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Dr. Ralf Kunkel, stellv. Wehrleiter der Feuerwehr Jülich, im Interview

Die Situation der Freiwilligen Feuerwehren : Brandalarme, Gaffer und Servicementalität

Eine Feuerwehr vorzuhalten, gehört zu den grundlegenden Pflichten jeder Stadt. Im Jülicher Land übernehmen in großer Mehrheit ehrenamtliche Feuerwehrleute die Pflicht. Anlässlich des Internationalen Tages der Feuerwehrleute am Samstag hat Guido Jansen mit Dr. Ralf Kunkel, dem stellvertretenden Wehrleiter der Feuerwehr Jülich, über die Probleme der ehrenamtlichen Feuerwehrleute gesprochen.

Der Brandschutzbedarfsplan der Stadt Jülich ist gerade neu aufgestellt worden. Der legt fest, welches Schutzziel für die Bevölkerung die Feuerwehr erzielen soll und wie sie ausgestattet sein muss. Wie ist die Situation der Feuerwehr in Jülich?

Ralf Kunkel: Die Gerätehäuser müssen so ausgerüstet sein, dass die Feuerwehr ihre Aufgabe erfüllen kann. Das ist gegenwärtig zwar gewährleistet, bei einigen Gerätehäusern muss aber investiert werden. Was die Gebäude selbst angeht sind alle relativ alt, bis auf das in Selgersdorf. Sie sind gebaut worden in einer Zeit, in der die Einsatzfahrzeuge kleiner waren. Das waren früher meistens Siebentonner, heute sind sie meist mehr als zehn Tonnen schwer und deutlich größer. Neue Fahrzeuge passen daher oftmals nicht mehr in die alten Gerätehäuser.

Welche Folgen hat das?

Kunkel: Der Brandschutzbedarfsplan sieht vor, dass alle Gerätehäuser auf einem Stand sein müssen. Die Stadt tut da was. Die Feuerwache zieht um, vom aktuellen Standort An der Vogelstange an die Römerstraße. Die aktuelle Wache wird das Gerätehaus für die Löschgruppe Stadtmitte bleiben. In der neuen Wache zieht der Löschzug Lich/Steinstraß ein, das Gerätehaus in Lich/Steinstraß wird aufgegeben, weil es zu klein geworden ist. Für die Löschgrupen Welldorf und Güsten ist ein neues gemeinsames Gerätehaus vorgesehen. Bei den anderen Gerätehäusern werden Sanierungsmaßnahmen eingeleitet.

Wie sieht die Personalsituation aus?

Kunkel: Wir haben 290 Feuerwehrleute, sieben davon sind hauptamtlich tätig. Zusätzliche hauptamtliche Stellen werden gerade ausgeschrieben. Demnächst sollen die hauptberuflichen Feuerwehrleute nicht nur die Wache betreiben, sondern auch mit auf Einsätze fahren. Was die Nachwuchssituation angeht, gibt es nicht unbedingt positive Dinge zu berichten. Wie bei allen ehrenamtlichen Organisationen ist es schwierig, Menschen neu zu begeistern. Die Zahlen sind rückläufig. Und der Aufwand, neue Mitglieder zu finden, wird immer größer. Es gibt einen Unterschied zwischen der Feuerwehr in der Innenstadt und in den Stadtteilen. In den Stadtteilen gehört die Feuerwehr oft wie ein Verein zum Dorfleben dazu. Sie sichert Festumzüge ab oder geht sogar mit. In der Stadtmitte ist der Zugang zur Feuerwehr ein anderer.

Ralf Kunkel, der stellvertretende Wehrleiter der Jülicher Feuerwehr.
Ralf Kunkel, der stellvertretende Wehrleiter der Jülicher Feuerwehr. Foto: Guido Jansen

Was nervt ein Mitglied der Feuerwehr?

Kunkel: 45 Prozent unserer Einsätze sind Brandmeldealarme. 95 Prozent dieser Alarme ziehen keinen nennenswerten Einsatz nach sich. Da rücken wir oft aus, weil jemand vergessen hat, was vom Herd zu nehmen und es deswegen qualmt. In vielen Fällen ist keine Ursache für den Alarm festzustellen. Dann sehen die Feuerwehrleute bei der Alarmierung: „Brandmeldealarm – da ist ja doch nichts. Da bleibe ich lieber auf der Arbeit.“ Solche Einsätze, bei denen wir voll aufgerüstet ausrücken und die sich am Ende als Fehlalarm herausstellen, saugen viel Energie weg. Wenn Feuerwehrleute dann irgendwann nicht mehr reagieren, wenn sie die Einsatzlage Brandmeldealarm sehen, dann wird es für die Feuerwehr schwer, die Hilfsfristen einzuhalten. Ölspuren sind auch so eine Sache. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat festgelegt, dass die Feuerwehr sich darum kümmern muss. Das ist ein großes Thema unter Feuerwehrleuten: Muss jemand alles stehen und liegen lassen, um eine Ölspur abzustreuen und ein paar Hütchen auf der Straße abzustellen?

Ist es komplizierter geworden, wenn man Mitglied der Feuerwehr werden will?

Kunkel: Früher hat man eine Grundausbildung gemacht und konnte sich 40 Jahre erfolgreich in der Feuerwehr bewähren. Heute ist die Grundausbildung wesentlich umfangreicher, dazu kommen noch Ausbildungen zum Sprechfunker und zum Atemschutzgeräteträger. Erst dann kann man in einem Einsatz vollwertig tätig werden. Der Aufwand ist größer geworden, die Anforderungen an die Ausbildung der Feuerwehrleute und an die Wartung der Geräte ebenso. Um den Kran an einem unserer Einsatzfahrzeuge bedienen zu dürfen, muss man jedes Jahr aufs Neue eine Fortbildung absolvieren. Ich will nicht hoffen, dass es mal so weit kommt, dass wir bei einem Einsatz stehen und sagen müssen: Wir würden zwar gerne helfen, wir dürfen es aber nicht.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Gaffern gemacht?

Kunkel: Es gibt an Einsatzorten immer Leute, die zuschauen. Meistens ist das alles unkritisch. Vor allem, wenn die Polizei vor Ort ist. Es ist vielleicht auch nachvollziehbar, dass eine gewisse Sensationslust gibt und die Leute wissen wollen, was passiert ist. Aber wenn sie beim Vorbeifahren an Unfallstellen langsamer werden und mit dem Mobiltelefon filmen und dieses Video dann veröffentlichen, dann wird es bedenklich. Die Menschen haben heute weniger Respekt vor der Privatsphäre anderer.

Es gibt eine Kampagne, mit der respektloses Verhalten gegenüber Amtsträgern wie Polizisten, Feuerwehrleuten oder Verwaltungsmitarbeitern schneller und konsequenter auch vor Gericht geahndet werden soll. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Thema Respekt gegenüber der Feuerwehr gemacht?

Kunkel: Mir ist noch kein Respekt-Problem begegnet, wenn es darum geht, ein brennendes Haus zu löschen oder Menschen zu retten. Aber es gibt immer wieder die Fälle, bei denen Absperrungen nicht respektiert werden. „Ich muss hier mal schnell durch“ heißt es dann. Da muss man dann aufpassen, dass man nicht noch überfahren wird. Mir fällt noch was anderes auf: Die Menschen schieben Verantwortung gerne von sich weg und rufen stattdessen die Feuerwehr oder Rettungskräfte, so, als wären das Servicekräfte. Da fällt mir das Beispiel der Enten ein, die auf dem zugefrorenen Schwanenteich nicht mehr auf die Beine gekommen sind. Deswegen sind wir mehrfach alarmiert worden.

Würden Sie sich heute auch noch dafür entscheiden, ehrenamtlich zur Feuerwehr zu gehen?

Kunkel: Ja, definitiv. Mich hat damals bewogen, dass man bei der Feuerwehr handwerklich tätig ist und anderen Menschen hilft. Ich habe einen Schreibtisch-Job. Für mich war und ist die Feuerwehr ein Ausgleich zum Beruf.