Themen-Check zur Landtagswahl : Nachgefragt: Was ist aus der Flut zu lernen?
Special Kreis Heinsberg Wir haben den Landtagskandidaten Fragen zum Extremhochwasser im letzten Sommer gestellt, sie haben geantwortet.
Es war das Ereignis im vergangenen Sommer: Die Hochwasserkatastrophe hat viele Gebiete in NRW dramatisch getroffen. Sie wird die Region auch in den nächsten Jahren noch beschäftigen. Wie blicken die Direktkandidaten des Wahlkreises Heinsberg I auf die Flut zurück? Und wie blicken sie in die Zukunft? Wir haben ihnen folgende Fragen gestellt:
I) Wie bewerten Sie das Krisenmanagement bei der Flutkatastrophe im Sommer 2021?
II) Was muss von der Politik getan werden, um solche Ereignisse in Zukunft besser zu bewältigen?
Bis auf die AfD haben alle geantwortet. Hier lesen Sie die Statements.
Bernd Krückel, CDU
I) Die Flut hat uns in NRW mit bis dahin unvorstellbarem Ausmaß getroffen, Experten bezeichneten es als 10.000-jähriges Ereignis. Vor diesem Hintergrund sind die Katastrophenschutzstrukturen an ihre Grenzen gestoßen. Jedoch wurde auf allen Ebenen Enormes, bis hin zum Einsatz von Leib und Leben, geleistet. Auch der Kreis Heinsberg als Träger des Katastrophenschutzes hat entsprechend reagiert. Die überörtliche Hilfe im Bereich der Feuerwehr hat funktioniert. Gemeinsam mit anderen Hilfsorganisationen, THW, Bundeswehr und Polizei waren in der Spitze über 23.000 Kräfte im Einsatz. Schwächen haben sich insbesondere im Bereich der Warnketten und im Digitalfunk gezeigt. Die Soforthilfen sind schnell und unbürokratisch ausgezahlt worden.
II) Die Flut hat gezeigt, dass die bislang vorhandenen Erlasse zum Hochwasserkrisenmanagement und zum Hochwasserinformationsdienst sowie das Brand- und Katastrophenschutzgesetz verbessert werden müssen. Diese zwischen 2011 und 2015 erlassenen Vorschriften werden einer solchen flächendeckenden Katastrophe nicht gerecht. Den Kreisen müssen als Katastrophenschutzbehörden bessere Vorhersagen zu Pegelständen zur Verfügung gestellt werden. Auf Kreis und Landesebene müssen Katastrophenschutzbedarfspläne erstellt werden und solche Szenarien vorgedacht und geübt werden. Beim Land muss ein ständiger Führungsstab eingerichtet, durch eine Digitalisierungsoffensive ein Echtzeit-Landeslagebild ermöglicht werden. Warnungen müssen aus einem Mix von Cell-Broadcasting, Sirenen und Radio verbessert werden und das Verständnis und die Resilienz der Bevölkerung muss gestärkt werden. Die Ausstattung der Einheiten im Katastrophenschutz muss dort, wo es erforderlich ist, verbessert werden. Der Hochwasserschutz muss gerade in den kleineren Flüssen verbessert werden.
Andrea Reh, SPD
I) Dass das Krisenmanagement im letzten Jahr nicht gut war, ist nicht nur durch den Rücktritt der ehemaligen Umweltministerin Frau Heinen-Esser hinreichend belegt. Es gab ein großes Durcheinander bei den Zuständigkeiten. Ein Krisenstab auf Landesebene hätte zwingend eingerichtet werden müssen. Oft hing die Hilfe vor Ort an dem großen Engagement einzelner Ehrenamtlicher und den Ortsverbänden der Feuerwehr oder des THW. Und auch wenn wir für diese Hilfe sehr dankbar sind und ohne diese Hilfe vor Ort im wahrsten Sinne des Wortes untergegangen wären, müssen wir für solche Katastrophenfälle besser gerüstet und vorbereitet sein.
II) Es muss vor allen Dingen genau hingeschaut werden, was im letzten Jahr nicht gut funktioniert hat, um daraus mit allen Beteiligten Verbesserungen abzuleiten. Wir brauchen dringend funktionierende Alarmierungssysteme, die auch dann funktionieren, wenn Strom und Internet ausfallen. Im Katastrophenfall ist für die Bevölkerung und Einsatzkräfte ein frühzeitiges und funktionierendes Alarmierungssystem von höchster Bedeutung. Hilfen – vor allen Dingen auch finanzielle Mittel – für Betroffene müssen schneller und unbürokratischer zur Verfügung stehen. Wer Hilfe braucht, muss schnell Ansprechpartner*innen finden, sei es für die Folgen von Traumatisierung oder für die Beschaffung von benötigtem Material für den Wiederaufbau. Feuerwehren, Rettungsdienste und andere Hilfsorganisationen brauchen eine moderne Ausstattung. Der Katastrophenschutz bedarf insgesamt einer besseren organisatorischen und finanziellen Unterstützung. Mittelfristig müssen die Kommunen bei der Umsetzung vorbeugender Maßnahmen (z. B. Renaturierung von Flussläufen) unterstützt werden. Und nach den Erfahrungen der letzten Zeit muss uns allen klar sein: Der beste Hochwasserschutz ist Klimaschutz.
Stefan Lenzen, FDP
I) Das Starkregenereignis im Sommer 2021 ist an unserer Heimat nicht spurlos vorbeigegangen. Aus der friedlichen Wurm wurde ein reißendes Gewässer. Die Einsatzkräfte vor Ort haben Großartiges geleistet. Ihnen gilt unser Dank! Bund und Länder haben zeitnah finanzielle Mittel bereitgestellt, damit betroffene Bürger, Unternehmen und Kommunen mit den Folgen nicht alleine gelassen werden. Die politische Aufarbeitung von lang-, mittel- und kurzfristigen Versäumnissen erfolgt durch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss unter Vorsitz der FDP.
II) Wir werden den Katastrophenschutz neu denken, neu umsetzen und neu ausbauen. Dazu liegen ein 15-Punkte-Plan des Innenministeriums, ein 10-Punkte-Plan des Umweltministeriums und ein Antrag der NRW-Koalition vor. Wir wollen unter anderem ein digitales Echt-Zeit-Lagebild schaffen, damit mit diesen Erkenntnissen die für den Katastrophenschutz notwendigen Maßnahmen getroffen werden können. Die Optimierung der Hochwasserrisikomanagementplanung und die Schaffung neuer – an den Klimawandel angepasster – Hochwasserkarten, die flächendeckende Erarbeitung von kommunalen und regionalen Starkregenkonzepten und die Stärkung der Kommunen und Kreise in diesem Bereich ist zwingend zum Schutz der Bevölkerung notwendig. Daneben müssen wir unterschiedlichste Szenarien im Katastrophenschutz in den Blick nehmen, Schutzziele definieren und Katastrophenschutzbedarfspläne erarbeiten. Das 2015 von Rot-Grün beschlossene Bevölkerungsschutzgesetz (BHKG) muss überarbeitet werden. Wir werden Feuerwehr und freiwillige Hilfsorganisationen noch besser ausstatten und die Katastrophenschutzpläne stärker in den Blick nehmen. Wir haben 2022 für den Hochwasserschutz zusätzlich 35 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das wollen wir weiter ausbauen.
Sabrina Grübener, Die Grünen
I) Aus meiner Sicht muss sich die jetzige Landesregierung daran messen lassen, ob sie: 1. Generell auf Katastrophen gut vorbereitet ist bzw. in dem speziellen Fall war. 2. Im Vorfeld zur Flutkatastrophe alles getan hat, um die Bevölkerung bestmöglich zu schützen (entsprechende Wetterwarnungen lagen vor). 3. Im Moment der Flutkatastrophe schnell und unmittelbar gehandelt hat. 4. Nach der Katastrophe für eine schnelle und unkomplizierte Hilfe sowie einen zügigen und an die neue Lage angepassten Wiederaufbau gesorgt hat. 5. Aus der Flutkatastrophe die nötigen Schlüsse gezogen hat, um auf mögliche zukünftige Flutkatastrophen bestmöglich vorbereitet zu sein.
Zur Aufarbeitung und Klärung dieser und auch weiterer Fragen wurde im Landtag ein Untersuchungsausschuss eingerichtet. Ich finde es wichtig und richtig, auf die Ergebnisse zu warten, bevor man sich ein abschließendes Urteil bildet.
II) Durch den Klimawandel werden Extremwettereignisse wie die Flutkatastrophe immer wahrscheinlicher. Daher muss die fortschreitende Erderwärmung aufgehalten bzw. auf maximal 1,5 Grad begrenzt werden. Klimaschutz ist somit auch Katastrophenschutz. Gleichzeitig müssen wir auf weitere Flutkatastrophen vorbereitet sein. Hierzu benötigen wir funktionierende Frühwarnsysteme. Menschen, die in potentiellen Überschwemmungsgebieten leben, müssen ausreichend beraten und geschützt werden. Flüsse müssen wieder in ihren ursprünglichen Verlauf zurück (Renaturierung) und der Boden muss wieder in der Lage sein, ausreichend Wasser aufzunehmen. Dafür brauchen wir klima- und umweltfreundliche Maßstäbe bei der Flächenversiegelung und müssen auch wieder Fläche der Natur zurückgeben (zum Beispiel nicht mehr genutzte Gewerbegebiete entsiegeln).
Max Winkowski, Die Linke
I) Land und Bund haben trotz geleisteter Versprechen versäumt, den Opfern der Flutkatastrophe schnelle und unbürokratische Hilfeleistungen zukommen zu lassen. Die betroffenen Menschen mussten sich zu allem Überfluss mühselig selbst um die Erstattung der Schäden kümmern. Die Versiegelung der Böden und deren Bebauung gründet die Ursache für die Flutkatastrophe in unserer Region. Des weiteren kritisieren wir als Linke die Sparmaßnahmen, welche auf Kosten des Katastrophenschutzes in Kauf genommen wurden. Es kann nicht sein, dass ausgiebige Steuergeschenke an Konzerne und Superreiche verteilt werden, aber nicht genug Geld vorhanden ist, um die zivile Sicherheit und eine funktionierende öffentliche Infrastruktur zu gewährleisten.
II) Die Politik muss für die Zukunft Überflutungsflächen konsequent ausweisen. Diese dürfen nicht bebaut, landwirtschaftlich genutzt oder durch Straßenbau versiegelt werden. Außerdem müssen noch intakte Flussauen vor dem menschlichen Eingriff geschützt werden, da diese einen natürlichen Schutz vor Überflutung bieten. Der bereits entstandene Schaden kann durch die umfangreiche Renaturierung von Flüssen rückgängig gemacht werden. Dazu müssen entsprechende Gelder zur Verfügung gestellt werden und es braucht den nötigen politischen Willen! Aus einem Forschungsprojekt der Uni Jena ist hervorgegangen, dass Böden, welche landwirtschaftlich ausschließlich mit Monokulturen bewirtschaftet werden, weniger gut mit Überschwemmungen klarkommen. Böden mit mehr Artenvielfalt waren hingegen wesentlich besser in der Lage, Abfluss zu garantieren. Langfristig braucht es ausreichend öffentliche Gelder, um einen guten Katastrophenschutz und die Bekämpfung der Klimakatastrophe zu gewährleisten. Nur so können wir den sich anhäufenden Extremwetterbedingungen entgegenwirken!
Walter Leo Schreinemacher, Freie Wähler
I) Das Krisenmanagement zur Flutkatastrophe auf Landesregierungsebene war grottenschlecht. Verantwortliche Minister*innen haben in so einem Fall alles stehen und liegen zu lassen und sich um die Katastrophengeschädigten zu kümmern. Da ist es unmöglich, den Geburtstag mit Familienangehörigen zu feiern. Minister*innen werden in ein Amt benannt, weil man ihnen unterstellt, in besonderen Lagen Entscheidungen zum Wohl der Bevölkerung zu treffen. Dann muss man vor Ort sein und nicht Tausende Kilometer entfernt. Auch bekannte Lachereignisse zeigen nur, dass sich diese Personen überhaupt nicht in die Lage der Betroffenen versetzen und keinen Bezug zum Leid der betroffenen Personen aufbauen konnten. Die handelnden Personen in NRW waren Welten von Personen entfernt wie dem früheren brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck.
II) Das muss weniger von der Politik kommen, sondern von der Bevölkerung. Diese muss erkennen, dass nur ein bestimmter Personenkreis für politische Ämter in Frage kommt, der auch solche Situationen beherrscht. Die Bevölkerung muss erkennen, dass man einem solchen Personenkreis keine Stimme geben kann, da dieser nur um Umfragewerte bemüht ist. Die Politik muss dafür sorgen, dass bei sich entwickelnden Krisensituationen auch Ausschüsse aus der handelnden Politik informiert werden, damit auf Entscheidungsträger auch der Druck entsteht, dass sie dann auch wirklich Entscheidungen treffen. Das gerne in Abstimmung mit den Krisenausschüssen. Die Rückkehr zu bewährten Katastrophenwarn- und Hilfeeinrichtungen ist dringend notwendig. Die Stärkung und deutliche Unterstützung von Hilfsorganisationen wie THW oder DLRG ist dringend erforderlich. Das Ehrenamt ist hier wieder deutlich zu unterstützen und aufzuwerten. In diesem Rahmen ist auch über ein Pflichtjahr, ähnlich der ehemaligen Wehr- und Zivildienstpflicht, für alle Bürger nachzudenken.
Jenny Marx, Die Basis
I) Die Warnungen des europäischen Frühwarnsystems EFAS vier Tage vor dem Hochwasser wurden offensichtlich nicht ernst genommen. Der bundesweite „Warntag“, so die Bilanz des Innenministeriums, ist fehlgeschlagen. Das Wasser in der Steinbachtalsperre, die bekanntlich gefährdet war, hätte bereits im Juni abgelassen werden müssen. Zwar gab es viele Einsatzkräfte und Organisationen vor Ort, aber keine aufeinander abgestimmte Koordination derselben. Von einem funktionierenden Krisenmanagement kann also nicht die Rede sein. Die Hauptverantwortung trägt daher offensichtlich der Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), sowie die Leitung der zuständigen Behörde, die es versäumt hat, die betroffenen Menschen im Ahrtal am 14. Juli unmittelbar nach Kenntnis der dramatischen Vorhersage um 17 Uhr sowie nochmals um 20 Uhr zu warnen! Wenn bereits am Nachmittag bzw. am frühen Abend statt erst um 23 Uhr gewarnt worden wäre, dann hätten viele Menschen vor dem Tod bewahrt werden können. Eine menschliche Tragödie, maßgeblich verursacht durch politisches Versagen auf ganzer Linie.
II) Offensichtlich sind private digitalisierte Frühwarnsysteme wie SMS oder Whatsapp nicht dazu geeignet, solche Katastrophen wirksam zu verhindern, zumal insbesondere alte und kranke Menschen oft kein Smartphone besitzen. Es hätte Warnungen über Radio, TV und Sirenen geben müssen. Es sollten länderübergreifende Vernetzungen aller Organisationen, die im Katastrophenschutz zum Einsatz kommen, gebildet werden. Ihre Sachverständigen sollten einen Ablaufplan der erforderlichen Hilfen entwickeln und zeitnah ausarbeiten. Zudem sollten alle zwei Jahre Übungseinsätze durchgeführt werden, um eventuelle Fehler im Katastrophenschutzplan nachjustieren zu können.