Kohle-Konflikt : Der Bagger steht 120 Meter vor Lützerath
Erkelenz Das riesige Schaufelrad rückt Meter für Meter an Lützerath heran. Der Druck auf den Ort steigt. Das hängt auch mit dem Krieg in der Ukraine zusammen.
Das riesige Schaufelrad dreht sich unaufhörlich. Es frisst sich Meter für Meter in den Boden hinein. Dass der Bagger nicht mehr weit von Lützerath entfernt ist, ist für jeden, der regelmäßig in dem Erkelenzer Ort ist, zur Binsenweisheit geworden. Lützerath liegt an der Abbruchkante.
Auch am Mittwochmorgen dreht das Schaufelrad des riesigen Baggers im Tagebau Garzweiler seine Runden. Initiativen, die sich für den Erhalt von Lützerath einsetzen, geben eine Pressekonferenz auf dem Wendehammer am Ende des Dorfes. Von dort sind es 120 Meter bis zum Schaufelrad. Die Menschen, die Lützerath retten wollen, empfinden das als Bedrohung.
Lützerath ist längst nicht mehr das, was man unter einem Dorf versteht. Lützerath war schon winzig, als die Welt dort noch weitgehend in Ordnung war. Ende des Jahres 2020 lebten dort noch 14 Menschen. Lützeraths Umsiedlung ist offiziell längst abgeschlossen, das Dorf wurde gemeinsam mit Immerath und Pesch umgesiedelt. Gut 1200 Menschen mussten in diesem „Umsiedlungsabschnitt“ gehen, die meisten davon lebten in Immerath. In Lützerath ist nur noch Eckardt Heukamp geblieben. Der Landwirt kämpft bis zum letzten um seine Heimat – aktuell vor Gericht.
Heukamp wehrt sich vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster (OVG) dagegen, dass RWE seine Gebäude und seine Grundstücke schon nutzen darf, bevor über seine Klage gegen seine Enteignung juristisch entschieden ist. Im Fachjargon heißt das vorzeitige Besitzeinweisung. Das OVG hat angekündigt, bis zum Ende dieses Monats eine Entscheidung fällen zu wollen.
Am Mittwochmorgen steht auch Heukamp auf dem Wendehammer, 120 Meter vom Schaufelrad entfernt. Dass der Bagger so nah ist, „das zeigt, wie eskalierend RWE vorgeht“, sagt er. Heukamp verweist darauf, dass die Münsteraner Richter festgelegt hätten, dass in Lützerath bis zum OVG-Beschluss keine vorbereitenden Maßnahmen von RWE stattfinden dürften. „Das wird mit Füßen getreten“, sagt Heukamp.
Angesichts des Ukraine-Kriegs und der unsicheren Lage im Energiesektor hofft Heukamp, dass das Gericht davon nicht beeinflusst wird. Denn es scheint durchaus möglich, dass kurzfristig wegen des Kriegs und seiner Folgen mehr Braunkohle benötigt wird. „Der Druck auf Lützerath wird dadurch größer“, sagt Heukamp. Und das Gericht in Münster könne die Annahme, dass Deutschland mehr Garzweiler-Kohle brauche, in seine Entscheidung einfließen lassen, fürchtet er.
Die Furcht, dass der Ukraine-Krieg das geplante Kohleausstiegsdatum 2030 noch einmal nach hinten verschieben könnte, teilt Christopher Laumanns vom Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ nicht. „Das ist eine Scheindebatte“, sagt er. So etwas werde bloß von einigen kohlefreundlichen Politikern ins Spiel gebracht, zum Beispiel von NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP). „Die grundlegende Veränderung der außen- und sicherheitspolitischen Lage in Europa erfordert ein Umdenken in der Energiepolitik“, hatte Pinkwart der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gesagt.
Laumanns ist überzeugt, dass am Kohleausstiegsdatum auf Ebene der Bundesregierung nicht gerüttelt werde. Allein schon, weil Gas ein Wärme- und Kohle ein Stromlieferant sei. Eine kurzfristige Erhöhung der Kohleförderung könne den Druck auf Lützerath trotzdem vergrößern. Dass es damit noch einmal brenzlig für Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath werden könnte, glaubt Laumanns nicht. „Die anderen Dörfer sind sicher“, sagt er.
Diese Sicherheit beziehen die Bewohner der Orte aus dem Koalitionsvertrag der Ampelparteien, in dem explizit festgelegt ist, dass die Dörfer um Keyenberg erhalten bleiben sollen. Das ist allerdings erst einmal eine Absichtserklärung. In Gesetzesform gegossen ist das noch nicht. Deshalb fordert Laumanns, Rechtssicherheit für die Dörfer zu schaffen. Das werde wohl per Leitentscheidung aus Düsseldorf geschehen, und die erwartet niemand mehr vor der Landtagswahl im Mai.
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist auch Lützerath explizit erwähnt, allerdings mit dem Verweis, dass über dessen Zukunft die Gerichte befinden sollen. Heukamp sieht allerdings eher die Politik in der Pflicht. Er findet, dass die Politik hätte verhindern müssen, dass der Bagger so nah an den Ort heranrückt. „Hier sieht man das Politikversagen der letzten zehn Jahre“, sagt Heukamp. „Wo sind die Politiker, die sich gern für RWE einsetzen, wenn es um Entschädigungszahlungen geht, wenn hier die Abstände nicht eingehalten werden?“
Sollte das Gericht in Münster Lützeraths Ende besiegeln, dann droht dort ein heißer Frühling. Das haben die jüngsten Steinwürfe auf Streifenwagen und Polizeibeamte Ende Februar gezeigt. 30 bis 40 Aktivisten halten sich nach Einschätzung der Polizei dauerhaft in Baumhäusern, Hütten und besetzten Häusern in Lützerath auf. Sollte RWE weitere Bäume roden oder Häuser abreißen, sollte die Polizei den Ort räumen, wird diese Zahl wohl sprunghaft ansteigen.