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Transplantationen: Mit toten Knochen zurück ins Leben gehen

Transplantationen : Mit toten Knochen zurück ins Leben gehen

Hätte man Rudina Shera vor einem Jahr prophezeit, dass sie wieder „ans Laufen“ kommt – sie hätte es wohl nicht geglaubt. Nun hat sie auf eigenen Beinen das Linnicher St. Josef-Krankenhaus verlassen. Sie reiht sich ein in die exklusive Gruppe der Patienten, an denen Arjan Mullahi ein kleines Wunder vollbracht hat.

 Mit dem Implantat von Knochen eines Toten hat der Facharzt für Orthopädie, Chirurgie, Unfallchirurgie und Spezielle Unfallchirurgie den fürchterlichen Schaden an Rudina Sheras Oberschenkel behoben.

„Er hat es schon wieder getan!“, wäre die flapsige Zusammenfassung einer ungewöhnlichen Operation, an die sich der ehemalige Chefarzt der Orthopädie am Linnicher St. Josef-Krankenhaus - mittlerweile selbständige Facharzt mit eigener Praxis in Kerpen-Horrem - wagte. Sein Ziel: Mit natürlichem biologischem Knochenmaterial langstreckig zerstörte Bereiche – in diesem Fall des Oberschenkelknochens – zu ersetzen. Dass diese Operationsmethode ein Wagnis ist, räumt Mullahi freimütig ein: „Eigentlich kann man dabei nur verlieren.“ Er hatte einmal mehr Erfolg.

Die Leidensgeschichte Rudina Sheras, einer 27-jährigen Studentin aus Albanien, reicht zurück in das Jahr 2015. Als Fußgängerin wurde sie in der albanischen Hauptstadt Tirana von einem Auto angefahren und erlitt einen Trümmerbruch des Oberschenkels oberhalb des linken Knies. Nach der Erstversorgung in der Uniklinik Tirana wurde das verletzte Bein erstmals operiert. Mit einer Metallplatte (Plattenosteosynthese) wurde der betroffene Bereich des Oberschenkelknochens stabilisiert. Zur Füllung wurde Eigenknochenmaterial aus dem linken Beckenkamm verwendet.

Ein Jahr später lag Rudina Shera wieder unter dem Messer. Die Fraktur war nicht eingeheilt. Wieder wurde der Knochen mit einer Platte gesichert. Zur Knochendefektfüllung wurde nun Material aus dem rechten Beckenkamm der Patientin entnommen. Aber auch diese Operation geriet zum Misserfolg. 2017 erfolgte die dritte Operation – mit neuer Platte und synthetischem Knochenfüllmaterial.

2019 schließlich musste auch dieser Versuch als gescheitert eingestuft werden. Rudina Shera lag zum vierten Mal auf dem OP-Tisch. Diesmal wurde eine stärkere Platte verwendet und erneut synthetisches Knochenersatzmaterial zur Füllung verwendet. Dann der Schock: Wenige Wochen nach der Operation brach die Platte in Höhe des Bruchs oberhalb des Knies. Rudinas linkes Bein wurde komplett eingegipst – fast in Streckstellung. Seit August 2019 saß die 27-Jährige im Rollstuhl.

 Die Röntgenaufnahmen zeigen das Ausmaß der Schädigungen vor der Operation durch Arjan Mullahi: Die gebrochene Stahlplatte unmittelbar über dem nicht verheilten Bruch des Oberschenkels.
Die Röntgenaufnahmen zeigen das Ausmaß der Schädigungen vor der Operation durch Arjan Mullahi: Die gebrochene Stahlplatte unmittelbar über dem nicht verheilten Bruch des Oberschenkels. Foto: Otto Jonel

Während der Suche nach Lösungen und Kontakten mit verschiedenen Kliniken in Italien und der Türkei stieß Rudina Shera schließlich auf Arjan Mullahi und seine besondere Technik der Knochentransplantation. „Alle, die bisher bei mir waren, sind in den sozialen Medien auf mich aufmerksam geworden“, erzählt der erfahrene Chirurg. Seine Erfolge nahmen auch Rudina Shera für ihn ein. Der Kontakt war schnell hergestellt.

„Beim ersten telefonischen Gespräch stand für mich schon fest, dass ich mich nur von ihm und mit dieser Methode operieren lassen möchte“, erinnert sich die junge Patientin. „Es war sofort ein großes Vertrauen da.“

Wie in den vorherigen Fällen übernahm Mullahi mit seinem Team die komplette Organisation der bevorstehenden Operation samt Reise, Unterbringung der Patientin und ihrer Mutter Mejte als Begleitperson im Krankenhaus sowie der Kostenklärung. Wieder griff der Chirurg auf die Knochenbank in Belgien zurück und orderte einen passenden Leichenknochen.

Die Operation war kein leichtes Unterfangen. Zunächst wurde die gebrochene Metallplatte herausgenommen, großflächig nekrotisches Knochen- und Weichteilgewebe entfernt. Erst als das gesamte Operationsfeld gesäubert war, ging es an die eigentliche Wiederherstellung.

Um einen Nagel, der in dem gesunden Bereich des Oberschenkelknochens verankert wurde, legte Mullahi wie einen Mantel die aus dem Knochen geschnittenen Leisten. Zu deren Stabilisierung wurden sie verdrahtet. Weiches spongiotisches Knochenmaterial wurde als zusätzliche Defektfüllung verwendet. Während der langwierigen Operation wurde auch das Knie wieder gängig gemacht. Nach über einem Jahr im Streckgips war es versteift, Bänder und Sehnen verklebt.

„Als ich nach über sieben Stunden OP-Zeit aufwachte, konnte ich nicht glauben, dass ich diesen Gips endlich los bin und das Bein dank des Schmerzkatheters schmerzfrei bewegen konnte“, schilderte Rudina Shera ihre ersten Empfindungen. Dennoch waren die ersten vier Tage nach der OP nicht einfach. Der schwere Eingriff blieb physisch wie psychisch nicht ohne Nachwirkungen. „Dann aber habe ich mich schnell erholt und mache täglich Fortschritte.“

Zum Beweis steigt sie an der Seite ihres Chirurgen aus dem Krankenbett, greift zwei Krücken und geht wie selbstverständlich aus dem Zimmer auf den Stationsflur. Noch schont sie das operierte Bein. „Sie könnte zwar schon auftreten, aber davor hat sie wohl noch etwas Angst“, ist Arjan Mullahi dennoch sehr zufrieden mit dem Heilungsverlauf. Die Prognose ist gut.

Allerdings sei durch die voran gegangenen vier Operationen in den Oberschenkelknochen ein Keim eingeschlichen. „Der wird jetzt antibiotisch behandelt“, geht Mullahi von einem erfolgreichen Verlauf aus. Und: „Das Knie hat schon starken Schaden erlitten während der vergangenen Jahre“, stellt er fest. Die Patientin werde wohl frühzeitig ein künstliches Kniegelenk bekommen müssen.

Darüber denkt Rudina Shera nicht nach. „Jetzt gut zwei Wochen nach der OP fliege ich sehr erleichtert und zuversichtlich, dass der Bruch heilen wird, nach Hause zurück.“ Zurück bleibt ihr tief empfundene Dank an das gesamte Operationsteam und die Pflegekräfte auf der Station C2. „Sie leisten Außergewöhnliches und sind immer sehr freundlich und geduldig. Das war einmalig. So was kenne ich nicht von anderen Krankenhäusern“, schwärmt Rudina Shera. In ihrer Heimat wird sie weiterhin physiotherapeutische behandelt werden. Eines Tages will sie nicht mehr auf Gehhilfen angewiesen sein.