainer war. Drei Viktorianer, die viel für den Verein geleistet, die maßgeblich zum Aufschwung Mitte der 80er Jahre beigetragen, die aber auch seinen Niedergang erlebt haben.
Es war in den zurückliegenden Jahren oft so und ist es bis heute: Wenn einer der Männer an der alten Wirkungsstätte vorbeifährt, wandert der Blick immer zum Platz, bleibt an einem Fixpunkt, den Spitzen der Birken an der Seitenlinie, hängen und der Geist beginnt das Wandern. „Schöne Zeiten“, bemerkt Butz beim Blick über das, was von der Anlage übrig ist. „Ich erinner‘ mich dann nur an die positiven, schönen Zeiten. Das andere klammert man total aus.“
Das andere, das Butz andeutet, darüber möchte eigentlich keiner der drei sprechen – ein Zerwürfnis in der Führungsriege des Vereins inmitten einer Zeit, in der er noch einmal zu einem Gipfelsturm angesetzt hatte. Und es lief wirklich gut.
Es war das Jahr 1984. Eisenbarth holte Herbert Kreino als Trainer der Ersten Mannschaft nach Alsdorf an die Schaufenberger Straße. „Wir drei haben ein Konzept entwickelt mit Alsdorfer Jungs“, sagt Kreino. „Stimmt“, pflichtet Eisenbarth bei, „nur mit Alsdorfer Jungens. Und zwar aus dem nahen Umfeld.“ Kreino hatte erstmals wieder Spieler aus der A-Jugend in die erste Mannschaft geholt.
Das stellte sich als Glücksgriff heraus. Denn Axel Müller, Thomas Thelen, Stefan Lövenich, Wolfgang Schreib und Gerd Knuppertz waren alles junge Kerle, die sich kannten, die bereits zusammen gespielt hatten. Kreino: „Dementsprechend herrschte damals schnell ein enormer Zusammenhalt in der Mannschaft und vor allen Dingen eine riesen Trainingsbeteiligung. Wir sind dann auch Meister geworden im ersten Jahr mit einer einzigen Niederlage.“ Butz: „Am letzten Spieltag. Da waren wir aber schon Meister.“
Nach der Meistersaison 84/85 stieg die Truppe aus der Bezirksklasse in die Landesliga auf – seinerzeit die bundesweit vierthöchste Klasse. Und spielte gleich wieder oben mit. „Ganz oben“, präzisiert Butz. Die erste Saison hatte man bereits im Topfeld der Tabelle abschließen können. Im zweiten Jahr sei die Mannschaft dann auf dem Weg in die Verbandsliga gewesen, der damals höchsten Amateurklasse, als interne Querelen im Verein die Erfolgsserie beendeten. Butz: „Wir standen damals schon unter den ersten Drei und hätten Erster werden können als der Knall kam, mit dem alles auseinandergelaufen ist.“
Das alles hatte sich eine gute Strecke nach den goldenen Zeiten des Vereins in den 50er und 60er Jahren zugetragen, als sich viele Tausend Zuschauer an der Schaufenberger Straße versammelten. Das Jahr 1952 wird erwähnt. Die Viktoria war Mittelrheinmeister geworden und kämpfte um noch mehr. Eisenbarth erinnert sich: Er, als 12-Jähriger im Beiwagen neben seinem Vater auf einer alten 350er Horex, gemeinsam auf dem Weg in den Schwarzwald. Ihr Ziel war Schwenningen, um ein bedeutendes Ereignis hautnah zu erleben: das Viertelfinale um die Deutsche Amateurmeisterschaft, die Alsdorfer Viktoria gegen den VfR Schwenningen. Dass der spätere Meister VfR Schwenningen die Begegnung für sich entschied – eine Randnotiz, an diesem Tag auf dem altehrwürdigen Gelände.
1956 zählte Viktoria Alsdorf zu den Gründungsmitgliedern der Verbandsliga Mittelrhein, spielte mit Unterbrechungen mal in der Verbands-, mal in der Landesliga (dort ’67 und ’68 Vizemeister). Es hatte Pokalspiele gegen Fortuna Düsseldorf, Viktoria Köln und den 1 FC Köln gegeben, bevor 1974 ein erster Absturz in die Bezirksklasse folgte. Ein solcher folgte auch den beschriebenen erfolgreichen Spielzeiten Mitte der 80er Jahre. ’88 ging es für die Alsdorfer zunächst in die Bezirks-, später auf Kreisebene hinab, wovon sich der Verein sportlich nicht mehr erholen konnte.
Was nicht heißt, dass man nicht auch in dieser Zeit schöne Ereignisse auf dem Viktoria-Gelände habe feiern können, stellt Butz klar. Ein Freundschaftsspiel gegen den 1. FC Köln etwa. „Da hatten wir die Hütte so voll, dass die Polizei die Straße absperren musste. Das war Chaos. Unsere Verkäufer vom Getränkestand kamen schon in der Halbzeit an: ‚Wir sind ausverkauft, es ist keine Flasche Bier mehr da’.“
Jahre später hatte die Viktoria zum 75-Jährigen des Vereins gemeinsam mit Hoengen ein Freundschaftsspiel gegen den MSV Duisburg bestritten. Unvergessen auch die Sommerfeste mit den anderen Abteilungen der Viktoria: Handball, Volleyball, Alte Herren. Die Viktoria, sagt Butz, sei damals sicher einer der größten Vereine der Stadt gewesen.
Nach ihren Highlights gefragt, sind sich die Männer ziemlich einig. Kreino: „Ich persönlich erinnere mich gut an die Lokalkämpfe, die Zuschauerzahlen und die Stimmung, die dann herrschte.“ Bei den Lokalderbys hätten auch schon mal über 1000 Zuschauer am Spielfeldrand gestanden, sagt Kreino. Butz: „In der Landesliga war der Zuschauerschnitt sowieso viel höher. Wir hatten keinen Spieltag unter 400 Zuschauer.“
Die besten Spiele habe es nach seinem Geschmack gegen Langerwehe gegeben, sagt Eisenbarth. „Und gegen den SC Kellersberg natürlich“, fügt Butz an, „mein Lieblings-Lokalduell.“ Warum? Weil man eine gemeinsame Historie habe. 1949 war aus der Alsdorfer Sportvereinigung und Viktoria Kellersberg die Sportvereinigung Viktoria Alsdorf hervorgegangen. In Kellersberg war der SC gegründet worden. „Durch die Rivalität war das immer etwas Besonderes“, sagt Butz.
Aus dem Gespräch der Männer wird deutlich, dass sie viele Stunden an und auf dem Platz verbracht haben müssen. „Unzählige“, bestätigen sie. Kreino: „Wir haben zum Schluß in der dritten Halbzeit natürlich auch noch gefeiert – da kamen auch noch mal Stunden dazu.“ Butz: „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Nach Heimspielen war die Mannschaft immer noch bis mindestens 8 Uhr zusammen im Vereinslokal, es gab Essen, aber keinen, der früher ging.“ "Da herrschten Freundschaft, Kameradschaft und Teamgeist", stellt Eisenbarth fest.
Freundschaft, Kameradschaft und Teamgeist. Und zwar nicht nur unter den aktiven Spielern der Viktoria. Als Mitte der 80er Jahre eine überdachte hölzerne Zuschauertribüne eines Tages aufgab und zusammenklappte, habe man sich mit eigenen Kräften um einen Wiederaufbau bemüht, Geld gesammelt, organisiert. Butz: „Im Nachhinein war es Blödsinn, die wieder aufzubauen, weil sie keine Mark mehr einbrachte. Aber so haben wir gedacht: Unsere alte Tribüne müssen wir wieder aufbauen.“
Bald darauf aber setzte ein schleichender Niedergang ein. Dem sportlichen Abstieg folgten die Mitgliederzahlen. In den letzten Momenten des Vereins übte Eisenbarth sieben Funktionen gleichzeitig aus, weil sich niemand anderes mehr fand. Ein Hinweis darauf, warum die Zeit als selbstständiger Verein Anfang der 2000er Jahre ihrem Ende entgegen ging. Die Fusion mit der Rhenania haben Butz und Eisenbarth noch mit eingeleitet. Butz war bis 2018 noch bei Blau-Weiß engagiert, Eisenbarth schied ein paar Jahre früher aus.
Der alte Viktoria-Platz wurde noch bis in die letzten Jahre hinein vom JSV Alsdorf bespielt – bis das neue Sportzentrum am Energeticon fertiggestellt war und der JSV dorthin umsiedelte. Eisenbarth: „Ich gehe davon aus: Wenn Viktoria Alsdorf geblieben wäre, auch in dem Volumen von damals, dann wäre das hier heute noch unser Sportplatz. Dann wäre alles nicht so, wie es heute ist. Es hätten Kräfte gewirkt, die gar nicht zugelassen hätten, dass wir hier weg gehen.“
Rund 20 Jahre ist es her, dass an dieser Stelle zum letzten Mal Viktorianer auf dem Platz standen. Eine lange Zeit. Viktoria Alsdorf wurde mit Rhenania Alsdorf zu Blau-Weiß Alsdorf verschmolzen, einem Verein, aus dem bekannte Fußballer wie Torsten Frings oder Elyasa Süme hervorgingen. Und an der Schaufenberger Straße erinnert bald nur noch das Schild über einer Kneipe an den Fußballplatz, der dort einst stand: „Am Göbbelsstadion“ – Heimat von Viktoria Alsdorf.