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75 Jahre Kulturgemeinde: Als Musik und Schauspiel zurück nach Alsdorf kamen

75 Jahre Kulturgemeinde : Als Musik und Schauspiel zurück nach Alsdorf kamen

Theaterstücke, Musicals, und so viel mehr: Die Kulturgemeinde hat sich seit der Gründung 1946 zu einer wahren Treibladung für Kultur in Alsdorf entwickelt.

Acht Reichsmark – diesen Betrag hatte zu zahlen, wer sich eine Theater- oder Operettenaufführung, ein Konzert oder einen Liederabend der Kulturgemeinde Alsdorf kurz nach deren Gründung 1946 ansehen wollte. Die Nachfrage war enorm. Der Rauch des Zweiten Weltkriegs hatte gerade begonnen sich zu verziehen, viele Menschen wollten etwas anderes, Positives sehen, wollten – trotz oder gerade wegen – anderer großer Herausforderungen jener Zeit Kultur genießen.

Diese anderen großen Herausforderungen brachten es mit sich, dass die acht Reichsmark nicht bei jedem locker saßen oder gar vorhanden waren. Manchmal wurden eine warme Suppe oder Kohlen zum Heizen als Obulus für den Eintritt angeboten – und akzeptiert.

Die Kulturgemeinde Alsdorf – die sich seit 1970 das Kürzel „e.V.“ (eingetragener Verein) anhängen darf – feiert Jubiläum. Seit 75 Jahren existiert der Zusammenschluss von Kulturenthusiastinnen und -enthusiasten, die Theaterstücke, Musik und viel dazwischen in Alsdorf auf die Bühne holen.

Und ein bisschen feiert sie auch einen Neubeginn. Nach dem Corona geschuldeten Spielstopp vor zwei Jahren startet im kommenden Januar – „endlich“, und bei der aktuellen Entwicklung der Coronavirus-Pandemie auch ein bisschen „hoffentlich“ – wieder eine neue Spielzeit.

Tragende Persönlichkeiten der Kulturgemeinde 2003: Ehrenvorsitzender Leo Kirfel (Mitte), der neue 1. Vorsitzende Konrad Krämer (r.), die Ehrenmitglieder Josefine Vorhagen (lange Beisitzerin; 4. v. r.) und Karl Koerner (2. Vorsitzender von 1995 bis 2003; 3. v. l.) sowie Alfred Sonders (seit 1996 Geschäftsführer; 3. v. r.).
Tragende Persönlichkeiten der Kulturgemeinde 2003: Ehrenvorsitzender Leo Kirfel (Mitte), der neue 1. Vorsitzende Konrad Krämer (r.), die Ehrenmitglieder Josefine Vorhagen (lange Beisitzerin; 4. v. r.) und Karl Koerner (2. Vorsitzender von 1995 bis 2003; 3. v. l.) sowie Alfred Sonders (seit 1996 Geschäftsführer; 3. v. r.). Foto: Wolfgang Sevenich

Wie das alles anfing mit der Kulturgemeinde im Februar 1946 beschreibt Dr. Franz Schneider in seinem Buch „60 Jahre Kulturgemeinde Alsdorf e.V.“, das zum entsprechenden Geburtstag vor rund 15 Jahren erschien. Demnach hatten sich Musikbegeisterte nach Ende des Krieges in Alsdorf zusammengetan, um mit dem Bus nach Aachen zu fahren, wo sich Musiker schon wieder zu Orchestern zusammengeschlossen hatten und Konzerte gaben.

Bald darauf befasste sich die Gruppe von Alsdorfern mit dem Gedanken, die Veranstalter in ihre Stadt zu holen. Am 5. Februar 1946 schließlich hieß es in den Aachener Nachrichten: „Unter dem Vorsitz des Bürgermeisters (damals Josef Schmitz; Anm. d. Red.) wurde in Alsdorf eine Kulturgemeinde gegründet, die die Aufgabe hat, sich für die Kulturwerte des deutschen Volkes, die Werke seiner Dichter und Denker, das deutsche Lied, gute Filme und Theaterstücke einzusetzen.“

Aufgeführt wurde damals im Filmtheater „Atrium“. Den Anfang machte laut Schneider ein Festkonzert unter der Leitung von Ferdinand Schmitz-Arck, die damals bekannte Sopranistin Hilde Nicoll-Thönnissen trat als Solistin auf. „Das Programm sieht eine gute Auswahl musikalischer Darbietungen und Arien aus den Werken unserer großen Meister vor“, stand in der Zeitung. In der Spielzeit 1962/1963 war man bereits bei über 100 Veranstaltungen, die vom Verein nach Alsdorf geholt worden waren, angelangt.

Die Kulturgemeinde ist für Alsdorf nicht nur eine Treibladung in Sachen Kultur, sie sorgt auch für ordentlich Aufmerksamkeit, lockt seit Jahrzehnten Menschen aus der gesamten Region in die Stadt. „Die Zahl der Abonnenten aus Alsdorf ist eher gering. Die Masse kommt aus dem Umland“, sagt Konrad Krämer, der als Vorsitzender auf Leo Kirfel (1. Vorsitzender von 1976 bis 2003) folgte. Von Linnich bis Roetgen, aus Kerkrade und Kohlscheid, von Geilenkirchen bis Eschweiler.

In der Spielzeit 2014/2015 hat das Grenzlandtheater auf Einladung der Kulturgemeinde „Cabaret“ im Gepäck.
In der Spielzeit 2014/2015 hat das Grenzlandtheater auf Einladung der Kulturgemeinde „Cabaret“ im Gepäck. Foto: Grenzlandtheater Aachen

500 bis 600 Zuschauer sehen sich Aufführungen des Grenzlandtheaters aus Aachen in der Alsdorfer Stadthalle im Schnitt an, „Musicals sind fast immer ausverkauft". Die Voraussetzungen seien auch einfach gut in Alsdorf, befindet Krämer: In der Stadthalle habe man von fast jedem Platz aus freien Blick auf die Bühne, kostenlose Parkplätze befänden sich in großer Zahl direkt in der Nähe.

Ein Spannungsfeld in der 75-jährigen Geschichte des Kulturvereins hat erst mit einer verhältnismäßig frischen Entwicklung eine bemerkenswerte Dehnung erfahren: bei der Zahl der Veranstaltungen, die der Verein in einem Jahr organisiert. In der Spitze waren es 34. „Da sind wir alle aber auch auf dem Zahnfleisch gegangen“, bemerkt Krämer.

 Der Vorstand der Kulturgemeinde tagt im Jahr 1973: In der Mitte ist die damalige 1. Vorsitzende Hannelore Schellwath zu sehen.
Der Vorstand der Kulturgemeinde tagt im Jahr 1973: In der Mitte ist die damalige 1. Vorsitzende Hannelore Schellwath zu sehen. Foto: Wolfgang Sevenich

Das andere Ende der Skala endet seit dem Corona-Jahr 2020 auf einem neuen absoluten Tiefststand: null Aufführungen. Das hatte es in der Geschichte des Vereins zuvor nicht gegeben. Im Schnitt – so muss Krämer schätzen, weil keine Statistik geführt wird – sind es wohl mindestens 20 Veranstaltungen in jedem Jahr. „Defensiv geschätzt, auf die zurückliegenden 20 Jahre.“

Mindestens 20 Veranstaltungen für mindestens 20 Jahre mit durchschnittlich 500 Zuschauern ... das ergäbe „defensiv geschätzte“ 200.000 Zuschauer, die Kulturverein-Veranstaltungen in Alsdorf allein in diesem Zeitraum besucht haben und damit vielleicht auch die Stadt selbst positiv wahrnahmen.

 Ein Klassiker, der in der Spielzeit 2010/2011 mit dem Grenzlandtheater zu Gast in der Stadthalle Alsdorf ist: Die Buddenbrooks.
Ein Klassiker, der in der Spielzeit 2010/2011 mit dem Grenzlandtheater zu Gast in der Stadthalle Alsdorf ist: Die Buddenbrooks. Foto: Grenzlandtheater Aachen

Eine typische Spielzeit, wie sie von der Kulturgemeinde ausgerichtet wird, dauert von September bis Juni, ist gefüllt mit acht Stücken des Aachener Grenzlandtheaters und einem Stück des Aachener Heimattheaters. Vorgesehen sind jeweils zwei Spieltage. So sieht es heute aus, nach Entwicklungen und Anpassungen in der Vergangenheit.

Kurz nach der Jahrtausendwende etwa war ein Spieltag pro Stück der Standard. Als die Abonnentenzahl begann, von zunächst 800 hochzuschießen auf später 1400, hielt ein zweiter Spieltag Einzug. Damals, in der Mitte des 20. Jahrhunderts und kurz danach, kaufte der Kulturverein seine Stücke alle ein, ließ auch mal Orchester spielen.

 Seit 2003 ist Konrad Krämer 1. Vorsitzender der Kulturgemeinde Alsdorf: Im Foto steht er vor der Stadthalle, in der der Verein ab kommendem Jahr wieder Aufführungen präsentieren möchte.
Seit 2003 ist Konrad Krämer 1. Vorsitzender der Kulturgemeinde Alsdorf: Im Foto steht er vor der Stadthalle, in der der Verein ab kommendem Jahr wieder Aufführungen präsentieren möchte. Foto: MHA/Thomas Vogel

Das Geld, das der Kulturverein mit seinen Veranstaltungen einnimmt, müsse er zeitnah auch wieder ausgeben, sagt Krämer. „Damit sponsern wir zum Beispiel Jazz im Garten oder das Weihnachtsmärchen für Kinder vom Aachener Heimattheater.“ Letzteres wird in diesem Jahr jedoch noch nicht wieder zu sehen sein, weil Corona zu lange einen Strich durch Probenpläne gemacht habe.

Finanziell habe die zurückliegende Corona-Krisenzeit dem Verein nicht viel anhaben können. Zwei Gründe nennt Krämer: Zum einen sehr treue und großzügige Abonnenten, die ihr Platzabo auch ohne die Möglichkeit, Stücke anzuschauen, weiterlaufen ließen, um die Kulturgemeinde zu unterstützen. Zum anderen gebe es keine Verträge, die die Kulturgemeinde verpflichteten, etwas zu zahlen, ohne es zu nutzen. So gehalten etwa beim Spielort, der Stadthalle: Finde eine Veranstaltung nicht statt, koste es die Kulturgemeinde auch kein Geld.

Nach denkwürdigen Szenen aus seinen mehr als 20 Jahren bei der Kulturgemeinde Alsdorf (mittlerweile 18 davon als Vorsitzender) gefragt, muss Krämer nicht lange überlegen. An eine Schauspielerin aus München erinnert er sich, die sich hinter der Bühne grauenvoll divenhaft aufgeführt habe. Und auch vom Gegenbeispiel weiß Krämer zu berichten: „Markus Maria Profitlich und seine Frau waren echt cool“, sagt er. Die seien sogar nach der Vorstellung noch geblieben, um beim Aufräumen zu helfen.

Mit Piet Klocke habe man sich hinter der Bühne schlapp gelacht, das sei ein toller Typ. Ein anderer Künstler habe verlangt, eine ganz bestimmte Anzahl von ganz bestimmten Sorten Schokoriegeln vorzufinden, sonst fange er gar nicht erst an. „Wir hatten schon alles hier“, sagt Krämer, „Abgedrehte, Entspannte, Idioten, Freaks“. Mal sehen, wen die Kulturgemeinde Alsdorf in den nächsten 75 Jahren für die Bühne in Alsdorf gewinnen wird.