Jüdisches Leben in Jülich : Friedliches Nebeneinander und Hetz-Propaganda
Jülich Jüdisches Leben in Jülich wurde im Laufe der Jahrhunderte von einem Auf und Ab von Verfolgung, Restriktionen und Freiheiten bestimmt.
Jüdisches Leben in Jülich – davon lässt sich leider (fast) nur noch in der Vergangenheitsform reden. 1933 lebten in Jülich 150 Menschen jüdischen Glaubens, 1939 waren es nur noch 52. Am 24. März 1941 wurden 31 Juden in die Kirchberger Villa Buth zwangsumgesiedelt, ein Jahr später 46 aus dem ganzen Kreis Jülich nach Theresienstadt deportiert. Insgesamt sind 71 Mitbürger jüdischen Glaubens vom NS-Regime dort und im Vernichtungslager Treblinka umgebracht worden.
Die Volkshochschule (VHS) Jülicher Land, das Stadtarchiv Jülich und das Museum Zitadelle präsentieren derzeit im Forum am Aachener Tor die Doppel-Ausstellung „Jüdisches Leben in Deutschland“ und „Shalom Chaverim – 1700 Jahre jüdisches Leben in der Region Rhein-Erft-Rur“. Der Teil, den das Stadtarchiv unter dem Titel „Shalom Chaverim (Hallo, Freunde)“ präsentiert, ist in der Region verortet und begibt sich auf neun Stationen auf Spurensuche nach dem jüdischen Leben. Was machte jüdisches Leben in Jülich aus?
Wie die Ausstellung zeigt, erhielt der damalige Graf Wilhelm IV. von Jülich im Jahr 1227 erstmals das Recht, Juden bei sich aufzunehmen und sich ansiedeln zu lassen. Das erste namentlich bekannte Ehepaar sind Isaak aus Maastricht und seine Ehefrau Bela, die ein Haus an der Grünstraße, der späteren „Judenstraße“ (die auch heute wieder Grünstraße heißt) besaßen. „Der Name ,Judenstraße´ deutet darauf hin, dass es sehr lange jüdisches Leben in Jülich gab“, erklärt die Leiterin des Stadtarchivs, Susanne Richter. Doch bereits 1348/49 kam es zu Pestpogromen im Rheinland, bei denen auch die in Jülich lebenden Familien vermutlich vertrieben wurden.
Das Hin und Her von Zuzug und Vertreibung setzte sich in den nächsten Jahrzehnten fort: Bereits 1461 verfügte Herzogin Sophia von Jülich-Berg wieder die Ausweisung der Juden aus dem Herzogtum. Erst 100 Jahre später, nämlich ab 1593, lebten wieder jüdische Familien in der Stadt. Im Rahmen der sogenannten „Geleitspolitik“ sicherten die in Jülich-Berg herrschenden Pfalzgrafen den Juden ab 1620 gegen Zahlung einer festgelegten Summe einen zeitlich begrenzten Schutz zu. „Dafür erhielten sie die Genehmigung, Kreditgeschäfte sowie Handel und Gewerbe zu betreiben, aber vom Handwerk blieben sie ausgeschlossen“, erläutert Susanne Richter. Großhandel, etwa für die Verpflegung und Ausrüstung des Militärs, sowie Geldverleih und Viehhandel waren erlaubt.
Eine wirkliche Verbesserung und die rechtliche Gleichstellung aber brachten den Juden in Jülich erst die Französische Revolution und die Angliederung des Rheinlandes an Frankreich. „Jetzt gab es Gewerbefreiheit, und der französische Code Civil galt für alle“, weiß die Stadtarchivarin. Die Zahl der Menschen jüdischen Glauben stieg in Jülich deutlich auf 48 Personen an, was allerdings – gemessen an der Gesamteinwohnerzahl von 2649 – weniger als zwei Prozent der Bevölkerung entsprach. Schon ab 1808 jedoch verschlechterte sich die Lage wieder, und die handel- und gewerbetreibenden Juden waren nun auf den Erhalt behördlicher Patente angewiesen. Nachdem der damalige Landrat ab 1830 den Zuzug von jüdischen Menschen sogar nochmals untersagt hatte, erhielten sie 1847 endlich die Erlaubnis, den Wohn- und Aufenthaltsort frei zu wählen. „Sie waren dann auch als Zeugen vor Gericht gleichberechtigt und erhielten das passive Wahlrecht“, ergänzt Susanne Richter. 1848 wurde ihnen wie allen anderen Staatsbürgern die freie Religionsausübung eingeräumt, und ab 1871 hatten sie alle Rechte und Pflichten, die andere Staatsbürger des Kaiserreichs auch besaßen, durften unter anderem auch alle Fächer studieren. Das hatte zur Folge, dass zu den Großviehhändlern, Metzgern und Schächtern erstmals auch Ärzte, Zahnärzte und Juristen hinzukamen.
Spannend ist natürlich besonders die Frage, wie das Leben und Zusammenleben im 20. Jahrhundert aussah. „Nach meinem Eindruck gab es eine lange Zeit ein friedliches Nebeneinander“, urteilt die Leiterin des Stadtarchivs. „Inwieweit das ein Miteinander war, ist freilich schwer zu sagen.“ Tatsache ist, dass viele Juden sich als Deutsche fühlten und mit Begeisterung für das Kaiserreich in den Ersten Weltkrieg zogen, andererseits sich nach dem Krieg aber der Antisemitismus verstärkte. Juden waren auch Mitglieder in den Vereinen der Stadt, so zum Beispiel in Sportvereinen wie dem SC Jülich 1910. Erst spät wurden auch jüdische Vereine gegründet wie im Jahr 1892 ein Wohltätigkeitsverein, 1905 der „Israelitische Frauen-Verein“ und 1919 der Jüdische Jugend-Verein. „Dieser Verein hatte eine eigene Zeitschrift und veranstaltete Heimabende sowie Wanderungen in der Eifel“, weiß Richter. Durch den Jugend-Verein wurden auch der Synagogenchor (1925) und eine sehr erfolgreiche Sportabteilung für Tischtennis, Faustball und Leichtathletik gegründet; kurzzeitig gab es sogar auch einen eigenen Fußballverein.
Die Jülicher Ausstellung informiert eindringlich über die erschütternden Ereignisse während der Nazizeit. Bereits ab 1933 kam es im Rahmen der „Judenboykotte“ in Jülich zu Angriffen auf jüdische Geschäfte. Ab 1934 wurden an verschiedenen Stellen in der Stadt wie etwa in der Kölnstraße und am Bahnhof sowie später auch auf dem Weihnachtsmarkt Spruchbänder mit judenfeindlichen Parolen angebracht. Ab 1935 gab es unverhohlene Hetze gegen jüdische Geschäftsinhaber, darunter etliche Textileinzelhändler, in der Lokalausgabe des „Westdeutschen Beobachters“. Zudem wurde mit Hilfe sogenannter „Stürmerkästen“ offensiv nationalsozialistische Propaganda verbreitet.
In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die Synagoge geschändet, das Gemeindehaus zerstört; acht Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden verhaftet und ins KZ Sachsenhausen deportiert. In der Folge wurden Juden gezwungen, ihren Grundbesitz und ihre Gewerbebetriebe zu verkaufen, ihre Häuser wurden „arisiert“. Mit der Deportation der Menschen jüdischen Glaubens in die Villa Buth in Kirchberg am 24. März 1941 ging jüdisches Leben in Jülich zu Ende. Nach der Auflösung des Sammellagers wurden dessen Bewohner am 25. Juli 1942 mit einem Transport in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt. Dort oder im Vernichtungslager Treblinka wurden alle ermordet.
Bei den Wiedergutmachungsverhandlungen nach dem Krieg wurde häufig zynisch argumentiert, als wenn die Häuser der jüdischen Mitbürger ohnehin zerstört worden wären. Andererseits wurde in den 50er Jahren der verwüstete jüdische Friedhof wieder hergerichtet, 1966 ein Mahnmal aufgestellt, 1983 eine Gedenktafel an der Stelle der ehemaligen Synagoge angebracht. Im Jahr 1986 schließlich kam im Ökumenischen Arbeitskreis und bei anderen in der Stadtgesellschaft die Idee auf, ehemalige Mitbürger jüdischen Glaubens, die den Holocaust überlebt hatten, in die Herzogstadt einzuladen – zum Beispiel waren Mitglieder der Familie Voss im Jahr 1935 (Kurt Voss) sowie im Jahr 1938 (Hugo und Josef Voss) nach Palästina sowie ihre Mutter in die USA emigriert. 25 Personen folgten dieser Einladung, wurden von der Stadt Jülich offiziell begrüßt und trugen sich in das Goldene Buch der Stadt ein. 2001 schließlich wurde am Propst-Bechte-Platz ein Mahnmal für die ermordeten Juden im Jülicher Land errichtet. „Heute gibt es in Jülich und im ganzen Kreis Düren leider keine jüdische Gemeinde mehr“, erklärt Susanne Richter. „Man darf aber davon ausgehen, dass möglicherweise ein bis drei Personen jüdischen Glaubens in Jülich wohnen.“