Anno dazumal : Als Weihnachten noch Chresmes hieß
Waldfeucht Das „süßlich-weichliche Gefühl“ der Weihnachtszeit gefiel früher nicht jedem, auch Weihnachtsbäume kamen erst kurz nach dem Krieg in der Region in Mode. Über Brauchtum und die Legende der Weihnachtswünschelrute.
„Ja, on als wer dat met dä Nikolaus dann so jut övverstange hodde, da jing et jo so langsam op Weihnachde aan.“ So klingt Vorfreude auf das Fest der Feste im Keyenberger Dialekt. Der Landschaftsverband Rheinland hat dieses Statement eines Unbekannten, der mit Humor dem Weihnachtsstress Paroli bot, überliefert.
Für sein Projekt „Das rheinische Platt – Eine Bestandsaufnahme“ hatte der LVR 1989 Tonaufnahmen in Keyenberg gemacht. Die hochdeutsche Übersetzung lautet übrigens: „Ja, und als wir das mit dem Nikolaus dann so gut überstanden hatten, da ging es ja so langsam auf Weihnachten an.“ Chresmes, eine Mischung aus Christ und Messe, hieß das Fest, das gerade wieder mit großen Schritten naht, von Keyenberg bis in den Selfkant hinein, bevor das Hochdeutsche den Dialekt verdrängte.
Chresmes war schon vorbei (der zitierte Unbekannte wird aufgeatmet haben), als am 28. Dezember 1935 die Weihnachtsausgabe der „Heimat“ erschien. „Die Heimat“ lag damals monatlich der „Heinsberger Volkszeitung“ bei und griff Themen zur heimatlichen Geschichte auf. Manfred Rulands, Archivar des Heimatmuseums Waldfeucht, verwahrt historische Ausgaben der „Heimat“. Er lädt zum Schmökern ein.
Schauen wir mal, was die Redakteure der „Heimat“ für den Samstag, 28. Dezember 1935, geschrieben hatten. So ging es los: „Seit den Jugendtagen des Christentumes in Deutschland zogen die hohen kirchlichen Feste große Menschenmengen zu den feierlichen Gottesdiensten in den Mutterkirchen der alten Städte und Flecken. Und die Händler und Schausteller nützten den Andrang des Volkes und schlugen ihre Zelte auf.“
Der Christbaum, erfährt der Leser, sei übrigens in Deutschland, „aus dem er heute nicht mehr wegzudenken ist, eine junge Erscheinung. Alt, ja vorchristlich ist natürlich die Sitte, frisches Grün von Eibe, Wacholder, Buchsbaum und Tanne zur Winterzeit ins Haus zu bringen. Am Selfkant wurde der Weihnachtsbaum erst nach dem Kriege allgemein.“ „Am Selfkant“ scheint übrigens kein Schreibfehler zu sein, denn „am Selfkant“ heißt es auch an anderer Stelle.
Die älteren Selfkänter sollen noch erzählt haben, dass der Weihnachtsbaum vor dem Ersten Weltkrieg so selten gewesen sei, dass sie am Christabend in den Häusern der fremden Zollbeamten die ersten, buntbehangenen Lichterbäume gesehen hätten.
„De Chresbööm kieke gonge“ (Die Christbäume gucken gehen) war bei den Kindern, die damals eher zu Nikolaus als zu Weihnachten beschenkt wurden, ein beliebter Weihnachtsbrauch. So muss es in den Stuben ausgesehen haben: „…der Baum steht noch oft in ungeheizten Räumen und paradiert nur für kurze Weilen vor den in Mäntel gehüllten Besuchern in seinem Lichter- und Glasschmuck, begraben unter Flitter und Engelshaar.“
Schon 1924 hatte ein Kaplan Müller in der „Heimat“ beklagt, dass auch auf dem Dorfe die Lichtertanne mit allerhand Flitterkram, mit Feenhaar, Lamettafäden, Asbestschnee und grellbunten Glaskugeln behängt wurde. Der Kaplan geißelte das sich verbreitende Weihnachtstreiben: „In der Stadt gab’s Glockenspiele und Musikwerke, die ihr Geklimper nicht lassen konnten. So, gerade so erging’s zumeist den Seelen. Auch sie meinten wunderfein in Stimmung zu geraten. Sie hüteten ein süßlich-weichliches Gefühl, zerbrechlich wie die Glaskugeln aus dem Warenhaus.“
Doch trotz der Mahnungen des Kaplans war der Siegeszug des Weihnachtsbaums nicht aufzuhalten, wie die „Heimat“ 1935 berichtete: „…er beginnt doch heimisch zu werden, wenn auch noch ein Kampf zwischen Nikolaus und Christkind besteht, von dem unschwer zu sagen ist, dass Sinter Klaas sich nach Jahren als Trabant und Vorläufer des Christkindes bescheiden muss.“
Das Fazit des Autors lautete 1935: „Das alte Brauchtum des Christfestes ist vielfach vergessen. Es scheint, dass mit der Abschaffung der alten Metten, der wirklichen Christnachtsfeiern, viel vom überlieferten Glauben und Brauchtum verloren gegangen ist.“
Altes Brauchtum fußte nicht nur auf dem kirchlichen, sondern auch auf dem Volksglauben. Nach mündlichen Überlieferungen aus Breberen und Gangelt, so berichtet die „Heimat“, wurde um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert der Brauch gepflegt, Pferde, Rinder, Schafe und alles Vieh in der Christnacht unter freien Himmel auf den Hof zu treiben.
Neben dem Viehaustreiben gab es in Schalbruch und Süsteren aber auch den Brauch, den Haustieren in der Christnacht Hafer zu geben, den man „unter den Himmel“ gestellt hatte, den Christhafer. Nach dem Volksglauben konnten die Tiere in der Christnacht sogar sprechen.
Selbst der Teufel soll in der Christnacht mitgespielt haben. Schnitt man in dieser Nacht eine Wünschelrute vom Haselstrauch, und zwar auf die Weise, dass man rückwärts auf den Strauch zuging und während die Kirchenuhr die Mitternacht schlug, die Rute, einen einjährigen Schössling, mit einem Schnitt abtrennte, dann konnte man mit dieser Rute Schätze finden oder Feinde aus der Ferne verprügeln. Machte man aber etwas falsch, verpasste den Schlag der Kirchturmuhr oder brauchte zwei Schnitte, dann drehte einem der Teufel den Nacken um.
Diese Sage soll in Schalbruch beliebt gewesen sein. Auch andernorts werden solche Geschichten über das Treiben in den sogenannten Rauhnächten, in denen um die Jahreswende merkwürdige Dinge geschahen, das Warten aufs Christkind verkürzt haben.
Ob nun mit oder ohne Weihnachtsbaum, mit oder ohne Flitterkram, Weihnachten kommt auch in diesem Jahr. Es steht schon vor der Tür. Und wir werden es überstehen wie „dat met dä Nikolaus“, – vielleicht wird es sogar ganz schön.