Familien stärken : Zu kurz gekommen sind nicht Mathe und Deutsch, sondern Gemeinschaft
Kreis Heinsberg Die Westzipfelschule in Saeffelen wird das erste Familiengrundschulzentrum im Kreis Heinsberg und kann den Familien besondere Angebote machen. Warum das gerade in der Corona-Pandemie ein wichtiges Angebot ist.
Die Schule, vor allem die Grundschule, ist ein Ort, an dem mehr als lesen, schreiben und rechnen gelernt und gelehrt wird. Gerade für die Kleinsten ist sie ein Ort, an dem sie lernen, wie Konflikte bewältigt werden können, wie man als Gruppe zusammenarbeitet, sie ist ein Ort, an dem Kinder in Bewegung kommen und Sport treiben, musizieren, forschen und an dem sie in einem Gruppenverband etwas erleben.
„Schule hat so viel Schönes zu bieten, das weit über das Pauken der Fächer Mathe und Deutsch hinausgeht. Dieses Schöne an Schule – das in den vergangenen zwei Jahren zu kurz gekommen ist und noch immer zu kurz kommt – wollen wir den Kindern wieder zurückgeben“, sagt Andrea Reh. Sie leitet die Westzipfelschule in Selfkant-Saeffelen, die nun als erste Grundschule im Kreis ein Familiengrundschulzentrum ist.
„Das Ziel dieses Familiengrundschulzentrum ist es, die Bildungschancen von Schulkindern zu verbessern und Eltern als Bildungspartner der Kinder ins Boot zu holen. Das alles verbunden mit viel Spaß und Gemeinschaft“, erklärt Reh. „Wenn von den Folgen der Pandemie gesprochen wird, dann dreht sich alles um Lernrückstände. Ich sehe an unserer Schule aber nicht die gravierenden Lernrückstände, was die Lehrpläne betrifft. Was zu kurz gekommen ist, ist die Gemeinschaft“, sagt die Schulleiterin. „Die Corona-Pandemie hat etwas mit den Kindern gemacht, sie hat sie verändert. Viele sind zurückgenommener und bremsen sich selbst, denn sie wurden über viele Monate ausgebremst. Sie regulieren sich und sind ängstlicher geworden. Deshalb bieten wir Kindern, Eltern und Familien neben Bewegungs- auch psycho-soziale Angebote, die über das normale schulische Programm hinausgehen, Angebote bei denen sie Lebensfreude, Mut und Selbstvertrauen stärken können“, sagt Reh.
Das Familiengrundschulzentrum ist aber auch ein Projekt zur Prävention – gerade in diesen schwierigen Zeiten, die in der Vergangenheit von Homeschooling geprägt waren. Denn in Deutschland hängen Bildungschancen immer noch stark von der sozialen Herkunft ab. Will man daran etwas ändern, so sind Experten sicher, müsse man auch die Familien stärker in den Blick nehmen. „Insbesondere im Grundschulalter ist der Einfluss von Eltern auf den Lernerfolg erheblich“, sagt Reh. „Deswegen setzt das Konzept der Familiengrundschulzentren genau dort an – bei den Eltern. Ziel ist es, Eltern in ihrer Rolle als Bildungsbegleiterinnen und -begleiter ihrer Kinder mit ins Boot zu holen.“
So können Eltern mit Zuwanderungsgeschichte in der Westzipfelschule kostenlose Deutschkurse besuchen, es werden Eltern-Kind-Kochkurse angeboten, Großeltern-Enkel-Backnachmittage, Eltern-Kind-Yoga. „Die Angebote werden sehr gut angenommen und wir erreichen damit auch Eltern, die wir sonst nur schwer erreichen können“, sagt Reh. Da sei zum Beispiel eine Mutter mit Migrationshintergrund, die in den vergangenen 15 Jahren durchgehend Kinder an der Schule hatte, die aber nie einen Elternabend oder einen Elternsprechtag wahrgenommen hat. „Das war der Tatsache geschuldet, dass sie kein Deutsch sprach. Nun besucht sie einen unserer Deutschkurse und ist viel näher dran an der Schule und Schulthemen“, erklärt Sozialpädagogin Ines Klaßen. Neun Kinder machen sich in diesem Schuljahr auf die „Heldenreise“. „Die Teilnehmer wurden von uns ausgewählt, weil sie uns Sorgen machen. Im Kurs geht es darum, dass Ich zu stärken, Gefühle wahrzunehmen und Achtsamkeit zu trainieren“, sagt Reh.
Die Angebote für Eltern, Kinder und Familien sind kostenlos. Das Familienministerium des Landes NRW fördert das Familiengrundschulzentrum im Rahmen von „Kinderstark – NRW schafft Chancen“. In Kooperation zwischen Schule, Schulträger und dem Kreisjugendamt werden die Angebote umgesetzt. „Mit den Angeboten werden auch Unterstützungsstrukturen für Familien geschaffen, mit denen Präventionsarbeit geleistet werden kann“, sagt Reh. Die Angebote sind aber auch offen auch für interessierte Familien, deren Kinder nicht der Schule angehören.
„Seit Beginn des Schuljahres sind wir Familiengrundschulzentrum und haben sehr gute Erfahrungen gemacht. Wir würden uns freuen, wenn sich noch mehr Schulen im Kreis auf den Weg machen würden, Familienzentrum zu werden. Gerade in diesen Zeiten der Pandemie ist Unterstützung und Gemeinschaft wichtiger als je zuvor“, sagt Reh und betont: „Denn als Familiengrundschulzentren entwickeln sich Grundschulen zu Orten der Begegnung, Beratung und Bildung für Kinder und ihre Familien. Sie bündeln verschiedene, insbesondere präventive Angebote an der Grundschule. Dadurch wird die Schule zu einer Anlaufstelle für Familien und zu einem sozialräumlichen Knotenpunkt, an dem Eltern und Kinder aller Altersgruppen zusammenkommen.“