Heinsberg : Ortsvorsteher in Heinsberg ist ein Job für Idealisten
Heinsberg Nicht etwa, dass er sich beklagen möchte. Schließlich ist er ja Kommunalpolitiker aus Leidenschaft. Aber dennoch musste Jo Reiners aus Karken feststellen, als er 2009 zum Ortsvorsteher in Karken gewählt wurde: „Den wahren Umfang der zusätzlichen Arbeit hat man mir damals nicht genannt. Da ich schon politisch und in Vereinen aktiv war, habe ich gedacht, so viel mehr wird das schon nicht.“
Da muss der CDU-Mann, der auch seit 2009 im Rat der Stadt Heinsberg sitzt, im Nachhinein noch schmunzeln. Er ist einer von 13 Ortsvorstehern in der Kreisstadt, die aufgrund der politischen Mehrheitsverhältnisse allesamt den Christdemokraten angehören. Zwingend Mitglied des Rates müssten die Ortsvorsteher nicht sein, aber in Heinsberg ist es so geregelt.
Grundsätzlich sind in Nordrhein-Westfalen die den Ortsvorsteher betreffenden Angelegenheiten in Paragraf 39 der Gemeindeordnung geregelt. Viel Idealismus ist vonnöten, wenn man diesen Job übernehmen möchte, denn wer glaubt, hier mal eben so ein sattes Zubrot zur beruflichen Tätigkeit einstreichen zu können, dürfte bei seiner persönlichen Aufwands- und Ertragsrechnung in finanzieller Hinsicht baden gehen.
195 Euro und 30 Cent im Monat sind bestenfalls eine kleine Anerkennung. Wir sprachen mit sechs Ortsvorstehern und wollten wissen, was sie dennoch antreibt und welche zum Teil skurrilen Forderungen schon aus der Bevölkerung an sie herangetragen wurden.
Ein Bindeglied zur Stadt
Letztlich, so erklärt Norbert Krichel, der in Porselen sein Amt versieht, seien sie alle stellvertretend für den Bürgermeister im Ort tätig. „Wir möchten das Bindeglied vom Bürger zur Stadt sein.“ Egal ob Ehejubiläen, Geburtstage besonders betagter Bürger oder die Organisation des Volkstrauertages — die Ortsvorsteher sind zur Stelle. Bei keinem Vereinsfest dürfen sie fehlen. „Es fällt immer auf, wenn man nicht da ist“, sagt Krichel.
Siggi Jansen, der in der Heinsberger Innenstadt agiert, bringt es so auf den Punkt: „Ich bezeichne mich gerne als Kümmerer.“ Alleine für Ehejubiläen und Geburtstage hätte er in diesem Jahr 90 Besuche absolvieren müssen. „Doch nicht immer ist ein Besuch gewünscht.“ Alexander Schmitz, zuständig für Randerath, Himmerich und Uetterath, erinnert sich noch an sein erstes Jahr. 50 Termine habe er damals schon wahrgenommen.
Wenn man das Vereinsleben hinzu zähle, reiche das längst noch nicht aus, sagt Albert Heitzer, der Ortsvorsteher von Dremmen. „Ich komme auf etwa zehn Vereine, in denen ich zusätzlich noch Mitglied bin. Und dabei beschränkt es sich ja nicht auf eine bloße Mitgliedschaft.“ Immer wieder packen die Ortsvorsteher auch mit an, wenn Not am Mann ist. Dann steigt Krichel auch schon mal in den Kanal hinab, um nach einem Malheur bei der Neugestaltung des Ehrenmals eimerweise Sand und Mörtel wieder ans Tageslicht zu befördern. Ebenso sind die Ortsvorsteher aber auch Vorleser oder Wanderführer, wenn es nötig ist.
„Ortsvorsteher sind Ideengeber und Initiatoren, damit das Dorfleben attraktiv und lebenswert bleibt“, meint Krichel. So habe er es zum Beispiel in einer Aktion geschafft, dass Kinder alte Bushaltestellen neu gestaltet hätten. „Bis heute ist davon nichts kaputt gemacht oder verschmutzt worden“, freut er sich. Auch Jansen hat so ein Erfolgserlebnis parat.
Als der Martinszug in der Heinsberger Innenstadt im letzten Jahr vor dem Aus stand, sei er es gewesen, der Gewerbeverein, Feuerwehr und Grundschule an einen Tisch geholt habe, um die bedeutsame Traditionsveranstaltung zu retten. Der unmittelbare Zugang zu den Ortsringen sei besonders wichtig, um Probleme zu erkennen und ihre Lösung anzupacken, schiebt Schmitz nach. „Ohne geht es nicht.“
Doch bisweilen nähmen Wünsche und Forderungen, die an sie herangetragen würden, schon seltsame Formen an. „Es gibt Leute, die stehen plötzlich vor Ihnen und fordern Sie nachdrücklich auf dafür zu sorgen, dass ein Supermarkt gebaut wird. Dann müssen Sie denen erst einmal erklären, dass das nicht in Ihrer Macht liegt, dass man sich nur darum bemühen kann. Ich kann ja niemanden zwingen, in Dremmen einen Supermarkt zu bauen.“
Helmut Frenken, Ortsvorsteher in Oberbruch, beschäftigt derzeit ein durchaus ernstes Problem. Eine kleine Grünanlage, schräg gegenüber der Sparkassenfiliale, ist vielen Bürgern seit langem ein Dorn im Auge, weil sich hier nahezu täglich eine kleine Gruppe Arbeitsloser trifft, die dort ihr Bier trinken. Und oftmals nicht nur eines. Anwohner oder Mütter mit Kindern, die täglich hier vorbei müssen, fühlten sich unwohl, ja bisweilen gar bedroht und wüssten nicht, wie sie das ihren Kindern erklären sollten. Geschäftsleute sprächen von Umsatzeinbußen.
„Die Leute meinen, man würde sich nicht mit dem Thema beschäftigen“, sagt Frenken. Er müsse dann erklären, dass man keine Handhabe besitze, Menschen zu verbieten, hier zu sitzen und Bier zu trinken, solange keine Gefahr von ihnen ausgehe. Neben solch nachvollziehbaren Ängsten und Nöten trieben die Anliegen der Menschen jedoch bisweilen seltsame Blüten.
Da werde er zum Beispiel von jemandem angerufen, der auf der Bank am Kinderspielplatz sitze und sich bei ihm beklage, dass er einen „Hundeköttel“ im Sandkasten entdeckt habe und zudem auf der Bank sitzend auch noch auf eine hässliche Garage blicken müsse. Ein anderes Mal wurde er angerufen, weil ein Lkw einen Stein verloren hatte und mit der Frage konfrontiert: „Kann die Stadt kommen und den abholen?“
Auch Alexander Schmitz lässt sich nicht lange bitten, wenn es um das Erzählen munterer Begebenheiten geht: „Mich rief im Herbst eine Frau an und fragte, wann denn die Stadt das Laub abholen komme, dass in ihrem Vorgarten liege. Schließlich stamme es ja von städtischen Bäumen gegenüber.“ Den Vogel schießt aber Norbert Krichel ab. „Ich habe schon erlebt, dass sich eine Frau auf einer Bürgerversammlung bei mir beklagt hat, in Porselen gebe es mehr Hunde als Kinder. Ich solle dafür sorgen, dass sich das ändert.“
Bei aller Liebe, lacht der Ortsvorsteher, aber mit vier Töchtern habe er da wohl längst seine Schuldigkeit getan.