Garzweiler-Dörfer : Ein Prozess, für den es keine Blaupause gibt
Interview Erkelenz Die Berliner Ampelkoalition will die Garzweiler-Dörfer retten. Für die Stadt Erkelenz ist damit aber noch längst nicht alles klar. Bürgermeister Stephan Muckel (CDU) sagt im Interview, dass der Ankündigung nun Gesetze folgen müssen. Wie die Stadt Erkelenz Heimat neu gestalten will.
Wie geht es nun mit den fünf Dörfern, die doch nicht für den Tagebau abgebaggert werden sollen, weiter? Der Plan A war ja bisher immer, dass sie verschwinden müssen. Haben Sie einen Plan B?
Stephan Muckel: Das hört sich ein bisschen so an, als hätten wir den Plan A gut gefunden. Inhaltlich hat sich unsere Position aber nie verändert. Seit den 80er Jahren hat sich jeder Rat in Erkelenz immer eindeutig gegen den Tagebau positioniert, weil wir ihn nicht für notwendig halten. In den letzten Jahren wird immer deutlicher, dass wir den Wandel hin zu regenerativen Energien durchlaufen. Das muss noch schneller gehen, damit wir im Idealfall 2030 aus der Braunkohle aussteigen. Dann kann sich jeder an einer Hand abzählen, dass wir den dritten Umsiedlungsabschnitt nicht mehr brauchen.
In diesen dritten Umsiedlungsabschnitt fallen die Dörfer Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath ...
Muckel: Der Rat hat sich dazu im Frühjahr noch einmal positioniert: Mir ist wichtig, dass wir von Flächen der Dörfer sprechen. Denn was macht Dörfer aus? Die Menschen! Und die absolute Mehrheit der Menschen ist schon am Umsiedlungsstandort. Gleichwohl sind noch Menschen in den Altorten, die nach wie vor hoffen, bleiben zu können. Wir haben jetzt genug von Absichtserklärungen. Wir brauchen endlich mal eine dauerhafte Entscheidung. Denn es geht um Menschen und um ihre individuelle Lebensplanung. Und wir als Kommune müssen auch mal unser Stadtgebiet planen können.
Gehen wir also davon aus, dass Sie diese Flächen der Dörfer nun haben. Wie wollen Sie dort vorgehen?
Muckel: Aus unserer Sicht kann das nur bedeuten, dass wir zusammen mit den Menschen in der Stadt Erkelenz, auch mit den Menschen, die in den Orten bleiben wollen, und auch mit den Partnern des Zweckverbandes Landfolge in ein Verfahren einsteigen, was mit dieser Fläche passiert. Wir haben noch keinen fertigen Plan in der Schublade. Vielleicht werden wir Teile der Orte zurückbauen, vielleicht werden wir einen Teil der Landwirtschaft zurückgeben, vielleicht werden wir in Richtung Naherholung gehen. Es wird in den Orten sicher eine Mischung aus Alt und Neu geben, aber etwas Neues und mit einer Zukunftsperspektive. In diesen Prozess wollen wir einsteigen. Deshalb dränge ich so darauf, dass wir die Entscheidung bekommen.
Also reicht Ihnen die Aussage der Ampelkoalition, dass die Dörfer bleiben sollen, noch nicht.
Muckel: Die Ampel hat gesagt, sie können sich vorstellen, den Erhalt der Dörfer durchzusetzen. Das muss dann aber auch bis Ende 2022 mal entschieden sein. Und dann müssen der Bund und das Land NRW diese Entscheidung in Gesetzeskraft gießen, damit man auch verlässlich in die Zukunft schauen kann.
Es werden sicher nicht alle Häuser in den Dörfern zu retten sein. Viele stehen schon länger leer und werden auch noch einige Jahre leer stehen. Es kann also gut sein, dass weite Teile der Dörfer trotzdem abgerissen werden.
Muckel: Ja, das wird so sein. Wir wollen etwas „Neues“ entwickeln. Vor allem wollen wir die Menschen nicht gegeneinander ausspielen. Wir wollen in den neuen und in den alten Orten Heimat gestalten. Die Flächen der alten Dörfer werden ein spannender Raum werden, auch wenn er noch Jahre unter den Belastungen des Tagebaus leidet. Aber irgendwann wird der Tagebau enden. Wenn es dort den See gibt, dann können wir die Flächen in Richtung See entwickeln.
Sie wollen also zusammen mit den Menschen vor Ort und vielen anderen Akteuren Konzepte entwickeln. Aber Sie wären sicher nicht Bürgermeister von Erkelenz, wenn Sie nicht auch eigene Ideen hätten. Was sind aus Ihrer Sicht gute Konzepte?
Muckel: Das ist ein Mix aus vielem. Wir haben im Drehbuch des Zweckverbands Landfolge schon Ideen zu Papier gebracht. Wir wollen vom trennenden Loch zum Verbindenden hinkommen. Wenn man konkret weiß, wo der Tagebau endet und wo die Seegrenze ist, wird man Bereiche haben, die der Natur überlassen werden. Wir werden aber auch Siedlungsstrukturen zum See hin entwickeln. Dann wird auch das Thema Naherholung eine Funktion haben. In anderen Bereichen werden wir Flächen an die Landwirtschaft zurückgeben. Das wird ein hochattraktiver Raum zwischen Rheinschiene und Aachen werden.
Die meisten Grundstücke und Häuser in den Dörfern gehören RWE. Was bedeutet das? Muss man sie zurückkaufen? Wer macht das und wer bezahlt das?
Muckel: Dafür gibt es keine Blaupause. Wir sind zum ersten Mal in einer solchen Situation. Der größte Grundstückseigentümer ist RWE, deshalb werden wir diese Dinge gemeinsam mit RWE und dem Land NRW besprechen. Wichtig ist, dass wir mit dem Rat der Stadt Erkelenz die kommunale Bauleitplanung haben. Wir entscheiden über den Flächennutzungsplan und den Bebauungsplan, wo was passiert.
Die Planungen bewegen sich also noch auf einem recht abstrakten Niveau. Irgendwann muss man aber von dem Abstrakten ins Konkrete kommen. Muss das nicht furchtbar schnell gehen? Und ist das überhaupt realistisch, dass man bei einer solchen Planung schnell vorankommt?
Muckel: Nein, das ist nicht realistisch. Politische Entscheidungen werden momentan sehr, sehr schnell getroffen. Die nachgelagerten Behörden kommen gar nicht dazu, diese Entscheidungen in die Braunkohlenpläne umzusetzen. Die Leitentscheidung aus dem Jahr 2016, wonach Holzweiler stehen bleibt, ist aktuell noch nicht im rechtsgültigen Braunkohlenplan umgesetzt.
Was bedeutet das für Sie als Kommune?
Muckel: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Unsere Windkraftkonzentrationszone zwischen Holzweiler und Kückhoven liegt noch in dem rechtsgültigen Braunkohlenplangebiet. Die Fläche wird nie mehr bergbaulich in Anspruch genommen werden. Wir wollen der Windkraft mehr Raum geben und die Höhenbeschränkung für die Windenergieanlagen wegfallen lassen. Dann bekommen wir von der Bezirksregierung nur eine befristete Genehmigung dafür, weil wir ein Gebiet beplanen, das im Braunkohlenplan liegt. Also können wir aktuell gar keine städtebauliche Planung betreiben, solange nicht andere Ebenen politische Absichtserklärungen in Gesetze ummünzen.