Dirk Weinspach über den Einsatz : Sturm auf Lützerath hätte als „Loveparade-Szenario“ enden können
Erkelenz /Aachen Der riesige Lützerath-Einsatz ging für die Polizei viel schneller als zunächst erwartet. Trotzdem gibt es Kritik am Vorgehen der Einsatzkräfte. Die weist Polizeipräsident Dirk Weinspach zurück.
Nach der Räumung von Lützerath hat der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach Kritik zurückgewiesen, die Polizei hätte mit unangemessener Gewalt reagiert. „Der Vorwurf, wir hätten unverhältnismäßig körperliche Gewalt angewendet, um das Betreten eines Privatgrundstücks zu verhindern, hat mich getroffen. Ich fand ihn unpassend, und er wurde der Lage nicht gerecht“, sagte Weinspach im Interview mit unserer Zeitung.
Die Polizei hatte den von Klimaaktivisten besetzen Ort Lützerath in nur vier Tagen vollständig geräumt. Dafür waren in der Spitze an einem einzigen Tag 3700 Polizisten im Einsatz. Zu Beginn der Räumung hatten sich nach Polizeiangaben 531 Besetzer in Lützerath befunden. 372 verließen den Ort freiwillig, 159 mussten von der Polizei herausgeholt werden.
Besonders heftig diskutiert wurde im Nachgang über den Einsatz der Polizei bei der Großdemonstration gegen Räumung und Abriss von Lützerath am 14. Januar. Dabei hatten Zehntausende zunächst friedlich demonstriert. Die Polizei spricht von 15.000 Teilnehmern, die Veranstalter von 35.000. Rund 5000 Menschen lösten sich aus dieser Demonstration, um in das besetzte Lützerath zu gelangen. Das verhinderte die Polizei mit körperlicher Gewalt, Schlagstöcken, Pfefferspray und Wasserwerfern. Weinspach argumentiert, dass das unbedingt nötig und angemessen war, denn in Lützerath, wo Abrissarbeiten liefen, hätten erhebliche Gefahren gelauert. Und durchbrechende Demonstranten hätten schon am Zaun vor Lützerath in eine verhängnisvolle Situation kommen können. „Das Durchbrechen der Polizeireihen, der engen Wagenreihen und das Überwinden der Doppelzaunanlage hätten immense Gefahren heraufbeschworen. Menschen wären übereinandergefallen, weitere hätten nachgedrängt. Da hätten wir fast ein Loveparade-Szenario gehabt“, sagte Weinspach. Damit spielt Weinspach auf das Loveparade-Unglück von Duisburg an, bei dem 21 Menschen im Zuge einer Massenpanik ums Leben gekommen waren.
In und um Lützerath gab es seit Jahresbeginn nach Polizeiangaben 441 Strafanzeigen gegen Unbekannte und Aktivisten, unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten und Widerstand gegen Polizeibeamte, Brandstiftung sowie Haus- und Landfriedensbruch. „In Einzelfällen sind auch Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte, beispielsweise wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt eingeleitet worden. Weiteren Hinweisen wird nachgegangen und Videomaterial wird zur Beweissicherung gesichtet“, so die Polizei.
Während des gesamten Lützerath-Einsatzes sind 115 Polizisten verletzt worden. Davon verletzten sich 56 Beamte ohne Fremdeinwirkung, 59 erlitten meist leichte Verletzungen durch Fremdeinwirkung. Bislang liegen der Polizei 25 Meldungen über verletzte Personen aus der Aktivisten- und Demonstrantenszene vor.
Das ausführliche Interview, in dem Weinspach auch über den Auftritt von Greta Thunberg, die Menschen in den geretteten Dörfern und seine innere Zerrissenheit in der Lützerath-Frage spricht, folgt.