Ärger im Gebiet „Neue Höfe“ : Faktor x zählt nicht für jeden Bauherrn
Eschweiler Die Faktor-x-Siedlung in Dürwiß gilt als Vorzeigeprojekt und wird gerne als Leuchtturm für ressourcenschonendes Bauen herangezogen. Letztlich zählte das Baugebiet zu den Anspekten in der Stadt, die ihr den Nachhaltigkeitspreis einbrachten. Allerdings nimmt man es mit der Vorgaben für Faktor x in Dürwiß nicht so genau.
Jetzt wurde eine Versorgungsleitung für Gas in die Siedlung gelegt. Häuser, die derzeit an der Albert-Einstein-Straße entstehen, sollen konventionell mit Gas geheizt werden. Dies widerspricht ausdrücklich dem Faktor-x-Gedanken. Die Stadtverwaltung teilt mit, dass ein Bauherr ohne ihr Wissen die Leitung gelegt habe. Eine juristische Handhabe dageben habe man jedoch nicht.
Beteiligt an dem Baugebiet ist auch die Faktor-x-Agentur in der Indeland GmbH. Agenturleiter Klaus Dosch betonte, nichts von der Gasleitung zu wissen. „Ich bin entsetzt darüber“, sagte er. Man habe Gas als Heizung ganz klar ausgeschlossen. Dies habe mehrere Gründe: Zum einen setze man auf einen nicht nachwachsenden und fossilen Brennstoff, zum anderen entstehe bei der Verbrennung klimaschädliches Kohlendioxid.
Vor Ort tätige Architekten bestätigten gegenüber unserer Zeitung, dass beim Bau klare Vorgaben bestanden. Da Gas nicht erlaubt gewesen sei, habe man auf Luft-Wärme-Pumpen gesetzt. Diese nutzen die in der Luft vorhandene Energie zur Wärmeerzeugung und benötigen dazu Strom. Dies hat vor allem für die Hausbesitzer Konsequenzen, denn diese Heiztechnik ist in der Anschaffung deutlich teurer als zum Beispiel eine konventionelle Gas-Brennwerttherme. Der Unterschied betrage im Schnitt zwischen 20.000 und 30.000 Euro, heißt es.
Anwohner sprechen von „Betrug“
Als vor wenigen Wochen der Bau der Gasleitung begann, waren einige Anwohner in der Siedlung verwundert. Mehrere Nachbarn schlossen sich zusammen, auch die Stadtverwaltung wurde angeschrieben. Eine Antwort aus dem Rathaus erfolgte jedoch nach Aussage der Anwohner nicht. ,„Wenn nun jemand anders deutlich günstiger bauen kann, weil die Vorgaben für ihn plötzlich nicht mehr gelten, dann ist das nicht hinnehmbar“, sagt ein Bauherr. Zudem habe man sich bewusst dafür entschieden, ressourcenschonend zu bauen und damit das Projekt Faktor x zu unterstützen. Manche Anwohner sprechen von „Betrug“ und denken über juristische Schritte nach.
Am Dienstag schlossen Mitarbeiter eines Tiefbauunternehmens die Gasleitung ans Netz. Das Bauamt sei darüber nicht informiert gewesen, heißt es im Rathaus. Dies sei durchaus üblich, da in solchen Fällen lediglich das Ordnungsamt einen Hinweis bekommt, damit die Baustelle entsprechend gesichert ist. Erst nach Abschluss der Arbeiten erhalte das Baudezernat eine Mitteilung. „Dass jemand entgegen der Absprache in einer Faktor-x-Siedlung einfach einen Gasanschluss legt, verärgert mich“, sagt der Technische Beigeordnete Hermann Gödde. Ein Mehrfamilienhaus soll daran verbunden werden. In Vorgesprächen habe man Bauherren mehrfach darauf hingewiesen. Juristisch besteht auch laut Gödde nun keine Möglichkeit, gegen den Bauherren vorzugehen. Eine Vorgabe über die Heizungsform könne man nicht in einem Bebauungsplan festlegen, sagt er. Eine Möglichkeit biete der Kaufvertrag. Diese wurde in Dürwiß jedoch nicht genutzt. Gödde räumt ein, dass dies ein Fehler war: „Wir haben mit den Neuen Höfen ein neues Prinzip zum ersten Mal umgesetzt, da passieren leider auch Kleinigkeiten, die man nachjustieren muss.“
Während die Bauarbeiten in Dürwiß auf die Zielgerade gehen, befindet sich eine weitere Faktor-x-Siedlung in Eschweiler noch in der Genehmigungsphase. Die Kooperationsvereinbarungen zwischen der städtischen Strukturfördergesellschaft, RWE und der Faktor-x-Agentur für die Faktor-x-Siedlung „Westlich Vökelsberg“ wurden im Sommer unterschrieben. In der Sitzung des Planung-, Umwelt- und Bauausschusses wurde die sogenannte Offenlegung und erste Beteiligung der Öffentlichkeit einstimmig beschlossen. Schon zu diesem Zeitpunkt war deutlich, dass einige Anwohner wenig begeistert von den Plänen sind.
Unter dem Namen „Kritische Bürger für Eschweiler“ hat sich eine Gruppe zusammengefunden, die Argumente gegen die Siedlung zwischen Königsberger Straße und Autobahn 4 sammeln. Viele der in Augen der Bürger offenen Fragen werden auf einer Internetplattform unter http://kritische-buerger-fuer-eschweiler.de aufgelistet. Die Punkte wurden bereits an Bürgermeister Rudi Bertram und die Fraktionen des Stadtrats geschickt.
Man sei über mehrere Dinge der derzeitigen Planung enttäuscht, teilt Christian Wiese mit. Er zählt mit anderen Nachbarn zu der Initiative. Unter anderem sei er verärgert über die Informationspolitik der Stadt. „Jahrelang haben wir Anwohner regelmäßig nach möglichen Bauprojekten in unserer Nachbarschaft gefragt und seitens der Stadt immer wieder die gleiche Antwort erhalten, dass kein Bauen geplant sei, ja, dass sogar kein Bauen auf betreffenden Gebiet erlaubt sei“, sagt Wiese. Neben dem Hochwasserschutz habe man auch eine parallel zur Autobahn verlaufende Kerosin-Pipeline der NATO als Begründung herangezogen. Den Aspekt der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes sehen die Anwohner mit dem Bau einer Siedlung in ein Gebiet, das „Fledermäusen oder Rehen, Greifvögeln, Wildbienen und sogar einem Fasan als Heimat dient“, gefährdet.
Zweifel an Gutachten
Vor allem das Entwässerungsgutachten des Ingenieurbüros Berg & Partner GmbH aus Aachen sei schwer nachvollziehbar. Das geplante Rückhaltebecken liege oberhalb der Siedlung. „Über einen Entwässerungsgraben soll dann ein Gebiet entwässert werden, das vor etwa zehn Jahren erst einen Damm erhalten hat, damit bei Starkregen die anliegenden Straßen Danziger Straße, Elbinger Straße oder Tilsiter Straße nicht mehr regelmäßig unter Wasser und Schlamm leiden mussten“, berichtet Wiese. Der Damm soll nach derzeitigem Stand beseitigt werden. Nach einem kräftigen Regen bilde sich eine tiefe und bis zu 4000 Quadratmeter große große Wasserfläche, die auch im Hochsommer langsam verdunstet.
Diese Einwände werden Bestandteil des weiteren Verfahrens sein. Die Kommunalpolitiker wollen erst in der kommenden Sitzung des Planungs-, Umwelt- und Bauausschusses über das weitere Vorgehen beraten. Auf dem Areal nördlich der Preyer- und Königsberger Straße sind aktuell 50 Wohneinheiten als Mehr- und Einfamilienhäuser vorgesehen, die nach den Vorgaben von Faktor x gebaut werden. Gödde ist davon überzeugt, dass man die Bedenken der Bürger entkräften kann: „Uns liegen die erforderlichen Gutachten vor.“
Die Erfahrungen mit der ersten Faktor-x-Siedlung in Dürwiß habe in der Summe den richtigen Weg gewiesen. „Wir konnten nachweisen, dass ressourcenschonendes Bauen nicht wesentlich teurer ist als die herkömmliche Bauweise“, meint Gödde. Er ist sich mit der Faktor-x-Agentur in der Entwicklungsgesellschaft Indeland einig, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis der geringe Ressourcenverbrauch auch gesetzlich vorgegeben wird.
Nicht nur in Dürwiß, auch in Inden entstand eine Faktor-x-Siedlung, die gegenüber „dem ambitionierten Energiestandard KfW 55 mindestens die Hälfte an Ressourcen“ einspart. Um dies zu erreichen, werden nachwachsende Rohstoffe für den Bau eingesetzt. Auch recycletes Material verringert den Verbrauch von Baustoffen. Dazu zählt unter anderem wiederverwerteter Beton.