Senioren hinterm Lenkrad : Blick über die Schulter kann Leben retten
Kreis Heinsberg Mobilität ist im Alter wichtig, um am Leben teilzunehmen und Kontakte pflegen zu können. Daher möchten sich Senioren möglichst lange nicht von ihrem Auto trennen. Doch nur 10 bis 25 unterziehen sich im Kreis jedes Jahr einem ADAC-Fahrfitnesscheck.
Die Augen brauchen länger, um sich auf wechselnde Lichtverhältnisse einzustellen, das Einschätzen von Entfernungen und Geschwindigkeiten fällt schwerer, das Umschalten von nahen zu fernen Objekten und umgekehrt ist verzögert, das Sichtfeld ist verringert und die Blendempfindlichkeit nimmt zu. All dies sind nur einige Aspekte, mit denen Senioren im Straßenverkehr und insbesondere hinter dem Lenkrad eines Pkw zu kämpfen haben. Gleichwohl ist Mobilität im Alter nicht weniger wichtig als in jungen Jahren. Um am Leben teilzunehmen und Kontakte pflegen zu können, möchten sich Senioren möglichst lange nicht von ihrem Auto trennen.
Eine Frage, die man sich beim Älterwerden immer wieder einmal stellen sollte: Ist man eigentlich noch fit genug, um ein Kraftfahrzeug sicher im Straßenverkehr zu lenken und auch in brenzligen Situationen angemessen zu reagieren? In der Untersuchung „Verkehrsunfälle – Unfälle von Senioren im Straßenverkehr 2020“ des Statistischen Bundesamtes von 2021 zeigt sich, dass die Generation 65+ zwar eine geringere Unfallbeteiligung als die anderen Altersgruppen hatte. Waren die Fahrer ab 65 jedoch als Pkw-Fahrer in einen Unfall verwickelt, trugen sie in mehr als zwei Drittel aller Fälle die Hauptschuld, bei den mindestens 75-Jährigen sogar in mehr als drei Viertel aller Unfälle. Doch wer in welchem Ausmaß von altersbedingten Einschränkungen betroffen ist, ist individuell völlig unterschiedlich. Und Aussagen, dass man besser ab einem gewissen Alter den Führerschein abgeben sollte oder zumindest regelmäßig ein paar Fahrstunden einschieben sollte, seien viel zu allgemein gefasst, sagen viele Experten. Das sieht auch Michael Leuer so, der Obmann der Fahrschullehrer im Kreis Heinsberg. „Senioren, die immer fahren, wollen eine Rückmeldung, ob sie noch fahren können“, meint Leuer. „Was soll ein 80-Jähriger, der jeden Tag noch fährt, mit einer Fahrstunde, der braucht einen Fahrfitnesscheck, wie ihn zum Beispiel der ADAC anbietet.“
Auch Leuer und sein Team bieten diesen im Kreis Heinsberg an. Zunächst einmal werde in einem etwa 15-minütigen Gespräch festgestellt, wie oft und wie viel der Senior noch mit dem Auto unterwegs ist. Auch wichtig dabei sei die Frage, ob es sich meist um bekannte Strecken handele oder sogar noch Urlaubsfahrten in fremde Regionen unternommen würden. „Dann wird 45 Minuten gefahren mit dem eigenen Wagen des Seniors.“ Dabei könne man ihn zum Beispiel unterstützen im Umgang mit den Assistenzsystemen. „Die Senioren verfügen häufig über hochwertige Fahrzeuge mit allerlei Assistenzsystemen, die aber aus Unkenntnis überhaupt nicht genutzt werden.“ Tempomat, Regensensor für den Scheibenwischer, Abstandsregler oder Bremsassistent seien da nur einige, meint Leuer. Im Anschluss an die Fahrt gebe es dann noch eine Schlussbesprechung, in der alle eventuell aufgetauchten Schwächen thematisiert würden.
„Das größte Manko ist in der Regel der Schulterblick, der ist fast nie vorhanden. Aber auch an Stoppschildern wird oft nicht richtig angehalten.“ Der Schulterblick sei so immens wichtig besonders wegen der Radfahrer, die heute häufig mit schnellen E-Bikes unterwegs seien. Und der etwaige Abbiegeassistent am Auto entbinde nicht von der Pflicht, über die Schulter zurückzuschauen.
Leuer stellt noch einmal klar, dass beim Fahrfitnesscheck nicht die geistige oder körperliche Fitness überprüft werde. „Das könnten wir in 45 Minuten auch nicht leisten. Wenn ich aber auf Senioren treffe, die zum Beispiel einen starken Linksdrang haben, dann rate ich ihnen, mal einen Augenarzt aufzusuchen, um das räumliche Sehen überprüfen zu lassen.“
Zwischen zehn und 25 Senioren im Jahr meldeten sich bei ihm für den Check an. Nicht gerade viel angesichts der hohen Zahl der betagten Autofahrer auch im Kreis Heinsberg. Gestiegen sei die Zahl in den letzten fünf Jahren nicht. „Das Schlimme ist, dass sich eigentlich vor allem diejenigen melden, die es nicht nötig haben.“