Infektionen in der Region : Wie der Kreis Heinsberg auf den Corona-Fall reagiert
Kreis Heinsberg Ein Ehepaar aus Gangelt hat sich mit dem Coronavirus infiziert. Im Laufe des Mittwochs kamen weitere Erkrankte hinzu. Der Kreis Heinsberg reagiert, schließt Schulen, Kitas und Schwimmbäder. Auch die Sozialen Netzwerke spielen eine wichtige Rolle – im Guten wie im Schlechten.
Institutionen und Einwohner des Kreis Heinsbergs richten sich auf das Coronavirus Covid-19 ein, das am Dienstagabend erstmals im Kreis Heinsberg aufgetreten ist. Ein Ehepaar wurde im Hermann-Josef-Krankenhaus Erkelenz wegen des Verdachts auf eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus behandelt und in der Nacht zu Mittwoch nach Düsseldorf ins Uniklinikum verlegt.
Die Infektion mit dem Virus gilt bei dem Mann seit Dienstagabend als bestätigt. Am Mittwochmittag bestätigte der Düsseldorfer Arzt Dieter Häussinger, dass auch die Ehefrau des Mannes an dem neuen Virus erkrankt ist. Sie habe unter ähnlichen Symptomen gelitten, die aber deutlich schwächer gewesen seien als bei ihrem Mann. Der Zustand des Mannes gilt als kritisch. Die Behörden in NRW wissen bislang nicht, wo sich das Ehepaar ursprünglich mit dem neuen Coronavirus infiziert hat. Ein Geschäftspartner des Mannes, der nach einer angeblichen China-Reise zunächst als mutmaßliche Quelle galt, war es nicht. Das sagte Landrat Stephan Pusch am Donnerstag in Düsseldorf. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums bestätigte, dass man den zuerst Infizierten bisher nicht kenne.
Der Mann, der zum ersten Covid-19-Fall in NRW wurde, kam am Rosenmontag gegen 11.15 Uhr in die Notaufnahme des Erkelenzer Krankenhauses. Er sei „fußläufig“ gekommen, wie Dr. Harry Elsbernd, ärztlicher Direktor des Hermann-Josef-Krankenhauses sagte. Außerdem berichtet das Hermann-Josef-Krankenhaus, dass der Patient bereits seit dem 16. Februar Symptome aufzeigt. Er habe noch Karneval gefeiert, weshalb mit weiteren Ansteckungen gerechnet werden müsse.
Die Mitarbeiter des Krankenhauses, die intensiver mit dem Patienten in Kontakt gekommen sind, wurden erst einmal „nach Hause geschickt“. Zwei Wochen lang sollen die zehn Pflegekräfte und vier Ärzte ihre Wohnungen möglichst nicht verlassen, sagte Pflegedirektor Stephan Demus. Dort stünden sie nun unter Beobachtung, auch durch das Gesundheitsamt des Kreises, sagte Demus. „Man muss damit rechnen, dass weitere Patienten kommen werden und dass das Virus weitergegeben wird“, sagte Elsbernd. Darauf sei das Krankenhaus in Erkelenz vorbereitet: Zwei bis vier Plätze seien auf der Intensivstation reserviert, dazu sechs bis acht Zimmer in einem weiteren „abgetrennten Bereich“, sagte Jann Habbinga, Verwaltungsdirektor des Hermann-Josef-Krankenhauses. Planbare Operationen und Behandlungen hat das Krankenhaus vorerst verschoben.
In Rheinland-Pfalz ist bei einem Patienten das Coronavirus festgestellt worden. Es handele sich um einen Soldaten, der bei der Flugbereitschaft in Köln-Wahn stationiert ist und im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz behandelt werde, teilte die Bundeswehr am Mittwoch mit. Nach Informationen unserer Zeitung ist der Soldat ein Bekannter des 47-Jährigen aus Gangelt und gehört dem selben Karnevalsverein an. Aus Sicherheitsgründen wurde am Mittwoch auch der Militärflughafen Köln-Wahn für einige Zeit geschlossen. Die Sperrung wurde dann aber wieder aufgehoben.
Am Mittwochabend bestätigte der Kreis Heinsberg, dass drei weitere Menschen infiziert sind. Dies betrifft eine Mitarbeiterin des Mannes aus Gangelt sowie deren Lebensgefährten. Über den sechsten Infizierten waren zunächst keine Informationen bekannt. „Wir müssen davon ausgehen, dass diese Infektion sich jetzt ausbreiten wird“, sagte Professor Häussinger am Mittwoch.
Bei der Pressekonferenz in Düsseldorf bestätigte Laumann, dass die Frau des Corona-Patienten in einer Kita im Kreis Heinsberg als Erzieherin arbeitet. Bei den betroffenen Kindern „werden jetzt die sogenannten Abstriche gemacht und erst am Donnerstag werde wann irgendwann wissen, ob Kinder infiziert sind oder nicht“, sagte Laumann. Die Kinder aus der Einrichtung in Breberen und deren Eltern seien gebeten worden, zu Hause zu bleiben. Die infizierte Frau hat nach dpa-Informationen noch bis vergangenen Freitag in dem Kindergarten gearbeitet. Die Kita mit 65 Plätzen soll für insgesamt zwei Wochen geschlossen bleiben. Das teilte der Kreis Heinsberg mit.
Nach dpa-Informationen ist der Patient Mitte 40 und leidet an einer Vorerkrankung. Er stammt aus Gangelt an der niederländischen Grenze. „Es ist eine Familie hier aus dem Ort, die man kennt, die an Veranstaltungen teilgenommen hat“, sagte Bürgermeister Bernhard Tholen (CDU) am Mittwoch. Das Ehepaar hat zwei schulpflichtige Kinder. Die beiden hätten derzeit allerdings keine Symptome und seien bislang „putzfidel“, sagte Laumann. Sie werden von der Großmutter versorgt. Sie sollen in Kontakt mit anderen Kindern gewesen sein. Die Ergebnisse, ob die Beiden mit dem Coronavirus infiziert seien, sollen nach Laumans Worten am Donnerstag vorliegen.
Schulen und Kitas bleiben geschlossen
Als erste Reaktion darauf bleiben Schulen, Kindertagesstätten und andere öffentliche Einrichtungen am Mittwoch geschlossen. So sind etwa die Kreisverwaltung und die Stadtverwaltungen von Heinsberg, Erkelenz, Übach-Palenberg und Geilenkirchen für den Publikumsverkehr geschlossen. Ebenso öffneten die Geschäftsstellen des Jobcenters im Kreis nicht. Am Mittwochmittag gab Pusch bekannt, dass die Schulen und Kindertagesstätten im Kreis Heinsberg vorerst bis Montag geschlossen bleiben.
In Heinsberg und Übach-Palenberg bleiben auch die öffentlichen Schwimmbäder geschlossen, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Das teilten die Stadt Heinsberg und Übach-Palenbergs Bürgermeister Wolfgang Jungnitsch im Sozialen Netzwerk Facebook mit.
Geschäftsleute im Kreis Heinsberg diskutierten, ob sie ihre Läden geschlossen halten sollten, wie beispielsweise die Chefin eines Friseurladens in der Kreisgemeinde Gangelt, Michaela Loomanns, berichtete. Sie habe sich mit anderen Geschäftsleuten abgestimmt und sich letztlich entschieden zu öffnen.
Aufenthalt in Limburg
Auch die Menschen der niederländischen Provinz Limburg direkt hinter der Grenze zum Kreis Heinsberg sind laut dem Nachrichtenportal „DeLimburger“ alarmiert. Der mit Corona infizierte Mann war nach Angaben des niederländischen Reichsgesundheitsinstituts am Wochenende des 8. und 9. Februar in Limburg. Dieses Datum liege aber mehr als eine Woche vor dem Zeitpunkt, zu dem der Deutsche laut der Behörde Beschwerden in seinem eigenen Land gehabt hätte. Deswegen gibt das Reichsgesundheitsinstitut für die Niederlande Entwarnung: Der Coronapatient sei während seines Aufenthalts in dieser Provinz weder krank noch ansteckend gewesen. Dadurch entfalle die Notwendigkeit der Untersuchung weiterer Kontaktpersonen in den Niederlanden.
Landrat Stephan Pusch hat die Bevölkerung nach dem ersten bestätigten Coronavirus-Fall in Nordrhein-Westfalen zu Ruhe aufgerufen. „Ich denke, diese Situation erfordert von uns allen etwas Disziplin. Aber wir sollten auch nicht in Panik verfallen“, sagte der CDU-Politiker am Mittwochmorgen in einem auf Facebook veröffentlichten Video. Am Vormittag solle in Düsseldorf mit Ministerien über das weitere Vorgehen beraten werden. „Wir werden Sie über alle weiteren Maßnahmen unterrichten“, kündigte er an. „Bitte verbreiten sie keine Falschnachrichten.“
Pusch sagte in dem Video, dass die Menschen im Kreis Heinsberg „Massenansammlungen oder Besuche in Gemeinschafteinrichtungen“ wenn möglich vermeiden sollten. „Bleiben Sie, wenn es sich nicht vermeiden lässt, bitte zuhause“, mahnte er. Auch wer Krankheitssymptome bei sich oder Bekannten feststelle, solle erstmal zuhause blieben und seinen Hausarzt anrufen. „Dieser weiß, wie in einer solchen Situation zu verfahren ist.“
Den Einwohnern von Gangelt macht die Entwicklung Sorge. „Es gibt viele Menschen, die hier schon angerufen und wirklich Angst haben“, berichtete Bürgermeister Tholen. Das ganze Leben in dem 13.000 Einwohner-Ort sei grenzüberschreitend. „Bei uns ist jeder Zweite einmal in der Woche in den Niederlanden. Selbst die belgische Grenze ist nicht weit entfernt.“ Es gebe sehr viel Fluktuation.
Falschnachrichten in Sozialen Netzwerken
Facebook war am Dienstagabend einerseits sehr sinnvoll. Eltern und Schüler waren wohl binnen weniger Minuten darüber informiert, dass am Mittwochmorgen nicht mit geöffneten Schulen und Kitas zu rechnen ist. Andererseits zeigt sich auch die Schattenseite der Sozialen Medien. Die Kreisverwaltung Heinsberg schrieb am frühen Mittwochmorgen, dass eine falsche Pressemitteilung in Umlauf gelangt sei. Jemand hat einen „allerersten Textentwurf“ „unautorisiert abfotografiert und in Umlauf gebracht“, schreibt die Kreisverwaltung dazu. „Unverantwortlich so etwas!“ Daraus ging fälschlicherweise hervor, dass die Schulen und Kindergärten im Kreisgebiet zwei Wochen lang geschlossen bleiben. Diese Falschnachricht wurde auch auf anderen Kanälen verbreitet und kurzfristig auch von Medien aufgegriffen.
Trotzdem ist es möglich, dass Schulen und Kitas länger als einen Tag geschlossen bleiben. Geilenkirchens Bürgermeister Georg Schmitz schrieb am Dienstagabend: „Es sieht wohl so aus, dass eine Schließung der Schulen und Kitas mehrere Tage oder Wochen angeordnet werden kann.“
Wie private Initiativen und Vereine mit dem Auftreten des Coronavirus umgehen, werden die nächsten Tage zeigen. Der 1. FC Wassenberg-Orsbeck teilte etwa mit, dass das Jugendtraining am Mittwoch ausfällt. „Wir von der Jugendabteilung haben beschlossen, vorsorglich das Training für Mittwoch für alle Jugendmannschaften abzusagen“, damit ergreife man die gleichen Maßnahmen wie die Behörden, hieß es vom Verein.
Keine Einschränkungen bei der Bahn
Es sind zunächst keine Einschränkungen im Bahnverkehr in der Region in Nordrhein-Westfalen eingeplant. Das sagte eine Sprecherin von DB Regio NRW am frühen Mittwochmorgen. Man sei jedoch „im ständigen Austausch“ mit den Behörden, sagte die Sprecherin mit Blick auf Maßnahmen gegen eine mögliche Ausbreitung, zu denen auch eine Einschränkung des öffentlichen Nahverkehrs gehören könnte.
Auch der ÖPNV im Kreis Heinsberg läuft ganz normal. Das sagt Udo Winkens, Geschäftsführer der WestVerkehr. Lediglich die extra Fahrten zu den Schulen seien am Mittwoch ausgesetzt, da diese ja im gesamten Kreis Heinsberg geschlossen bleiben.
Pusch war nach einer kurzen Nacht am Morgen bereits auf dem Weg nach Düsseldorf. Bis 0.30 Uhr hatte der Krisenstab des Kreises Heinsberg am Abend getagt.
Gegen 14 Uhr sei Pusch am Dienstag vom Gesundheitsamt über die Verdachtsfälle in Erkelenz informiert worden. Dann ging alles sehr schnell. Der Krisenstab trat zusammen, eine Liste mit Kontaktpersonen aus dem Umfeld der beiden Erkrankten wurde erstellt.
„Die ersten Leute von dieser Liste haben wir bereits gestern kontaktiert, heute werden wir damit weitermachen. Sie erhalten Verhaltensmaßregeln. Wir versuchen das Virus einzudämmen, ohne dass das öffentliche Leben im Kreis zum Erliegen kommt", sagte Pusch am Mittwochmorgen unserer Zeitung. Deshalb sei etwa der Linienverkehr im Kreis nicht eingestellt worden.
Noch in der vergangenen Woche ist der Betroffene in der Kölner Uniklinik behandelt worden. Er habe sich am 13. und am 19. Februar zu regulären Nachsorgeuntersuchungen in der Uniklinik aufgehalten, sagte am Mittwoch ein Sprecher der Stadt Köln bei einer Pressekonferenz. Nachdem das Gesundheitsamt am Dienstagabend darüber informiert worden sei, dass bei dem Mann das Coronavirus festgestellt worden sei, habe man ermittelt, wer mit dem Patienten in Kontakt gekommen sei. Ermittelt worden seien zehn Mitarbeitende der Uniklinik und 31 Patienten.
Eine Mitarbeiterin der Uniklinik Köln zeigte Krankheitssymptome. Das Ergebnis des Coronavirus-Tests stehe bei ihr aber noch aus, sagte am Mittwoch der Direktor der Virologie der Uniklinik Köln, Florian Klein. „Es gibt eine Kontaktperson aus dem medizinischen Personal, die leichte Symptome zeigt“, sagte er. Sie sei in der Uniklinik isoliert und werde gerade untersucht. Die Frau sei von sich aus in die Klinik gekommen und habe gesagt, sie fühle sich nicht gut. Die Frau sei daraufhin isoliert worden. Sie ist bislang die einzige Kontaktperson aus Köln mit Symptomen.
„Wichtig ist, dass Leute mit Grippesymptomen jetzt nicht in irgendeine Praxis laufen. Sie sollten zuhause bleiben und telefonisch Kontakt zu ihrem Arzt aufnehmen“, sagte Pusch. Noch am Abend hatte Landrat Laumann telefoniert, dieser wiederum hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn über die Geschehnisse im Kreis Heinsberg geärgert. Alle weiteren Schritte will Pusch nun am Morgen mit dem Land abstimmen.
Das Land erhält Unterstützung vom Robert Koch-Institut (RKI). Er habe das RKI über den Bundesgesundheitsminister gebeten, „dass sie uns zwei wichtige Leute schicken“, sagte der NRW-Gesundheitsminister am Mittwoch in Düsseldorf. Die Experten sollen das Ministerium und den Kreis bei den weiteren Maßnahmen beraten. Sie sollten nach Laumanns Worten noch am Mittwoch eintreffen.