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Tagebau Garzweiler: Kein zweiter „Hambi“ im Wald bei Keyenberg

Tagebau Garzweiler : Kein zweiter „Hambi“ im Wald bei Keyenberg

Sie wollen kein „Hambi 2.0“ sein, aber Parallelen sind da: Mitglieder der Gruppe „Unser aller Wald“ haben in einem Waldstück bei Keyenberg Baumhäuser gebaut. Warum sie da sind, was sie fordern und wieso der Kohleausstieg allein ihnen nicht reicht.

Man muss nicht weit in das Waldstück bei Keyenberg hineingehen, um die neuen Bewohner zu finden. Ein Trampelpfad, auf dem man über zwei umgestürzte Bäume steigen muss, führt zu dem, was einmal ein Baumhausdorf werden soll. Es ist ein Ort des Widerstands gegen die Braunkohleförderung, gegen den Kapitalismus und den Tagebaubetreiber RWE. Die jungen Leute, die in den Hütten hoch oben in den Bäumen wohnen, nennen ihr Projekt „Unser aller Wald“.

Julia Riedel lebt seit Ende September in den Baumhäusern. Sie sagt, dass die Gruppe ihre Baumhäuser am Ort der „Zerstörung“ aufgebaut habe – „die Zerstörung des Klimas und der Häuser der Menschen“. Sie sagt, dass die Gruppe die Dorfbewohner, die in den bedrohten Orten am Tagebau bleiben wollen, in ihrem Kampf unterstützen will. „Wir glauben, dass zwischen uns und dem Klimawandel noch die Häuser der Leute in den Dörfern stehen“, sagt Riedel.

Eines der beiden noch recht neuen Baumhäuser im Wald bei Keyenberg ist 18 Meter hoch, das andere etwa zehn Meter. Zwischen den Bäumen sind Transparente aufgespannt. Die Atmosphäre ist freundlich. Die Laune ist gut.

Es ist wahrscheinlich kaum möglich, diesen Ort zu besuchen, ohne an den Hambacher Forst zu denken. Auch wenn die Stimmung dort oft deutlich gereizter war. Vielleicht war im Hambacher Forst einfach zu viel passiert. Dort wurden es mit der Zeit mehr und mehr Baumhäuser, die sich zu kleinen Dörfern innerhalb des Waldes verbanden. Um sie herum entstanden Proteste, bei denen zum Schluss Zehntausende für den Erhalt des Waldstücks demonstrierten. Der „Hambi“ wurde das Symbol der Klimaschutzbewegung. Allerdings waren die Waldbesetzer auch immer wieder an Auseinandersetzungen mit der Polizei oder RWE-Mitarbeitern beteiligt. Konzernchef Rolf Martin Schmitz bezeichnete die Waldbesetzer im Jahr 2017 in einem „Bild“-Interview als „Öko-Terroristen“.

Julia Riedel beschreibt die Geschehnisse am „Hambi“ als „großartigen Moment“, „weil er so viele Menschen berührt hat“. Die Massendemonstrationen und die Rettung des Waldes am Tagebau Hambach hätten gezeigt, wie erfolgreich Protest sein kann: „Im Hambacher Forst haben wir gesehen, dass wir eine starke Bewegung sind und dass wir auch die Dörfer retten können“, sagt sie. Aber das Waldprojekt in Keyenberg sei kein „Hambi 2.0“. Weil danach kein ausreichender Klimaschutz betrieben worden sei, weil man nicht schon wieder auf Parteien warten könne, damit sich etwas ändert. „Wir müssen das selber machen. Wir können nicht auf die Politiker warten“, sagt Riedel. Keine Spur von Vertrauen in Staat oder Politik.

Frühstück im Baumhaus: Die Gruppe „Unser aller Wald“ richtet sich gegen Kohle und Kapitalismus und kämpft für Keyenberg, Kuckum und Co.
Frühstück im Baumhaus: Die Gruppe „Unser aller Wald“ richtet sich gegen Kohle und Kapitalismus und kämpft für Keyenberg, Kuckum und Co. Foto: MHA/Daniel Gerhards

Natürlich ähnelt die Protestform im Keyenberger Wald der „Hambi“-Besetzung, aber am Tagebau Garzweiler gehe es viel eher um soziale Fragen. „Es ist offensichtlich, dass es hier nicht um bedrohte Tierarten geht, hier geht es um Menschen. Deshalb können die Dörfer ein Kristallisationspunkt für die Bewegung werden“, sagt Riedel.

Vom feuchten Waldboden aus sind es nur ein paar Sprossen, die man hinaufsteigen muss, um das Leben im Baumhaus zu sehen. Die Leiter ist aus jungen Stämmen, Ästen und Seilen gebaut. Auf der erste Etage des dreistöckigen Baumhauses befindet sich so etwas wie eine Küche. Man scheint eine Welt zu betreten, die irgendwo zwischen Camping-Urlaub und Robin Hood liegt. Es gibt ein paar Töpfe, eine zusammengebastelte Küchenzeile und einen Kaffee, der so stark ist, dass er jeden Sinn einzeln schärft.

Wenn man die Bewohner der Baumhäuser verstehen will, dann muss man hinter die Anti-Kohle-Position schauen. Denn ihnen geht es um mehr als einen Umsiedlungsstopp oder einen früheren Kohleausstieg. Das Grundübel liegt für sie im Kapitalismus. „Genauso, wie wir die Klimakrise nicht im Kapitalismus lösen können, werden solche sozialen Probleme im Kapitalismus immer auftreten“, sagt Riedel in Bezug auf die Umsiedlungen. Deshalb bräuchten Wirtschaft und Gesellschaft „andere Rahmenbedingungen als den Kapitalismus“. Während Umwelt- und Klimaschutz in Deutschland heute mehrheitsfähig sind, ist so deutliche Kapitalismuskritik weit von politischen Mehrheiten entfernt.

Riedel sagt, dass die Gruppe im Wald, deren Größe immer stark schwanke, trotzdem viel Unterstützung aus den Dörfern bekommt. Auch wenn es darum geht, sich im Wald einzurichten. Denn sie wollen bleiben. Möglicherweise sogar jahrelang. Dafür sei der Wald genau richtig. Bei einer Hausbesetzung hätte die Polizei sie wohl viel zu schnell wieder herausgeworfen. Das Baumhausdorf könne sich hingegen zu einem Anziehungspunkt einer sozialen Bewegung entwickeln. „Alle könne herkommen und mitmachen“, sagt Riedel.