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Brückenbauerin: „Menschen mit Behinderung sollen als Nachbarn unter uns leben“

Brückenbauerin : „Menschen mit Behinderung sollen als Nachbarn unter uns leben“

Adelheid Venghaus übergibt die Leitung der KoKoBe an die Sozialpädagogin Christine Hostenbach. Sie will die Herausforderung der Digitalisierung annehmen.

Fragt man junge Leute nach ihrem Berufswunsch, erhält man häufig die Antwort „irgendetwas mit Menschen“. Die gleiche Antwort erhält man von Adelheid Venghaus, wenn man sie fragt, wie sie ihren Ruhestand gestalten will. Allerdings gibt sie diese Antwort mit einem Zusatz: „...und mit Kunst und Kultur“.

Adelheid Venghaus hat immer mit und vor allem für Menschen gearbeitet. Besonders Menschen mit einer Behinderung sind der Sozialarbeiterin, Sozialpädagogin, Kunst- und Gestaltungstherapeutin ans Herz gewachsen. Für die Via Nobis GmbH Gangelt hat sie die Aufgabe übernommen, die Begegnung von Menschen mit und ohne Behinderung im Sozialraum zu ermöglichen.

Seit dem Jahr 2005 baut sie für Menschen mit Behinderung im Auftrag der Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung (KoKoBe) Brücken in den Sozialraum. Anfang 2000 war eine Zeit, in der die Politik verstärkt die ambulante Betreuung von Menschen mit Behinderung vorantrieb. „Ambulant vor stationär bedeutete aber auch, dass man die Voraussetzungen dafür schaffen musste, dass Menschen mit Behinderung als Nachbarn unter uns leben konnten. KoKoBe sollte auf Wunsch des Landschaftsverbandes Rheinland diese Aufgabe übernehmen“, blickt Adelheid Venghaus auf die Anfänge zurück.

Für diese neue vom Landschaftsverband geforderte und auch finanzierte Aufgabe bewarb sich neben Via Nobis auch die Lebenshilfe. Und so bekamen beide Einrichtungen den Zuschlag. Adelheid Venghaus übernahm ein Büro in Hückelhoven, ihre Kollegin Denise Lison von der Lebenshilfe ist in Heinsberg-Oberbruch Ansprechpartnerin. Um ein möglichst selbstständiges Leben zu führen, benötigt der Mensch mit einer oder mit mehrfacher Behinderung vielfältige individuelle Hilfen: Wie und wo soll der Klient wohnen? Wie und wo soll er arbeiten? Auch wenn Hilfen von Ämtern und Behörden möglich sind, weist KoKoBe den richtigen Weg. Hier gibt es Informationen über Freizeitangebote, aber auch Hinweise auf weitere Einrichtungen, die ihre Hilfen anbieten.

„Meist sind es Menschen mit einer geistigen und mehrfachen Behinderung, die wir beraten“, sagt Venghaus. Auch Eltern, Geschwister und Freunde und Personen, die Menschen mit Behinderung unterstützen, finden hier guten Rat. Die Beratung ist für alle kostenlos.

Für die Klienten einen individuellen Hilfeplan zu erstellen, ist oft gar nicht so einfach. Allein schon die Frage nach einer Wohnung ist oft schwierig zu beantworten. Venghaus: „Es fehlt bezahlbarer Wohnraum. Menschen mit Behinderung haben meist ein geringes Einkommen. Da hätte die Politik schon längst reagieren müssen“, kritisiert die scheidende Sozialarbeiterin, die den Ratsuchenden auch einen Weg durch den Dschungel der Bürokratie weist. Sie klärt über mögliche Hilfen wie Kinder- und Pflegegeld, Integrationshelfer für den Besuch einer Kita oder Schule auf. „Familien mit Kindern, die eine Behinderung haben, sind schon stark belastet, um den Alltag zu meistern. Und dann sollen sie sich noch um Leistungen und Unterstützung kümmern?“, kennt Venghaus deren Probleme nur zu genau.

„Ich fühle mich als Lotse im System der Hilfen, dieses System wird immer komplexer und komplizierter“, sagt sie. Immer umfangreicher wird auch auch die Beratung. Denn: „Familien, die unseren Rat suchen, kommen meist nicht mit einem Problem. Oft handelt es sich um eine Häufung von Problemen“, sagt sie. Und: „Viele Betroffene verzichten auf Leistungen und Unterstützung, weil sie gar nicht wissen, dass es sie gibt.“

Um auf ihre Hilfsangebote aufmerksam zu machen, bieten sie und Denise Lison Sprechstunden in den Rathäusern Geilenkirchen, Wegberg und Erkelenz, in der Rurtal-Schule und in den Werkstätten für behinderte Menschen und in der Kreisverwaltung an. Vorträge und Infoabende stehen ebenfalls auf dem Programm. Großen Anklang haben auch die KoKoBe-Stammtische und Single-Partys gefunden, die derzeit wegen Corona nicht stattfinden können. Künstlerische und kulturelle Angebote erfreuten sich ebenfalls großer Beliebtheit.

In Kooperation mit Nicole Abels, Gemeindesozialarbeiterin der Caritas in Geilenkirchen, arbeitete sie mit dem evangelischen Jugendzentrum „Zille“ zusammen, um „neue Möglichkeiten des Miteinanders zu schaffen und Vorurteile abzubauen“. Um eine „Beratung auf Augenhöhe“ anbieten zu können, fördert der Landschaftsverband Rheinland unter dem Dach von KoKoBe die Peer-Beratung, eine Beratung von Menschen mit Behinderung für Menschen mit Behinderung.

„Acht Peer-Berater mit unterschiedlichen Behinderungen stehen mir zur Seite“, freut sie sich über den Einsatz eines Rollstuhlfahrers, eines Blinden und von Menschen mit psychischen Erkrankungen oder kognitiven Einschränkungen. „So haben wir ein breites Spektrum von Beratern, die schnell Vertrauen aufbauen“, sagt sie. „Mit ihren eigenen Erfahrungen können Peer-Berater helfen, Hürden zu überwinden.“

Auch die „Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) für den Kreis Heinsberg, ein ergänzendes Programm des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wird von KoKoBe unterstützt.

Digitalisierung als Herausforderung

Nachfolgerin von Adelheid Venghaus wird die Sozialpädagogin Christine Hostenbach, seit 2009 bei Via Nobis im ambulant betreuten Wohnen erst in Geilenkirchen, dann in Hückelhoven und Gangelt tätig. Hier ist sie derzeit stellvertretende Leiterin. „Das ist eine gute Grundlage für meine neue Aufgaben“, sagt sie. An die Arbeit von Venghaus will sie anknüpfen. Vor allem hofft sie auf ein baldiges Ende der Coronavirus-Pandemie, um wieder an die Öffentlichkeit gehen zu können.

Als eine Herausforderung sieht sie die Digitalisierung. Einerseits will sie die Online-Beratung vorantreiben, andererseits Menschen mit Behinderung die digitale Teilhabe ermöglichen. Sie sollen mit Handy, WhatsApp und Facebook fit für die Zukunft gemacht werden. „Dafür will ich sie mit jungen Leuten zusammenbringen“, blickt sie in die Zukunft. Bis zum Februar wird sie Seite an Seite mit Venghaus arbeiten. Dann wird die KoKoBe-Mitbegründerin gehen, um im Ruhestand „irgendetwas mit Menschen zu machen“.