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Karneval 2022 in Eschweiler

Unser Karneval : Der ewige Last-Minute-Präsident

Seit fast 30 Jahren ist Ulrich Goerres Präsident der KG Röthgener Garde. Einer der erfahrensten Männer im Eschweiler Karneval erläutert, was er vom Alkohol hält und wieso er seinem Verein keine rosige Zukunft prophezeit.

Ulrich Goerres sagt Dinge wie „Der Karneval ist mein Ein und Alles“ und „Die KG ist wie ein Kind für mich“. Das mag kitschig klingen, doch Goerres übertreibt nicht. Er regiert seit fast 30 Jahren als Präsident und Vorsitzender die KG Röthgener Garde 1992. Ohne Hingabe ist das sicherlich nicht zu machen.

Goerres regiert den Verein nicht nur, sondern hat ihn auch, nachdem er die KG Ulk Oberröthgen verlassen hatte, mit acht Mitstreitern ins Leben gerufen. „Nach der Gründung sind wir sofort steilgegangen, die Bevölkerung hat uns gefeiert“, erinnert sich der heute 66-Jährige. Doch nach rund sieben Jahren sei es ebenso steil bergab gegangen, seither lägen die Mitgliederzahlen auf einem niedrigen Niveau. Rund 60 Menschen engagieren sich heute mehr oder weniger aktiv im Verein.

Die KG Röthgener Garde zählt zu den kleineren Gesellschaften in der Karnevalshochburg Eschweiler. Das hat Charme, ist aber nicht unproblematisch. Um nicht in leeren Sälen zu feiern, kooperiert sie seit einiger Zeit mit der ebenfalls knapp besetzten Gesellschaft Löstige Eschweiler Afrikaner. Gemeinsamer Höhepunkt im Jahr sei die „Wohnzimmersitzung“ im Burghof, sagt Goer­res. Eine „Wohnzimmersitzung“ gibt es deutschlandweit ansonsten nirgends, sie darf es nicht geben. Schließlich habe ein Mitglied den Begriff vor einiger Zeit schützen lassen, erläutert der Präsident stolz.

Goerres ist ein Tausendsassa. Seit 40 Jahren unterhalte er als Clown Uli die jungen Karnevalisten, er bereite die klassische Erbsensuppe zur Sessionseröffnung selbst vor und er organisiere die Sitzungen, sagt er. Die letztgenannte Aufgabe habe ihm den Spitznamen Last-Minute-Präsident eingebracht, sagt er lachend und schiebt die Begründung nach: „Die Programmpunkte für die Sitzungen im Januar habe ich teilweise erst im Dezember aufgestellt.“ Mit Müßiggang hat das aber nichts zu tun, dahinter stecken vielmehr Strategie und ein gewiefter Mann. Denn Goerres wartet die Veröffentlichungen der anderen, größeren Vereine ab. Auf Plakaten schaue er, wer an welchem Tag wo auftritt. Mit einem Anschlusstermin in der Nachbarschaft locke er dann aussichtsreiche Kandidatinnen und Kandidaten. „So konnte ich schon Künstler engagieren, die ich unter normalen Umständen nicht hätte engagieren können.“

Der ewige Präsident geht unkonventionelle Wege, gleichzeitig liegen ihm die Traditionen des Brauchtums sehr am Herzen. Zu dieser Tradition gehöre zwar auch Alkohol, doch dass Bier, Schnaps und Wein für viele bei den Feiern im Vordergrund stehe, störe ihn. „Man kann auch ohne Alkohol lustig sein und Spaß haben“, sagt er. „Karneval ist rausgehen, sich mit Freunden treffen und die Sorgen daheim lassen.“ Dass seine uniformierten Mitglieder auf den Sitzungen und bei den Zügen betrunken seien, komme nicht vor. „Bei uns läuft niemand im Zug mit einer Flasche oder einer Zigarette in der Hand herum.“ Darauf achte er sehr penibel.

 Für jeden Spaß zu haben: Präsident Ulrich Goerres beim Tanzen auf der „Wohnzimmersitzung“.
Für jeden Spaß zu haben: Präsident Ulrich Goerres beim Tanzen auf der „Wohnzimmersitzung“. Foto: Ulrich Goerres

Alkohol floss bei den Karnevalsvereinen in den vergangenen beiden Jahren ohnehin nicht im Überfluss, wie auch? Coronabedingt gab es keine Saalveranstaltungen. „Die Sicherheit der Gesellschaft geht vor!“, sagt Goerres. Doch dass die Vereine in dieser Session in die „moralische Geiselhaft“ genommen und gezwungen worden seien, die Veranstaltungen freiwillig abzusagen, verschaffe ihm „einen dicken Hals“. Schließlich füllten nun kommerzielle Anbieter, Kostümverleiher und Wirte die Lücke.

„Keine Überlebenschance für unseren Verein“

Zum Karneval sei er wie so viele über seine Eltern gekommen. Der gebürtige Sticher, der in Röthgen aufwuchs, begleitete die Büttenrednerin-Mama und den Kassierer-Papa schon in jungen Jahren zu den Veranstaltungen der KG Ulk. „Meine Eltern konnten sich keine Kinderuniform für mich leisten. Ich habe meine erste Uniform erst mit 15 Jahren erhalten. Das war eine ururalte. Ich war stolz wie ‘ne Köttel, wie man sagt“, erinnert sich Goerres. Von seiner Mutter habe er den Humor geerbt, ist er sicher, von seinem Vater sei ihm Durchhaltevermögen eingetrichtert worden. Dieses fehle vielen jungen Jeckinnen und Jecken heutzutage, sagt der 66-Jährige. Viele Kinder und Jugendliche verließen den Verein nach kurzer Zeit wieder. „Ich habe es in all den Jahren nicht geschafft, die Jugend an unseren Verein zu binden“, bedauert Goerres. „Auf lange Sicht sehe ich daher keine Überlebenschance für unseren Verein. Alles andere wäre Augenwischerei.“

Neben dem fehlenden Nachwuchs kommen laut Goerres zwei weitere Faktoren kleineren Vereinen teuer zu stehen: „die Droge Fernsehen“ und die hohen Gagen, die Künstlerinnen und Künstler für ihre Auftritte verlangten. „Die Summen sind der absolute Wahnsinn“, sagt der Präsident. Gegen den Negativtrend, den er verzeichnet, wird er in den kommenden Jahren noch ankämpfen können. Schließlich wolle er zumindest noch seine 3x11-jährige Präsidentschaft feiern – ein kleines Ziel im Gegensatz zum ganz großen, das er seit jeher verfolge, aber altersbedingt nicht erreichen werde, wie er sagt. „Ich habe immer davon geträumt, einmal Prinz in meiner Heimatstadt zu werden.“