Docfest on Tour : Popcorn machen, zurücklehnen, vorfreuen
Heinsberg-Oberbruch Einen Vorgeschmack auf das Docfest on Tour in den ehemaligen Glanzstoffwerken Oberbruch gibt es am Sonntag online. Später soll das Publikum dann auch noch in die ehemalige Industriehalle dürfen.
Die große Industriehalle hinter Jakob Wöllenweber ist leer. Das liegt zum einen daran, dass nur ein Foto hinter dem Vorsitzenden des Fördervereins Industriepark Oberbruch eingeblendet ist, zum anderen an der aktuellen Corona-Situation. Eigentlich sollten in den nächsten Tagen in der ehemaligen Produktionshalle von Glanzstoff in Oberbruch Stühle aufgereiht, eine Leinwand aufgebaut, ein Beamer aufgestellt werden. Alles sollte ganz adrett werden für das Docfest on Tour, das am kommenden Sonntag, 17. Mai, Halt in Oberbruch machen sollte. Michael Chauvistré bringt für dieses Festival des Films seit vier Jahren Dokumentarfilme an ungewöhnliche Orte. Damit möchte der Aachener Filmemacher nicht nur Menschen erreichen, die Dokumentarfilme sowieso schon mögen, sondern auch Menschen, die vielleicht diesen besonderen Ort mögen und so einen neuen, einen anderen Zugang zu ihm bekommen.
Diese Kulturinitiative wird zum dritten Mal vom Kreis Heinsberg gefördert, und für den Filmtag in den ehemaligen Glanzstoffwerken in Oberbruch haben sich der Förderverein Industriepark Oberbruch, das Begas-Haus, Museum für Kunst und Regionalgeschichte, das Deutsche Rote Kreuz und Happy Endings Film zusammengetan. Nur wird er nicht, wie geplant, am 17. Mai stattfinden. Wer sich bereits eine der kostenlosen Platzkarten im Museum Begas-Haus an der Hochstraße 21 mitgenommen hat, sollte sie trotzdem gut aufbewahren. Sie behält ihre Gültigkeit für den neuen Termin, egal ob er im September oder im März 2021 stattfindet. Der Eintritt ist frei, aber für die Organisatoren ist es gerade jetzt wegen des notwendigen Hygienekonzepts wichtig zu wissen, mit wie vielen Zuschauern sie rechnen können.
Eventuell könnten die Filme zwei Mal gezeigt werden, sagt Jakob Wöllenweber, sollte das Interesse so groß sein, wie zum Beispiel bei den Modeschauen im Begas-Haus, die passend zur Ausstellung „Frauen bei Glanzstoff“ gezeigt wurden. Damals gab es wegen der großen Nachfrage statt einer gleich vier Modenschauen. Wer die verpasst hat, kann sich die unkonventionelle Kleiderpräsentation der Glanzstoff-Kollektion beim Filmfestival auf der Leinwand anschauen.
Aber bis zum 6. September oder auch bis zum März 2021 ist es noch lang. Deshalb nutzen die Organisatoren die Möglichkeiten der digitalen Welt, damit es am 17. Mai, der in diesem Jahr den Titel Internationaler Tag des Museums trägt, um 14 Uhr doch einen Filmsonntag geben kann, nur klein und online. Jeder, der mag, kann sich ab 14 Uhr zuschalten und bekommt einen kleinen Vorgeschmack auf das, was die Zuschauer beim Docfest erwartet. Ein acht Minuten langer 16-mm-Film über die Polymerisation knattert und knackt da zum Beispiel über den Bildschirm, kommentiert von einer Stimme, die an die Wochenschau erinnert.
Die Filme aus dem Archiv seien für den Förderverein Industriepark Oberbruch so wichtig, weil es zwar noch die Hallen, aber nicht mehr die Maschinen gibt, sagt Jakob Wöllenweber. „Die Filme zeigen die Dimensionen des Standortes.“ Die filmischen Dokumente zeigen auch die Arbeitsbedingungen in Oberbruch Ende der 1920er-Jahre. Wenn dann beim Docfest wie geplant der Film „Maschines“ in voller Länge gezeigt wird, werden die großen Kontraste zu den Bedingungen in der heutigen Textilindustrie in Indien deutlich. In die Video-Konferenz können sich bis zu 100 Teilnehmer einwählen. Ob man die Kamera einschalte oder nicht, bleibe jedem selbst überlassen, sagt Michael Chauvistré. „Ich würde mich aber freuen, wenn Leute den Mut finden, sich einzuschalten und mitzumachen.“ Ganz gleich, ob sie dann Fragen stellen oder vielleicht erzählen, dass sie ihre große Liebe bei Glanzstoff kennengelernt haben. Der Filmemacher würde gerne mit den Zuschauern ins Gespräch kommen, so wie im vergangenen Jahr, als im Besucherbergwerk Schacht 3 in Hückelhoven die Dokusoap „4 im Revier“ gezeigt wurde und viele „Experten“ im Publikum saßen, also Kumpel, die sich auskannten.
Plaudern werden aber auch Dr. Rita Müllejans-Dickmann, Leiterin des Begas-Hauses, und Jakob Wöllenweber vom Förderverein Industriepark Oberbruch über die Erinnerungsarbeit an eine Industrie, die eine ganze Region über mehrere Generationen prägte, über die Frauen, die mindestens 50 Prozent der Belegschaft ausmachten und für die Qualitätssicherung unverzichtbar waren und über das geplante „Dokumentationszentrum Oberbruch“, das der Förderverein mit Hilfe des Begas-Hauses aufbaut.
Für das Begas-Haus, das nach seiner Eröffnung meist als Kunstmuseum wahrgenommen wurde, sei die Beschäftigung mit der Zeit der Industrialisierung der Region eine Chance, sagt Dr. Rita Müllejans-Dickmann. „Wir wollen zeigen, dass uns die Regionalgeschichte nicht aus dem Fokus gerutscht ist.“ Im Fokus einer Kamera steht übrigens auch Landrat Stephan Pusch am Filmsonntag – für ein paar filmische Grußworte an die Zuschauer.