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Dörfer am Tagebau Garzweiler: Die Keyenberger haben Angst, vergessen zu werden

Dörfer am Tagebau Garzweiler : Die Keyenberger haben Angst, vergessen zu werden

Die Erkelenzer Dörfer am Tagebau sind gerettet. Aber was tut sich dort? Viel zu wenig finden die Anwohner. Sie fühlen sich ausgebremst und haben Angst, in Vergessenheit zu geraten. Jetzt kommen die Grünen zu Besuch.

Eigentlich hätten sie sich doch als Gewinner der Garzweiler-Frage fühlen können, aber jetzt stehen sie als Abgehängte da. Auf den Schultern der verbliebenen Einwohner am Tagebau Garzweiler lastet ein ganzer Berg an Sorgen. Die meisten Häuser in den geretteten Dörfern stehen leer. Aber niemand ermöglicht eine Nutzung. Es gäbe Räume für Veranstaltungen oder Treffen. Aber die Dorfbewohner können in kaum einen rein. Es gibt Bushaltestellen. Aber eine schlechte Anbindung ans ÖPNV-Netz. Und die Dorfbewohner hätten so viele Ideen. Aber sie fühlen sich nicht gehört. „Wir haben Angst, dass sich niemand für uns interessiert“, sagt David Dresen aus Kuckum.

Am Dienstagvormittag ist das anders. Da besucht ein Großteil der Landtagsfraktion der Grünen das Dorf und lässt sich von Mitgliedern der Dörfergemeinschaft „Kultur-Energie“ herumführen. Die Grünen laufen dabei abgesehen von ihren Ministerinnen und Ministern mit den prominenten Gesichtern auf. Mit den Fraktionsvorsitzenden Wibke Brems und Verena Schäffer. Und mit Antje Grothus aus Kerpen-Buir, die sich an den Tagebauen der Region einen Namen gemacht hat.

In vielen Vorgärten in Keyenberg gewinnt der Löwenzahn die Oberhand, an einem Holzzaun hängen einige herausgebrochene Latten herunter und eine Terrassentür ist von innen zugemauert. Keyenberg gleicht an vielen Stellen einem Geisterdorf. Aber einem Geisterdorf, in dem es Menschen gibt, die die Geister mit ihren Ideen vertreiben wollen. Ziel sei es, Dörfer der Zukunft zu entwickeln, sagt David Dresen. „Wir wollen eine Blaupause für die Reaktivierung von Dörfern liefern“, sagt er. Denn Dörfer, die so leer sind wie Keyenberg, gebe es zwar selten. Aber es gebe doch viele Probleme, die alle Dörfer haben. Energiewende, Mobilitätswende, demografischer Wandel und das alles auf dem Land. Da wolle man etwas erreichen.

Nun könnte man meinen, dass der Tagebaurand für die Grünen verbrannte Erde ist. Wenige Hundert Meter entfernt lag bis diesen Januar Lützerath. Und die Grünen-Spitze hat nicht verhindert, dass das Protest-Dorf geräumt und abgerissen wird. Dafür haben NRW-Ministerin Mona Neubaur und Bundesminister Robert Habeck viel Kritik einstecken müssen. Aber dieser Besuch ist eher ein Heimspiel für die Grünen. Es kommt keine Kritik in ihre Richtung. Bei Kritik werden die Grünen eher explizit ausgeklammert. Die Keyenberger sind an diesem Tag freundliche Gastgeber. Antje Grothus überrascht das nicht: „Wir als Grüne haben die Dörfer gerettet“, sagt sie. Jetzt wolle man auch helfen, die Zukunft zu gestalten.

Dabei gibt es so vieles, bei dem sich die Dörfergemeinschaft ausgebremst fühlt. Die Sache mit den Räumen zum Beispiel. Patrizia Föhr aus Keyenberg findet, man könne doch die Kirchen öffnen. Man könne in einem Saal mal eine Kino-Veranstaltung machen. Und man könne Menschen zeigen, was in den Dörfern aktuell geschieht und welchen Kampf sie hinter sich haben. Aber in die Räume, wie etwa den Keyenberger Pfarrsaal dürfen sie nicht rein. Er befindet sich, wie so vieles in den Dörfern, im Besitz von RWE.

Bei einem Besuch der Grünen-Landtagsfraktion spricht Marita Dresen aus Kuckum mit Wibke Brems, Antje Grothus und Verena Schäffer über die Angst, vergessen zu werden.
Bei einem Besuch der Grünen-Landtagsfraktion spricht Marita Dresen aus Kuckum mit Wibke Brems, Antje Grothus und Verena Schäffer über die Angst, vergessen zu werden. Foto: MHA/Daniel Gerhards

Nun kann eine Fraktion im Landtag nicht jedes Problem lösen. Schon gar nicht, wenn es nicht direkt ihren politischen Einflussbereich betrifft. Man könne aber Gespräche führen, sagt Fraktionsvorsitzende Brems. Sie kann nicht nachvollziehen, dass RWE Räume oder ganze Gebäude nicht für die Anwohner freigibt, bis entschieden ist, wie es weitergeht. In andere Dinge, die die Stadt Erkelenz zu regeln habe, dürfe sich die Landespolitik nicht zu tief einmischen. Aber Gespräche könne man ja führen, etwa darüber, dass die Bürger in den Dörfern sich nicht gut beteiligt fühlen.

Eigentlich stand jahrzehntelang fest, dass Keyenberg irgendwann einmal im Tagebau Garzweiler verschwindet. Erst als die Umsiedlung schon weit fortgeschritten war und die Bagger immer näher kamen, drehte sich der politische Wind. Im Koalitionsvertrag legte die Berliner Ampel explizit fest, die Erkelenzer Ortsteile Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath zu erhalten. Wegen des vorgezogenen Kohleausstiegs ließ auch RWE die Bagger abdrehen. Jetzt steht fest, dass die Dörfer bleiben. Aber 80 bis 90 Prozent der Bewohner sind weg. Die allermeisten Gebäude gehören RWE. Die Stadt Erkelenz arbeitet gerade an einem Konzept für die Zukunft der Dörfer.

Um die Dörfer zu beleben, müsste es eigentlich schnell gehen, findet Marita Dresen aus Kuckum. Sie steht auf einem Wendehammer in Keyenberg, die Häuser um sie herum sehen von außen noch recht bewohnbar aus. Aber alle sind leer. „Wir brauchen ein Leuchtturmprojekt für die Dörfer“, sagt Marita Dresen. So etwas wie ein „Dorf im Dorf“, vielleicht für pflegebedürftige Menschen. Und außenrum ein Ring mit Wohnungen für die Mitarbeiter, mit kleinen Geschäften und Ärzten, mit Wohnungen für Senioren, die noch nicht ganz so hilfebedürftig sind. „Die Häuser sind hier noch recht neu, man bekäme die schnell auf Vordermann. Aber wir kommen da nicht ran“, sagt sie. Auch nicht, wenn Künstler, Start-ups oder Unternehmer, die einen Pop-up-Store einrichten wollen, sich melden. „Es fühlt sich an, als würde man uns am langen Arm vertrocknen lassen.“

Dabei, sagt Marita Dresen, müsse sich doch genau hier in Keyenberg etwas tun. „Jetzt wird Geld für das CHIO zur Verfügung gestellt und hier passiert nichts. Das ist der völlig falsche Weg. Hier muss der Strukturwandel stattfinden“, sagt Marita Dresen. Sie spielt damit auf die millionenschwere Förderung für den Sportpark Soers in Aachen an, die aus dem Braunkohlestrukturfonds kommt.

Abgeschnitten fühlen sich die Bewohner von Keyenberg vom ÖPNV-Netz. Patrizia Föhr aus Keyenberg würde sich wünschen, dass es eine Busverbindung nach Wanlo und Hochneukirch gibt. Das seien ja nur ein paar Kilometer, sagt sie, aber ohne den Bus seien sie für viele unüberwindbar. Das müsse doch möglich sein, da was zu machen. Für Grothus werden dabei Probleme bei den Planungshorizonten deutlich. Die Stadt Erkelenz plane zwar eine Seilbahn am Tagebaurand, die irgendwann mal kommen solle, und spreche über das Wohnen am künftigen See. Man brauche aber auch kleinere, unmittelbar wirksame Lösungen für den Übergang. „Die Leute, die hier wohnen, wollen jetzt ein gutes Leben haben“, sagt sie.

Am Friedhof von Keyenberg spricht David Dresen dann noch einmal darüber, wie er und viele andere Dorfbewohner sich fühlen. Denn dort werde das plastisch. Es gab einmal ein großes schmiedeeisernes Eingangstor zum Friedhof. Das sei einfach abgebaut und in den neuen Ort gebracht worden, sagt er. „Wir sind nicht Bürger zweiter Klasse. Wir sind Bürger letzter Klasse. Wir sind einfach irrelevant.“