Erkelenz : Ein unübliches Stück des Landestheaters: „Harper Lee“
Erkelenz Anderthalb Stunden gab es in der Erkelenzer Stadthalle Theater der besonderen Art. Das Rheinische Landestheater Neuss gastierte mit dem Schauspiel „Harper Regan“ des zeitgenössischen englischen Autors Simon Stephens. Schon das ungewöhnliche Bühnenbild (Rahel Seitz) deutete an, dass die Zuschauer ein nicht übliches Theaterstück erwartete.
Denn das Ganze spielte sich ab auf und vor riesigen weißen Treppenstufen, welche fast die ganze Bühne ausfüllten.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Die 41-jährige Angestellte Harper Regan bekommt von ihrem Chef (Gabriel Rodriguez) keinen Urlaub, um ihren sterbenskranken Vater zu besuchen. Sie reist doch ab, aber der Vater ist schon gestorben. So streift sie durch die fremde Stadt auf der Suche nach so etwas wie sich selbst, begegnet fremden Menschen, von denen sie mit einem eine Nacht in einem Hotel verbringt, flirtet mit dem 17-jährigen Tobias (Richard Erben), streitet sich wieder einmal mit Mutter (Hergart Engert) und Tochter (Emilia Haag) und kehrt am Ende zu ihrem Mann (Stefan Schleue) zurück, von dem sie nicht weiß, ob er sich pornografischer Kinderfotos schuldig gemacht hat.
Das Ende beziehungsweise die Zukunft sind offen, ein Happyend ist nicht zu sehen, aber es scheint doch noch Hoffnung zu geben für eine Zukunft, die aus den Erfahrungen der Vergangenheit anders sein wird als das, was und wie es bisher war.
Manche Dialoge streifen die Grenzen des Erträglichen, wenn zum Bespiel der zynische Antisemit Mickey (Gabriel Rodriguez) auf übelste Weise die Juden beschimpft und das Wort Auschwitz nicht mehr hören kann oder wenn schlimme Pornografie artikuliert wird. Was die Dialoge überhaupt betrifft: Sie sind eigentlich Monologe, welche die seelische Situation der einzelnen Mitwirkenden beschreiben und vom Zuschauer einiges an Konzentration verlangen.
Es gibt zwar hin und wieder Bewegung auf der Bühne, aber im Grunde und in den meisten Szenen stehen die einzelnen Figuren wie an Gliederpuppen erinnernd herum, wirken nicht durch Gesten und Bewegungen auf die Zuschauer, sondern nur durch das Wort. Dies wird besonders deutlich bei der Hauptfigur, nämlich Harper, die sich in ständigem Suchen zu befinden und manchmal den Boden unter den Füßen zu verlieren scheint. Und die Inszenierung (Bettina Jahnke) konzentriert sich ganz auf diese Figur, die das Porträt einer Suchenden mit großer Intensität glaubhaft vermittelt.
Und die Stufen auf der Bühne lassen unwillkürlich an das Gedicht gleichen Namens von Hermann Hesse denken: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben… Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.“
Mit lang anhaltendem Beifall dankten die Zuschauer dem Ensemble für einen sehr nachdenkenswerten Theaterabend.