Leichte Entspannung : Mit den Aufräumarbeiten wird das Ausmaß der Schäden sichtbar
Update Eschweiler/Stolberg Nach einer dramatischen Nacht entspannt sich die Lage in Eschweiler und Stolberg allmählich. Überall haben die Aufräumarbeiten begonnen. Auch Polizeihubschrauber und Räumungspanzer sind im Einsatz.
Für die meisten Bewohner in Eschweiler und Stolberg gibt es am Donnerstagmorgen ein böses Erwachen. Bei Anbruch des Tages wird das Ausmaß der verheerenden Überschwemmungen sichtbar. Die komplette Innenstadt in Eschweiler ist überflutet. Viele Bewohner können ihre Häuser nicht verlassen, sie haben sich in nächtlichen Aktionen auf höhere Etagen gerettet.
In Ladenlokalen in der Fußgängerzone sind Scheiben zerbrochen, das Wasser bahnt sich unaufhörlich weiter seinen Weg durch die Straßen. Die Städteregion Aachen hat für Eschweiler – wie auch für Stolberg – den Katastrophenfall ausgerufen und die Koordination übernommen. Das Bürgertelefon und die 112 sind überlastet, in weiten Teilen der Eschweiler Innenstadt gibt es keinen Strom und wird es voraussichtlich auch tagelang nicht geben.
„Die Lage ist höchstdramatisch“, sagt Pressesprecher René Costantini, auch weil Rettungsfahrzeuge und selbst Rettungsboote nicht mehr durchkommen, da sich Unrat und Holz in den Schrauben der Motoren verfangen und die Fahrzeuge wegen der Wassermassen gar nicht mehr fahren können.
Laut Costantini gibt es aber erste vorsichtige Lichtblicke. „Der Pegelstand der Inde sinkt Stunde um Stunde, wenn auch sehr langsam. Das ist zumindest eine kleine erfreuliche Nachricht.“ Der positive Trend setzt sich im Laufe des Tages fort, um 15 Uhr vermeldet die Stadt einen Wasserstand der Inde von 2,40 Meter am Pegel „An der Wasserwiese“. Damit liegt er immerhin 18 Zentimeter unter der kritischen Marke – und 1,33 Meter unter dem Höchststand von 7.15 Uhr. Drei Hubschrauber der Bundeswehr sind nach Costantinis Angaben im Einsatz, um die Lage aus der Luft zu beobachten und im Bedarfsfall zu helfen.
Auch in Stolberg kommt ein Bundeswehr-Hubschrauber zum Einsatz. „Wir versuchen, wichtige Verkehrsachsen wieder freizuräumen, damit die Einsatzkräfte durchkommen“, berichtet Pressesprecher Tobias Schneider. Dabei hilft auch ein Räumungspanzer der Bundeswehr, der sich von der Innenstadt aus langsam in Richtung Vicht und Zweifall vorarbeiten und die besonders betroffenen Bereiche räumen soll, wo selbst Bagger nicht viel ausrichten können.
In vielen Straßen gibt es keinen Strom. „Die Lage ist noch sehr konfus“, sagt Schneider. Deshalb gilt weiterhin der dringende Appell an alle Bürger, zu Hause zu bleiben. Auch Patrick Haas stuft die Situation noch als extrem angespannt ein. „Für eine solch katastrophale Situation hat es bis heute keine Berechnungen gegeben“, stellt der Bürgermeister (SPD) am frühen Morgen fest. „Das ist kein sogenanntes 100-jährliches Hochwasserereignis. Das, was wir hier gerade erleben, liegt weit darüber.“
Und er schaut mit Sorge nach vorne: „Die Aufräumarbeiten werden uns über Wochen und Monate beschäftigen“, ist der Bürgermeister sicher, auch wenn sich in Stolberg – wie auch in Eschweiler – zahlreiche freiwillige Helfer gemeldet und einige Unternehmen Fahrzeuge und Geräte zur Verfügung gestellt haben. An mehreren Straßen, darunter die Kurt-Schumacher-Straße in Mausbach und die Zweifaller Straße in der Innenstadt, seien bereits größere Schäden erkannt worden. „Und da wird sicherlich noch eine ganze Menge folgen“, fürchtet Haas.
Die Lage im Stolberger Krankenhaus ist laut Dirk Offermann derweil ruhig. „Wir haben aufgrund unserer topografischen Lage Glück gehabt“, stellt der Geschäftsführer auf Anfrage unserer Zeitung fest. Und die Stromversorgung sei dank der Notaggregate gesichert. Das Krankenhaus werde gleichwohl auf Notbetrieb umstellen, vor allem um den Kollegen aus Eschweiler helfen zu können.
Das dortige Krankenhaus ist besonders stark von den Fluten betroffen, 300 Patienten müssen evakuiert werden. Das St.-Antonius-Hospital ist phasenweise ohne Strom- und Wasserversorgung.
Erste Berichte über Plünderungen in Stolberg relativiert die Polizei auf Anfrage. „Es gibt keine Plünderungszüge von 20 bis 30 Personen, die von Geschäft zu Geschäft ziehen“, sagt Pressesprecher Andreas Müller. Bisher gebe es einzelnen Meldungen von Geschäften, in denen Menschen gesehen worden seien. Beim Eintreffen der Polizei hätten diese allerdings die Flucht ergriffen. Beute hätten sie wenn überhaupt nur in geringem Maße gemacht.
An einem Juweliergeschäft an der Rathausstraße in Stolberg habe die Polizei eine Person auf frischer Tat ertappt, dort sei Anzeige wegen einfachen Diebstahls erstattet worden. „Es ist ein großes Polizeiaufgebot vor Ort, um für Ordnung zu sorgen“, versichert der Sprecher. In der Tat zeigen die Beamten in beiden Innenstädten massive Präsenz und befragen Passanten, warum sie sich in den Straßen aufhalten.
Dort ist prinzipiell viel los, weil zahlreiche Anwohner versuchen, ihre Wohnungen von Wasser und Schlamm und auch von beschädigter Einrichtung und kaputten Bodenbelägen zu befreien. Vielerorts stellt sich die Frage, was aus den vollgelaufenen Kellern wird. „Im Moment ist die Feuerwehr aufgrund der nach wie vor angespannten Situation nicht in der Lage, den Betroffenen zu helfen“, bittet René Costantini um Verständnis und Geduld. „Zu einem späteren Zeitpunkt wird sie sich aber sicher am Auspumpen beteiligen.“
Um Beruhigung ist auch sein Kollege Tobias Schneider bemüht, der am Nachmittag vehement anderslautende Gerüchte dementiert: Dreilägerbachtalsperre Wasser ablassen. „Es ist nicht zutreffend, dass an der Dreilägerbachtalsperre Wasser abgelassen wird.“ Die Sorge, dass sich trotz der sinkenden Pegel und der nachlassenden Niederschläge die Situation deshalb wieder verschärfen könne, sei unbegründet.
Große Sorgen plagen hingegen Patrick Haas. „Wir werden mindestens ein halbes Jahr das Rathaus nicht nutzen können. Die Haustechnik ist zerstört, Öl und Benzin haben viele Räume längerfristig unbenutzbar gemacht“, berichtet der Stolberger Bürgermeister. Darüber hinaus werde das feststellbare Ausmaß der Zerstörung in der Stadt immer größer. „Wir werden es nicht alleine schaffen, das alles zu bewältigen“, bittet Haas um Hilfe aus Düsseldorf. Am Abend will er diese Bitte auch gegenüber Armin Laschet äußern. Der nordrhein-westfalische Ministerpräsident (CDU) hat sich zu einem Besuch im besonders vom Hochwasser betroffenen Stadtteil Vicht angekündigt.