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Kampf gegen Überschwemmungen: Mit Rauch dem Regenwasser auf der Spur

Kampf gegen Überschwemmungen : Mit Rauch dem Regenwasser auf der Spur

Im Kampf gegen Überlastung des Kanalnetzes und Überschwemmungen: Mit harm- und geruchslosem Disco-Qualm suchen Fachleute in Simmerath nach Fehleinleitern.

Für Simon Brachten und Detlef Goebbels ist der Job im Simmerather Gewerbegebiet Routine. Sie verschließen die eine Seite einer Haltung mit einer aufblasbaren Blase und blasen von der anderen Seite des Kanalschachtes Rauch hinein. Den wollen die Beiden aufsteigen sehen an Regenrinnen oder Abflussrohren der jeweils anliegenden Gewerbebetriebe an der Matthias-Zimmermann-Straße – oder eben auch nicht.

Ähnlich wie in einer Diskothek und mit dem gleichen Fluid funktioniert die Technik, aber mit wesentlich ernsterem Hintergrund. Die Mitarbeiter der Jackels Umweltdienst sind auf der Suche nach Fehleinleitern mit Hilfe von diesem harm- und geruchslosen Disco-Qualm. Den schicken die beiden Techniker deshalb in das Kanalnetz im Simmerather Gewerbegebiet, um Regenwasserleitungen zu finden, die in den Schmutzwasserkanal münden. Sie stehen in dringendem Tatverdacht, ursächlich für die hydrauliche Überlastung des Kanalnetzes und somit für Überschwemmungen im Bereich der Hauptsammler zu sein.

Desaster bei Starkregen

Zuletzt am 26. Juni hat ein Starkregenguss für ein solches Desaster gesorgt. Michael Bongard erinnert sich bestens an das Datum. „Es war ein fünfjährliches Ereignis“, sagt der Leiter des Bauamtes der Gemeinde: Es war halt nur ein statistisch gesehen alle fünf Jahre wiederkehrender Regenguss – „Peanuts“ im Vergleich zu den aktuellen Anforderungen der Wasserbehörden und Verbände, die Infrastruktur auf ein 100-jährliches Ereignis auszulegen.

Der Starkregen am 26. Juni reichte jedenfalls einmal mehr für Land unter im Blumengarten der Eheleute Friedhelm Kaczmarek und Yvonne Bourbon-Kaczmarek an der Bickerather Straße. Der Birchbach tauchte das Grundstück in ein kleines Meer. Erschwerend kam stinkendes Schmutzwasser aus der übergelaufenen Abwasserleitung hinzu.

Ein Indiz für einen möglichen Fehleinleiter: Aus einem alten Schacht steigt Rauch auf. Der mögliche Fehleinleiter muss näher untersucht werden.
Ein Indiz für einen möglichen Fehleinleiter: Aus einem alten Schacht steigt Rauch auf. Der mögliche Fehleinleiter muss näher untersucht werden. Foto: Juergen Lange

Gutachten erstellt

Am tiefsten Punkt hatte das Schmutzwasser – auf seinem Weg in die Kläranlage unterhalb Lammersdorfs – die Schachtabdeckungen hoch gedrückt, so Bongard, weil sie der Wassermengen nicht mehr Herr wurden. Und das wiederum liegt an dem Wasser von Dächern, Grundstücken und Straßeneinläufen, die eigentlich separat in der Regenwasserleitung zum Vorfluter geleitet werden sollten. So sieht es zumindest das Gutachten, das das Ingenieurbüro Berg & Partner für die Gemeinde erstellt hat.

Längst hat sich Simmerath auf den Weg gemacht, dem Problem zu begegnen. Denn ein Überlaufen der Schmutzwässer aus den beiden Hauptsammlern in der Bickerarther- und in der Witzerather Straße in den Birch- und in den Vichtbach – und somit ins Grundwasser der Schutzzonen – könnte letztlich zu strafrechtlichen Konsequenzen führen.

Konzepte erarbeitet

Schon seit zwei Jahrzehnten investiert die Gemeinde in den Ausbau der Kanalisation sowie in die Sanierung der Altbereiche. Konzepte wurden mit finanzieller Hilfe des Landes gemeinsam mit dem Ingenieurbüro erarbeitet. Beispielsweise in Lammersdorf erfolgte eine Befahrung des Schmutzwasserleitungen per Kanal-TV, um Undichtigkeiten zu erkennen.

„Wo wir fündig wurden, halten wir die Anlieger zur Sanierung an“, sagt Bongard: am liebsten im gegenseitigen Einvernehmen, notfalls auf juristischem Wege. Rund 80 schadhafte Leitungen sind dort bekannt.

Anders sieht das bei den Leitungen aus, die ausschließlich das Regenwasser Dächern, Hofflächen, Drainagen und Straßeneinläufen absolut getrennt vom Schmutzwasser über einen Abscheider in die als Vorflut dienenden Gräben und Bäche ableiten soll. So sehen das zumindest die wasserrechtlichen Vorschriften vor. Dem schmutzigen Abwasser aus den Haushalten und Gewerbebetrieben steht eine eigene Kanalleitung zur Verfügung. Trennsystem nennen Fachleute diese doppelten Leitungen für unterschiedliche Zwecke.

 So sieht die Blase aus, die mit Druckluft aufgebläht wird, um die 300 Millimeter messende Haltung in der Matthias-Zimmermann-Straße zu versperren.
So sieht die Blase aus, die mit Druckluft aufgebläht wird, um die 300 Millimeter messende Haltung in der Matthias-Zimmermann-Straße zu versperren. Foto: Juergen Lange

Überlastung ohne Verzug

Weil es aber bei Starkregen-Ereignissen immer ohne Verzug zu einer Überlastung der Schmutzwasserkanäle kommt, liegt der Verdacht nahe, dass Wasser aus den Regenkanälen in die Abwasserleitungen einläuft. „Wären diese so undicht, dass diffuses Wasser aus dem Boden in die Schmutzwasserleitung eindringen würden, wäre der zeitliche Verzug wesentlich größer“, erklärt Georg Vosen, der Projektleiter des begleitenden Ingenieurbüros.

Das Problem ist nur, die Regenwasserleitungen zu finden, die ins Abwassersystem einfließen. Aus dem Simmerather Wohngebiet sind der Gemeinde aus den TV-Befahrungen der Schmutzwasserleitungen einige Verdachtspunkte bekannt. Sie werden aktuell vom zweiköpfigen Team des Kanalbetriebhofes überprüft – mit dem gleichen System, das Simon Brachten und Detlef Goebbels in der Matthias-Zimmermann-Straße anwenden. Hier, im Simmerather Gewerbegebiet, liegen der Gemeinde keine Indizien für solche Fehleinleiter vor. Haltung für Haltung – das sind die Abschnitte zwischen zwei Schächten – ebenso wie alle Zuleitungen wird das Kanalnetz im Gewerbegebiet nun mit der Qualmmethode untersucht.

Pumpen abgeschaltet

Damit die Arbeit einfacher ist und weniger Wasser durch den Abwasserkanal läuft, schaltet der Wasserverband Eifel-Rur eigens für den Zeitraum der Analyse die Druckpumpen ab. Sie liefern Schmutzwasser aus dem Mischkanalsystem in Kesternich in die Schmutzwasserleitung der Matthias-Zimmermann-Straße.

Brachten und Goebbels sind geübt. Der Kanaldeckel wird aufgeboben. Die Kunststoffblase eingesenkt, in das Rund der Haltung geschoben und aufgeblasen. Ist sie dicht, wird vom nächsten Schacht der Disco-Rauch in die Haltung geblasen.

Steigt nun der Qualm an Dachrinnen oder Bodenabläufen der anliegenden Gebäude auf, kann eine der gesuchten Fehleinleitungen gefunden sein. Sie wird von Bongard gemeinsam mit dem Eigentümer näher betrachtet und eine Behebung des Schadens abgeklärt.

Guter und schlechter Qualm

Aber nicht jeder Qualm über einem Dach muss ein Fund bedeuten. „Die Schmutzwasserleitungen eines Gebäudes haben eine Entlüftung“, sagt Georg Vosen. Kommt dort der Rauch ans Tageslicht, ist alles in Ordnung.

Verlief der erste Tag der Untersuchung noch ohne Treffer, so offenbart der zweite eine mögliche Fehleinleitung. Aus einem alten Schachtbauwerk auf dem Gelände eines Gewerbebetriebes steigt Rauch auf. Nur ein Indiz. Denn die Leitung könnte abgeklemmt sein vom betriebenen Abwassernetz, so Vosen. Es könnte aber auch ein Fall sein, bei dem lediglich eine Wand die beiden Leitungsnetze trennt, die aber bei Starkregen überflutet werden könnte. „In einem solchen Fall bräuchte man nur ein Rohr für das Abwasser einzuziehen. Das kostet bestenfalls ein paar Hundert Euro“, meint Vosen. Die müsste dann der Eigentümer tragen. Denn per Satzung ist in Simmerath definiert, dass der Hausanschluss bis an das öffentliche Kanalrohr heran reicht. Der Fall muss jedenfalls näher untersucht werden. Sofort macht sich Michael Bongard auf den Weg, um mit dem Eigentümer den Fall zu begutachten....

Bis Ende September möchte der Bauamtsleiter die Untersuchung abgeschlossen haben. Damit die Gemeinde möglichst schnell ein ordnungsgemäß funktionierendes Kanalnetz aufweist, die Kanaldeckel in den Schächten bleiben und auch die Familie Kaczmarek bei Starkregen einen Garten ohne Wasserseen mit Schmutzwasserablagerungen hat.