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Nachgefragt: Wenn Pornosucht zum Kontrollverlust führt

Nachgefragt : Wenn Pornosucht zum Kontrollverlust führt

Die Zugriffszahlen auf Pornoseiten im Internet sind während der Pandemie stark gestiegen. Dadurch ist auch die Zahl der Pornosüchtigen größer geworden. Ein Gespräch über diese Sucht und wie man sie angehen kann.

Deutschland ist Weltmeister! Nicht im Fußball, sondern im Pornokonsum. 12,4 Prozent der Zugriffe auf pornografische Webseiten kommen laut dem Internetportal netzsieger.de aus Deutschland. Ein Viertel aller Anfragen im Internet drehen sich um Pornografie. Sie ist einfach und leicht zu bekommen mit wenigen Klicks – auch für Kinder und Jugendliche. Mit elf Jahren schauen Pornokonsumenten im Durchschnitt ihr erstes pornografisches Video.

Während der Pandemie sind die Zugriffszahlen auf Internetseiten mit pornografischen Inhalten weltweit stark gestiegen. Dadurch werden auch immer mehr Menschen süchtig nach solchen Videos. Schon vor der Pandemie schätzten Experten die Zahl der Pornosüchtigen in Deutschland auf eine halbe Million. Unser Redakteur Benjamin Wirtz hat mit der systemischen Paar- und Sexualtherapeutin Silke Christiani aus Erkelenz darüber gesprochen, wie verbreitet Pornosucht ist, wie sie sich äußert und was man in der Therapie gegen sie tun kann.

Der Pornokonsum im Internet ist während der Pandemie stark gestiegen. Ist das etwas, das in Ihren Beratungen jetzt auch vermehrt Thema wird?

Silke Christiani: Im Rahmen meiner Arbeit mit Paaren konnte ich einen leichten Anstieg feststellen. Pornokonsum in einer Beziehung stellt aber konstant eine Thematik dar, die innerhalb der therapeutischen Arbeit vorkommt.

Haben Sie Klienten, die an Pornosucht leiden?

Christiani: Ja.

Wie verbreitet ist es Ihrer Einschätzung nach bei uns?

Christiani: Dazu lassen sich schwierig allgemeine Rückschlüsse ziehen, da die Dunkelziffer sicher sehr hoch ist.

Wie äußert sich diese Sucht?

Christiani: Generell äußert sich die Sucht, indem man immer mehr versucht, diesem Bedürfnis nachzugeben. Es werden zunehmend mehr sexuelle Reize benötigt, um das steigende Bedürfnis zu befriedigen. Kennzeichnend ist, dass der Betroffene nicht mehr mit dem Konsum aufhören kann.

Was sind negative Folgen für die Betroffenen?

Christiani: Im Wesentlichen schränkt der steigende Konsum den Alltag ein. Es kommt sowohl beruflich wie auch privat zu Ablenkungen.

Welche Auswirkung hat eine Pornosucht auf eine Beziehung?

Christiani: Innerhalb meiner persönlichen Arbeit und Erfahrung stellte sich heraus, dass Pornosucht entweder den Partner völlig aus der gemeinsamen Sexualität ausschließt, oder aber der Partner durch den erhöhten Konsum überfordert wird. Der Partner fühlt sich ausgeschlossen und kann meist nicht verstehen, was dem Betroffenen in sexueller Hinsicht in der Beziehung fehlt. Das führt zu Spannungen und oft zu einem Minderwertigkeitsgefühl, was dann zu Misstrauen und schlussendlich auch nicht selten zu einer Trennung führen kann.

Ab wann ist man pornosüchtig?

Christiani: Von einer Pornosucht wird gesprochen, wenn der Betroffene eine fehlende Kontrolle über den eigenen Konsum bemerkt und nicht ohne Einschränkungen aufhören kann. Verzichtet er auf Pornos, treten körperliche sowie psychische Symptome auf. Die Symptomatik kann dabei bei jedem anders sein, umfasst aber beispielsweise Nervosität, körperliche Anspannung, innere Unruhe, Schweißausbrüche und Aggression.

Wie bemerkt man, dass man pornosüchtig ist?

Christiani: Ein Warnsignal für eine Pornosucht kann sein, dass der Konsum beim Betroffenen zu Einschränkungen im Alltag führt. Es ist auch möglich, dass der Betroffene lieber allein konsumiert als in der Partnerschaft Sex zu haben, dass er Termine verschiebt oder gar nicht wahrnimmt und sich immer mehr abgrenzt und isoliert. Ein Zeichen ist natürlich auch, wenn der Betroffene trotz Vorsatz und Bemühen nicht aufhören kann.

Wann sollte man sich Hilfe suchen?

Christiani: Grundsätzlich ist Sexualität so individuell wie der Mensch und soll bereichernd sein und Spaß machen. Erst wenn Druck und Zwang entsteht und es den Alltag oder die Beziehung beeinflusst, besteht Handlungsbedarf. Dabei ist es wichtig, dass man sich vertrauensvoll Hilfe sucht. Eine Selbsttherapie ist – wie bei den meisten Süchten – sehr schwierig. Dafür stehen Beratungsstellen, professionelle Therapeuten oder Selbsthilfegruppen zur Verfügung.

Wie behandelt man Pornosucht in der Therapie?

Christiani: Wichtig ist, erst einmal das Verständnis über die Pornosucht und die Einsicht bezüglich der daraus folgenden Problematik für den Betroffenen zu fördern. Generell richtet sich der Verlauf der Therapie immer nach dem Betroffenen und seinen Bedürfnissen. Eine strikte Einschränkung und Disziplin sind erforderlich. Der Betroffene sollte die Symptome des Entzugs als Heilungsprozess erkennen und kann zusätzlich mit Hilfe von Entspannungsmaßnahmen entgegenwirken. Auch sind therapeutische Gespräche wichtig, in denen neue Routinen und Verhaltensmuster erlernt und andere Tagesabläufe erarbeitet werden.

Wer ist am stärksten von einer solchen Sucht betroffen? Gibt es Faktoren hinsichtlich des Geschlechts oder Alters?

Christiani: Grundlegend schauen mehr Männer Pornografie. Pauschalisieren kann man es allerdings nicht, da bei dieser Thematik eine sehr hohe Dunkelziffer wahrscheinlich ist. Pornosucht kann geschlechts-, alters- und schichtunabhängig auftreten und jeden betreffen.

Welche Rolle spielt das Internet und die ständige Verfügbarkeit pornografischer Inhalte bei dem Thema?

Christiani: Pornografie gehört schon immer zu unserer Sexualität. Sei es bei Wandmalereien, alten Aufzeichnungen des Kamasutras oder Photographien, die unter dem Ladentisch verkauft wurden. Das Internet ermöglicht jedoch einen uneingeschränkten Zugang zu einer umfassenden Bandbreite an pornografischem Material. Dabei ist es mittlerweile für jegliche sexuelle Orientierung möglich, passende pornografische Inhalte zu finden. Dies kann zu einer Überreizung und Bedürfnissteigerung führen, was dann zu einer verzerrten sexuellen Wahrnehmung führen kann.

Gibt es denn einen gesunden Pornokonsum?

Christiani: Natürlich. Pornokonsum kann in bestimmten Lebenslagen eine Bereicherung sein. Sei es als Paar, welches sich gemeinsam neuen Dingen öffnen möchte, oder aber für alleinstehende Menschen, die ihre Sexualität ausleben wollen.