Jülicher Bürgermeister : Vom Pöbel in die Obrigkeit
Jülich Vor acht Jahren hat Axel Fuchs die Seiten gewechselt: Von der Bütt ins Bürgermeisteramt. Aus dem Jülicher Karneval ist der Ex-Punk trotzdem nicht wegzudenken.
Im Rathaus herrscht geschäftiges Treiben. Statt der nächsten politischen Gremiensitzung wird hier aber gerade der Ausnahmezustand vorbereitet. Tresen, Preisschilder und Luftschlangen deuten kurz vor dem Start des Straßenkarnevals an, was am Donnerstag ansteht: Die Machtübernahme der Jecken. „Endlich wieder“, sagt der zu Entmachtende. Axel Fuchs hat mit der Bürgermeisterwahl vor acht Jahren die Seiten gewechselt, vom Pöbel in die Obrigkeit, sozusagen.
Also so halb: Bis heute ist der 55-Jährige Vize-Präsident der KG Ulk und der von ihm mitbegründeten Café Cholera Karnevalsgesellschaft (CCKG), in diesem Jahr auch Pattühm der Lazarus-Strohmanus-Puppe. Und bis heute steht er im Karneval regelmäßig am Mikro, statt sich den Spitzen der Büttenredner vom Platz im Zuschauersaal zu ergeben. Ein Widerspuch ist das in seinen Augen nicht. „Klar ist der Karneval dazu da, den Mächtigen den Spiegel vorzuhalten und auch mal dem Bürgermeister eins auf die Mütze zu geben“, sagt er. Deshalb war er nach einem einmaligen Exkurs auch seit seinem Amtsantritt als Bürgermeister nicht mehr Teil des Ulk-Elferrats.
„Aber ein Bürgermeister muss sich ja nicht verbiegen“, ist er überzeugt. „Das würde man mir auch übelnehmen, ich wäre nicht mehr der Axel, den man kennt.“ Apropos verbiegen: Wieviel Flexibilität braucht eigentlich einer, der in seiner Jugend Punk war, lange in einer Punk- und Skaband gespielt hat, und zeitgleich in die Brauchtumspflege eingestiegen ist? Die P(r)unk- und spätere Trunksitzung der CCKG war zwar immer etwas anders als der Sitzungskarneval und die Musik war entsprechend der Vorlieben der Bandmitglieder gefärbt, doch eine Persiflage habe man mit der 1986 gegründeten Karnevalsgesellschaft nie sein wollen, erzählt Fuchs.
Aber ein bisschen piefig waren die Traditionellen doch bestimmt? „Nein, da muss ich wirklich eine große Lanze brechen“, widerspricht Fuchs. „Wir sind im Jülicher Karneval immer mit offenen Armen aufgenommen worden.“ Von Anfang an hätten die Gesellschaften sich untereinander unterstützt, gemeinsam gefeiert. Ende der 90er wurde der heutige Bürgermeister dann nach einer eher spontanen Büttenrede bei einem Frühschoppen auch zur festen Figur im Ulk-Karneval, bei dem er ohnehin seit seinem 15. Lebensjahr Stammgast war.
Deshalb ist das Karnevalisten-Wochenende ähnlich voll mit Terminen wie es ein normales Bürgermeister-Wochenende wäre. Bei der CCKG-Sitzung singt er rund zehn Lieder mit der Stimmungsband „Les 6 Kölsch 1 Cola“ – nur, was ohne viele Proben geht, denn der zeitliche Aufwand sei schon ein Problem. „Meine Frau erträgt das“, sagt Fuchs lachend auf die Frage, ob seine Familie karnevalistisch mitzieht. „Aber sie freut sich für unsere Kinder und deren Generation, für die jetzt drei Jahre lang gefühlt alles stillstand.“ Sohn Silvester (21) und Tochter Hermine (18) sind genauso jeck wie der Vater und aktiv unter anderem bei Lazarus Strohmanus dabei.
„Alle sind dankbar und zufrieden, endlich wieder ‚Alaaf‘ rufen zu dürfen“, schildert Fuchs seine Erfahrung aus der Session. „Aber trotzdem habe ich den Eindruck, dass wir erstmal wieder lernen müssen, ausgelassen zu feiern.“ Die Frage, ob es in Krisenzeiten moralisch fragwürdig ist, Karneval zu feiern, stellt sich für ihn nicht. „Der Karneval ist so wichtig, weil er uns Kraft gibt. Und die braucht man, um Krisen zu bewältigen.“
Für viele seien die Jecken Tage extrem wichtig. Fuchs kann das nachvollziehen. Er erinnert sich noch daran, wie schmerzlich es war, als Kind krank an Karneval zu Hause zu sitzen. „Ausgerechnet in dem Jahr, als meine Mutter mir ein Cowboy-Kostüm genäht hatte, in blau, komplett mit Fransen ...“. Vom Fensterbrett habe er das bunte Treiben in der Düsseldorfer Straße beobachtet und sehnlichst gewünscht, auch rauszudürfen.
„Hier gibt’s nur einen Fehler“, ruft Fuchs auf dem Weg nach draußen ins Foyer, wo weiter geschmückt wird. „Es riecht ja noch gar nicht nach Fassbier.“ Vielleicht sollte man den Mann noch schnell nach seinem Tipp gegen Kater fragen? „Hab ich leider nicht“, antwortet er. „Schweinehund überwinden, aufstehen, weitermachen.“ Und das klingt nach der Portion Punk, die der Karneval gebrauchen kann.