„Die Fraktion“ : Rote Krawatten und reichlich Humor im Gangelter Rat
Gangelt Seit gut einem Jahr macht „Die Fraktion“ als politischer Arm der Partei „Die Partei“ den Gangelter Gemeinderat bunter. Das liegt nicht nur an den Billiganzügen und einigen ungewöhnlichen Ideen.
Seit einem Jahr ist der Rat der Gemeinde Gangelt ein bisschen bunter geworden. „Die Fraktion“, als politischer Arm der Partei „Die Partei“, war nach der Kommunalwahl 2020 zwei Mann stark in den Rat eingezogen.
6,34 Prozent der Stimmen hatte die Partei in Gangelt einfahren können – und zwar mit Themen, an die sich keine andere politische Gruppierung auch nur im Entferntesten herangewagt hätte: Innenfreie Autostadt, Bimmelbahnen als ÖPNV-Netz oder eine Höherlegung des Kahnweihers zeigen deutlich, wes Geistes Kind die Neuen im Rat der Gemeinde sind.
Jens Thelen heißt der Fraktionsvorsitzende. Lars Sentis fungiert als Stellvertreter. „Er nimmt die Sache deutlich ernster als ich“, sagt Thelen über Sentis. Penibel halten sich aber beide an die Kleiderordnung der Partei, möglichst preisgünstige Anzüge vom Discounter und dazu eine rote Krawatte oder auch mal eine Fliege zu Ehren des momentan prominentesten Fliegenträgers der Nation, des neuen Gesundheitsministers Karl Lauterbach. Politisch steht die Partei eindeutig im Abseits, und tut alles dafür, dass es auch so bleibt – obwohl …
Auch wenn die Partei fest auf dem Boden der Satire verankert ist, 2004 wurde sie von Redakteuren des Magazins Titanic gegründet, zeugte ihr bislang einziger in die Ratsarbeit eingebrachter Antrag von einem Sinn für das Gemeinwohl. Jens Thelen räumt ein, dass der Vorschlag für den Antrag, in der Gemeinde Defibrillatoren an frei zugänglichen Stellen aufzuhängen, nicht direkt aus der Fraktionsarbeit entstanden sei. Ein Bürger habe die Idee über das eigens eingerichtete Portal auf der Homepage der Partei eingebracht. Da sowohl Jens Thelen wie auch Lars Sentis Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr sind, leuchtete ihnen die Sinnhaftigkeit des Anliegens schnell ein. Umgesetzt wurde die Idee allerdings nur mit einem Erprobungs-Defibrillator am Rathaus. Bislang wurde das Gerät wohl noch nicht geklaut oder beschädigt, wie von Kollegen anderer Fraktionen befürchtet worden war.
Während Lars Sentis mit dem Einzug in den Rat seine ersten kommunalpolitischen Schritte unternahm, kann Jens Thelen auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen. 2004 hatte er in Gangelt die Junge Union neu gegründet. Er lernte die Arbeit im Gemeindeverband und im Kreisverband der CDU kennen. Sein Fazit: Wenn man nicht zum inneren Zirkel gehörte, der die Entscheidungen traf, konnte man nichts ausrichten. Vielleicht ist die Satire ja so eine Art Heilmittel gegen die Frustration?
Doch so abgefahren die Ideen auch sein mögen, die sich die Partei in schlaflosen Nächten einfallen lässt, es gab immer schon mal einen, der Ähnliches erdacht hatte. Thelens Lieblingsthema ist derzeit die Höherlegung des Kahnweihers. Daher findet das Gespräch auch direkt am Kahnweiher im Infocenter der Gemeinde statt. Direkt vor der Außenterrasse seewärts wurden ein paar Büsche gerodet. „Wohl schon für die Plattform“, mutmaßt Lars Sentis. Die Plattform, die laut Ratsbeschluss eine auf dem Kahnweiher schwimmende Außenterrasse bilden soll, ist im Vergleich zur Höherlegung des Weihers bis zu den Baumwipfeln natürlich eine kleine Nummer.
Doch auch im Rat der Gemeinde Gangelt war schon mal größer gedacht worden. Die Partei hatte fleißig recherchiert und mit älteren Gangeltern gesprochen. Einige hätten sich noch erinnern können, berichtet Jens Thelen, dass in den 1970er Jahren der Plan gereift sei, den Kahnweiher zu einem Jachthafen für Segler auszubauen. Thelen: „Es war sogar angedacht, den Kahnweiher im Zuge einer Nato-Übung auszuheben.“ Der aktuelle Plan der Partei denkt noch eine Nummer größer. Der Kahnweiher soll bis zu den Baumspitzen hin angehoben werden. „Das hätte unter anderem den Vorteil, dass kein Laub mehr das Wasser verunreinigt“, erklärt Thelen. Ein trockengelegter Minikanal, der Bewegung in den See bringen könnte, sei ja schon vorhanden. So könnte man auch den Kahnweiher mit dem Rodebach verbinden. Der letzte Schritt sei dann lediglich noch die Aufnahme Gangelts in die Reihe der Hansestädte. Glücklicherweise verfüge die Partei über ein ehrenamtliches Expertengremium, da könne eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Während Jens Thelen sich dem Sur-Realo-Flügel der Partei zurechnet, sich so weit wie möglich aus der Kommunalpolitik heraushält und den zehn sachkundigen Bürgern eine Chance gibt, ist Lars Sentis als Realo dem Boden der Kommunalpolitik durchaus näher. In seiner Haushaltsrede formulierte er einen Satz, der auf die Zusammensetzung des Rates der Gemeinde Gangelt abzielte: „Wenn jeder in der Politik ambitionierte Mensch der gleichen Partei beitritt, weil man ja nur dort was erreichen kann, wie viel mehr kann man dort als hier erreichen, wenn man mit 23 Ratsmenschen ist, aber nur mit einer Stimme vorne spricht.“ Ein großes Desinteresse an der Kommunalpolitik sei die Folge. Mit 3720 Stimmen hatte die CDU bei der Kommunalwahl genau zehnmal so viele Stimmen bekommen wie die Partei. Durch den Knatsch bei der SPD im Fahrwasser der Wahl hatte die CDU noch einmal zwei Ratsmandate zusätzlich erhalten. Die übrigen im Rat vertretenen Parteien erreichen gerade mal den Fraktionsstatus, der zwei Mandate erfordert.
Lars Sentis ist gespannt, wie sich die Neugestaltung der Sittarder Straße entwickeln wird. Jens Thelen wird sich auch zukünftig bei Abstimmungen über Themen, die in der Öffentlichkeit kontrovers gesehen werden, konsequent der Stimme enthalten, wie etwa beim neuen Brandschutzbedarfsplan, der die Auflösung der Löscheinheit Kreuzrath zur Folge hatte. Über das erste Jahr im Rat sagt Lars Sentis: „Es war schon spannend, als kompletter Neuling direkt in den Rat zu kommen und zu sehen, was hier los ist.“ Jens Thelen sagt: „Ich bin komplett ohne Erwartungen in den Rat gegangen.“
Zum Ende des Gesprächs nimmt Jens Thelen die Krawatte ab und schlüpft aus der Rolle des Satirikers, die er blendend spielt.