Produktionsschule gewinnt Wettbewerb : Was eine Lampe mit Wertschätzung zu tun hat
Eschweiler/Stolberg Die Low-Tec in Eschweiler setzt sich besonders für junge Menschen ein, die es schwer haben im Leben. Nun konnte die Produktionsschule einen Recyclingwettbewerb gewinnen. Ein wichtiger Schritt für die Jugendlichen.
Sicher, eine Handtasche in Betonoptik wäre auch ein Hingucker gewesen – aber doch etwas unpraktisch. Schließlich ist der Kern einer großen Papierrolle sehr stabil und nicht biegbar. Wohl auch deshalb haben sich die Jugendlichen, die von der Produktionsschule der der Arbeitsmarktförderungsgesellschaft Low-Tec unterstützt werden, ganz demokratisch für etwas anderes entschieden: Eine Lampe. Die haben sie dann beim Recyclingwettbewerb für Produktionsschulen eingereicht – und den ersten Platz gewonnen. Für die Jugendlichen aus Eschweiler und Stolberg ist das ein großer Erfolg, und ein wichtiges Signal, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird.
Olga Stevens, Projektleiterin der Produktionsschule, und Britta Leipertz, Standortleiterin der Low-Tec in Eschweiler, sind sehr stolz auf die 13 Jugendlichen. Nicht nur haben sie gute Arbeit geleistet, ein solcher Preis stärke auch das Selbstbewusstsein und die Selbstwahrnehmung der jungen Leute, die nahezu alle in irgendeiner Form eine Benachteiligung erfahren.
Eine niedrigschwellige Maßnahme
Für sie setzt sich die Low-Tec in besonderer Weise ein. Eines der großen Ziele: Chancengleichheit herstellen, besonders auf dem Arbeitsmarkt. Die jungen Menschen kommen oft aus instabilen Verhältnissen, manche haben Gewalterfahrungen machen müssen, manche sind sogar obdachlos. Eine ganze Reihe hat keinen Schulabschluss. Um dennoch für einen guten Start ins Leben zu sorgen, bietet die Low-Tec eine ganze Reihe von verschiedenen Möglichkeiten: „Chancengleichheit kann man herstellen durch Sprachkurse, durch Qualifizierung, durch Schulabschlüsse“, sagt Britta Leipertz.
Ein besonderes Angebot ist die Produktionsschule, die praktisches Arbeiten und Schule verbindet: Die Teilnehmer können den Schulabschluss nachholen oder verbessern, und Erfahrungen in der praktischen Arbeit sammeln. In dem Projekt gehen die Pädagogen auf die besonderen Bedürfnisse der Schüler ein, die häufig eine engmaschige Betreuung benötigen und an einer normalen Schule nicht gut aufgehoben sind. „Die Produktionsschule ist eine niedrigschwellige Maßnahme, die ganz viele Dinge verknüpft“, sagt Britta Leipertz. Die Pädagogen und Anleiter wissen, worauf sie sich einlassen, dass es schlechte und gute Tage geben kann, dass es Tage geben kann, an denen es für den einen oder anderen besser ist, sich handwerklich im Betrieb zu betätigen, statt in der Schule Mathe zu pauken.
Bei den Jugendlichen fehle es häufig am Essenziellen, weiß Olga Stevens. „Die kommen bei uns an ohne Tagesstruktur, sind lustlos. Schulabschlüsse werden von vielen als unwichtig wahrgenommen.“ „Wir versuchen, die Jugendlichen dann auf den Neuner- oder Zehner-Abschluss, oder, wenn sie es wollen, auf den Realschulabschluss vorzubereiten. Danach arbeiten wir auch auf eine Ausbildung hin.“ Viele der jungen Menschen schaffen diese aber nicht ohne Betreuung, daher greift die Low-Tec da, wo es nötig ist, auf das Prinzip der Beruflichen Ausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen (BAE) zurück, in denen die Jugendlichen auch nach dem Schulabschluss noch weiter pädagogisch betreut werden.
Die einzige Mahlzeit am Tag
Für die Produktionsschule ist wichtig, dass sie ihre Klienten gut einschätzen können. Daher ist das gemeinsame Frühstück nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, für die es manchmal die einzige Mahlzeit am Tag ist, wichtig. „Beim Frühstück können wir die Stimmung einfangen. Wie wird heute der Tag? Das merken wir morgens schon. Wenn keiner spricht, dann gibt es bestimmt irgendwelche Spannungen. Wenn geredet wird, kommen sehr viele Themen auf und da beteiligen sich die Jugendlichen auch am Gespräch“, sagt Olga Stevens. Nach der Mahlzeit geht es in die Praxis oder in den Schulunterricht. Die Verknüpfung hat große Vorteile: „Die Schüler können das Gelernte in der Praxis direkt anwenden oder andersherum, wenn sie etwas nicht verstehen, können wir ihnen das auch zeigen. Zum Beispiel bei der Flächenberechnung“, sagt Stevens. Chancen gibt es hier viele.
Für die Praxis können sich die Teilnehmer auf eines der angebotenen Gewerke festlegen. Zunächst dürfen sie überall mal hineinschauen und müssen sich dann für einen Bereich entscheiden. Aber: „Das heißt nicht, dass jemand, der sich bei uns für den Bereich Holz entscheidet, dann eine Ausbildung als Schreiner anfangen muss“, sagt Britta Leipertz. Vielmehr sollen die Jugendlichen in der Praxis lernen, mit den alltäglichen Herausforderungen im Beruf umzugehen: „Wir stärken die Teamfähigkeit, die Zuverlässigkeit, die sorgfältige Arbeitsweise, das Verantwortungsbewusstsein und das Durchhaltevermögen.“ Die Jugendlichen sollen am Schluss „ausbildungsreif“ sein. Ein Jahr haben die jungen Menschen dafür Zeit.
Für den einen oder anderen ist der Start holprig, aber viele identifizieren sich mit der Einrichtung – und das ist gut. „Wenn die Jugendlichen sich mit der Produktionsschule verbunden fühlen, dann blühen sie richtig auf. Sie bringen Ideen ein und setzen sie auch um“, sagt Stevens. Das zeige sich insbesondere dann, wenn es um Projekte gehe, die außerhalb der Schule stattfänden, wie beispielsweise die Gestaltung der Theaterstraße in Aachen während der Europäischen Mobilitätswoche im Oktober. Damals war die stadteinwärts führende Straße komplett gesperrt und mit Blumenkästen begrünt worden.
Demokratische Entscheidungsprozesse
Durch die demokratischen Prozesse innerhalb der Low-Tec, durch die Möglichkeit, sich selbst und seine kreativen Ideen einzubringen, wird das Selbstvertrauen der jungen Leute gestärkt. Der Verkauf der Produkte zeige den Jugendlichen: „Durch Arbeit gibt es Geld“, denn sie werden an den Einnahmen beteiligt. „Das ist für die Jugendlichen ein Stück Anerkennung“, erklärt Olga Stevens. „Sie merken die Wertschätzung der eigenen Arbeit, die Selbstwirksamkeit“, ergänzt Leipertz.
Daher ist auch der Gewinn des Wettbewerbs, den der Dachverband der Produktionsschulen unter dem Motto „Ich war – ich bin – ich werde“ ausgeschrieben hatte, so ein großer Erfolg für die jungen Menschen. Nicht nur die Lampe haben sie selbst entwickelt und hergestellt, sondern auch die Produktionsmappe. Diese ist ohne Veränderungen an der Sprache oder am Stil eingereicht worden, die Verantwortung lag völlig in den Händen der Jugendlichen.
Zunächst gab es nur das Ausgangsmaterial: Den Kern einer Papierrolle aus der Papierindustrie, geliefert von einer Firma aus Düren. „Zu Anfang hatten wir nur das Material und wussten gar nicht, was wir damit genau machen sollten“, erklärt Michael Wohmann, Werkpädagoge, Anleiter der Holzwerkstatt und Holzbildhauer. Er hat die Jugendlichen auf dem Weg zum ersten Platz begleitet.
Reaktion: „Kein Scheiß!?“
Von den ersten Ideen, die unter anderem die Verwendung der Röhre als Handtasche, als Stifthalter, als Obstschale oder als Sitzmöbel umfassten, bis hin zur fertigen Lampe waren es allerdings noch ein kleines Stück. Denn – wie so oft – waren die ersten Ergebnisse nicht perfekt. Manche Dinge, wie zum Beispiel, dass man mit einer Neulackierung der Papprolle eine Betonoptik erzeugen konnte, stellten die Jugendlichen erst während der Arbeit fest. Und der erste Designversuch zeigte auch noch Schwächen: „In die erste Rolle haben wir zwei Löcher gebohrt – und dann festgestellt, dass es ja schon fast aussah wie ein Gesicht. Dann hat sie noch einen Mund bekommen und Haare“, erzählt Wohmann. Doch durch den Mund konnte man die Lampe sehen: Keine optimale Lösung. Also der nächste Versuch – und der nächste. Am Ende drechselten die Jugendlichen von oben einen runden „Ausschnitt“ in die Lampe und bemalten sie von innen. Jetzt gibt sie ein wohliges rosa-rotes Licht ab.
Mit dem Gewinn haben die jungen Menschen derweil nicht gerechnet: „Als wir den Jugendlichen dann gesagt haben: ‚Leute, ihr habt den ersten Platz gewonnen‘, war die völlig überraschte Reaktion ‚Kein Scheiß!?‘“ Neben dem guten Gefühl gibt es auch 750 Euro für die jungen Männer und Frauen. Davon wollen sie, sobald die Corona-Pandemie es zulässt, in den Freizeitpark Phantasialand fahren.
Das Werkstück hat die Gruppe nicht zurückbekommen. „Das hat wohl jemandem aus der Jury besonders gut gefallen“, sagt Wohmann.